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Hoffnung auf eine "APO 2.0"

Claus Leggewie und Harald Welzer geht es um mehr als "nur" den Klimawandel. Die Autoren haben einen kulturellen Wandel insgesamt vor Augen: eine Abkehr vom Leistungs-, Technik- und Fortschrittsglauben - jedoch nicht von oben diktiert, sondern von unten initiiert.

Von Thomas Kleinspehn |
    Es ist schon ein sehr eigenwilliges Buch, das die beiden Kulturwissenschaftler vorgelegt haben. Es geht von der mittlerweile weitgehend bekannten Klimakrise aus. Entwickelt dann aber – beinahe im Duktus der 80er-Jahre – ein fulminantes Plädoyer für Demokratie und Zivilgesellschaft. Und hierum geht es Claus Leggewie und Harald Welzer in ihrem gemeinsam geschrieben Buch eigentlich.

    "Verschiedene politische Systeme müssen sich damit auseinandersetzen. Wir hören sehr häufig, dass Demokratien dazu nicht in der Lage oder überfordert seien. In der Tat haben Demokratien Schwierigkeiten aufgrund ihrer Verfasstheit sich mit akuten, dringenden Problemen auseinander zu setzen. Aber wir nehmen das als eine Herausforderung, die auch in den Kräften der Demokratie steht, den gefährlichen Klimawandel zu verhindern."

    Sagt Claus Leggewie, Politologe und Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen. Gemeinsam mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer hat er im renommierten Institut einen Schwerpunkt "Klimakultur" eingerichtet, in dem es weniger darum geht, den CO2-Ausstoß zu verringern oder die Deiche zu erhöhen, sondern darum zu thematisieren, wie die Gesellschaft mit dem Problem einer ökologischen Wende umgeht. Warum wir etwa ziemlich viel über die Folgen übermäßigen Energieverbrauchs wissen, unser Verhalten jedoch nur wenig danach ausrichten. Stattdessen Veränderungen auf der staatlichen Ebene erwarten. Damit sei das aufgegeben worden, was Demokratien eigentlich ausmacht, wie Welzer erläutert.

    "Nämlich Engagement, auch politisch formatiertes Engagement, Kritik und im Grunde genommen das, was professionelle Politik macht, durch Druck von unten oder durch Kommentierung, durch Skandalisierung zu begleiten und in gewisser Weise auch anzuleiten. Das hat viele auch historische Gründe. Und wir müssen eigentlich hin zu einer Stärkung und Repolitisierung der Zivilgesellschaft."

    Und hier wollen die beiden Autoren ansetzen. Nicht mit einem Regelwerk, sondern mit dem Versuch, bereits vorhandene Bewegungen und Initiativen zu stärken. Wenn man Leggewie zuhört, könnte man beinahe vermuten, er suche nach Ansätzen für eine neue außerparlamentarische Opposition.

    "Wir beobachten ja empirisch Tausende von Ansätzen. Es gibt kritische Konsumenten, die ihren Lebensstil verändern. Es gibt Energiegenossenschaften, die ihre eigene Stromversorgung und dann noch Erzeugung in die Hand nehmen. Es gibt das, was wir Nachhaltigkeitsintelligenz nennen in Verwaltungen, in Unternehmen. Es gibt ja seit 40 Jahren einen massiven Wertewandel, in dem materielle Werte nicht mehr so wichtig genommen werden, wie zum Beispiel der Wert 'Erhaltung der Umwelt', 'Wiederherstellung des Erdsystems' und so weiter. Also die Dinge werden nicht von oben dekretiert oder gar durch ein Parteiprogramm oder eine Kaderorganisation vorgeschrieben. Wir konstatieren nur, dass es sehr viele Initiativen bottom-up, also von unten nach oben, in der Zivilgesellschaft gibt, tatsächlich ernst zu machen mit dem, was wir zur Vermeidung gefährlichen Klimawandels tun müssen und eine Energiewende hin zu einer nachhaltigen Klimaverträglichen Gesellschaft einzuleiten."

    Aber es geht in der Tat um mehr als "nur" den Klimawandel. Leggewie und Welzer haben einen kulturellen Wandel insgesamt vor Augen. Sie wollen erreichen, dass die Gesellschaft umdenkt, vom Leistungs-, Technik- und Fortschrittsglauben abrückt und auf mehr Nachhaltigkeit setzt. Und das auf allen gesellschaftlichen Ebenen.

    "Der Kern unserer Argumentation geht nur darauf hin: Das darf nicht als privatistische Veränderung verstanden werden, sondern das muss sich als politisches Gegengewicht gegen dieses Vor-Sich-Hin-Politik-Managen verstanden werden und ein Gegengewicht zur Politikerpolitik sein."
    Um das bewusst und die Verantwortung der Zivilgesellschaft deutlich zu machen, diskutieren die Autoren einerseits das Ende von Kulturen in vergangenen Jahrhunderten und greifen dabei immer wieder auf Jared Diamonds Bestseller über den Untergang von Kulturen zurück. Gleichzeitig tragen sie eine Unzahl von kulturellen Krisen, alternativen Projekten und Entwicklungen der letzten 500 Jahre zusammen. Da springen sie leicht von historischen Beispielen aus Afrika und Europa in die Gegenwart und wieder zurück. Oder innerhalb weniger Zeilen von den Billigfliegern und dem Tourismus, zur Ernährung und schließlich zum Wohnen. Ähnlich additiv werden auch die durchaus beeindruckenden Alternativbewegungen zusammengetragen. Hier wird das Buch dann leider doch etwas sprunghaft und gehetzt. Man hat gelegentlich den Eindruck, Leggewie und Welzer haben kurz vor der Apokalypse noch einmal alles Material aus ihren Zettelkästen zusammengetragen. Dabei geht das Ziel des Buches doch eher wieder verloren, das durchaus bedenkenswert ist: nämlich Veränderungen als Problem der Gesellschaft und nicht nur den Parlamenten zu begreifen.

    "Wir votieren dezidiert gegen dieses 'Ihr müsst aber', sondern würden - wenn überhaupt - sagen: Wenn wir über kulturellen Wandel sprechen, dann definieren wir uns als das Problem. Nicht die anderen sind das Problem, sondern wir mit unserem Lebensstil und unserer Oilo-holiker-Kultur, mit dem Beziehen des Treibstoffes für unsere Wirtschaft von außen, mit unserer Wachstums-Illusion. Und sagen: Jetzt machen wir es mal ganz anders, und zwar praktisch und nicht appellativ."

    Ob dies das Kulturgut Buch tatsächlich bewirken kann, mag dahingestellt sein. Leggewie und Welzer jedenfalls hoffen auf die "APO 2.0" und die "Renaissance des Gemeinwesen". So euphorisch wird dies sicher nicht jeder unterschreiben. Sich diesen Zukunftserwartungen begeistert und ungebrochen anzuschließen, könnte bei vielen ein bisschen Skepsis im Weg stehen.

    Leggewie, Claus / Welzer, Harald: "Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie".
    Frankfurt, S. Fischer Verlag, 2009, Preis: Euro 19,95