Dienstag, 19. März 2024

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Homosexualität im Frauenfußball
Ablenkungsmanöver mit Barbie

Vor der Fußball-EM der Frauen sind die Erwartungen hoch: In den Niederlanden wollen Trainerin Steffi Jones und ihr Team den Europameister-Titel verteidigen. Ein Thema jedoch wird im Frauenfußball gern vermieden: Homosexualität. Stattdessen scheint die Fußball-Industrie auf Sexualisierung zu setzen.

Von Ronny Blaschke | 16.07.2017
    Berlinerin Nadja Pechmann steht in einer Menschenmenge und lacht in die Kamera.
    Die Berlinerin Nadja Pechmann liebt Fußball, erlebte als Schiedsrichterin aber Sexismus und Homophobie. (Ronny Blaschke)
    Schon als Jugendliche hatte die Berlinerin Nadja Pechmann den Fußball lieben gelernt. Weil die vermeintlich "weiblichen" Eigenschaften auf dem Rasen keine Rolle spielten: Schwäche, Zierlichkeit, Emotionalität. Nadja Pechmann wurde Schiedsrichterin. Bald sprach sich herum, dass sie lesbisch ist. Und so wurde Fußball für sie zu einem bedrückenden Erlebnis, vor allem bei Spielen zwischen Männern.
    "Entweder kriegst du sexistische Kommentare wie: Hey Bella, gib’ mir mal deine Nummer. Oder: Dir muss doch mal der Arsch versohlt werden. Oder du bist halt ne Lesbe. Es gibt eigentlich nichts dazwischen. Entweder du bist das Sexobjekt oder du bist die Kampflesbe. Diese Häufigkeit auch, dieses Immer. Ich hatte, glaube dich, drei Spiele, wo ich sage: die waren geil."
    Vor drei Jahren wurde Pechmann während einer Kreisligapartie von einem Spieler rüde geschubst. Sie legte eine Pause als Schiedsrichterin ein, bis heute. Es gibt wenige Plattformen, die über Sexismus und Homophobie gegen Frauen im Fußball aufklären, eine ist L-Mag, eines der wichtigsten Lesbenmagazine Europas. Manuela Kay ist Gründerin und Chefredakteurin.
    Unausgesprochenes Geheimnis
    "Es heißt immer, bei den Frauen ist das ja alles kein Problem. Ich sehe das genau andersrum: Es ist ein viel größeres Problem, weil offensichtlich sind viel mehr lesbische Frauen im Fußball als schwule Männer. Und es ist halt dieses unausgesprochene, offene Geheimnis, dass nach wie vor – ich würde sagen, und Expertinnen haben mir das bestätigt –, mindestens fünfzig Prozent aller Spielerinnen in der Bundesliga und in den Nationalmannschaften lesbisch sind."
    Manuela Kay geht noch einen Schritt weiter.
    "Gerade da, wo es so viel vorkommt, nicht darüber zu reden, finde ich viel zynischer als beim Männerfußball, wo ich glaube, wir alle vermuten, die Quote von Schwulen eher der der Normalbevölkerung, also fünf bis maximal zehn Prozent, entspricht. Auch wir als Lesbenmagazin bekommen ganz, ganz oft Nachfragen von Fans, Leserinnenbriefe: Könnt Ihr mir nicht sagen, ob die und die Spielerin lesbisch ist, das wäre für mich so wichtig. Die Fans warten auf ihre Vorbilder."
    In Schweden unterstützte Nationalspielerin Nilla Fischer schwullesbische Veranstaltungen, ihre Trainerin Pia Sundhage gilt als Ikone der LGBT-Bewegung. Casey Stoney in England, Trine Rønning in Norwegen oder Megan Rapinoe in den USA – etliche Spielerinnen äußerten sich differenziert über Homosexualität.
    Druck aus dem DFB?
    In Deutschland hält sich dagegen hartnäckig die Erzählung vom kontrollwütigen DFB aus den Neunziger Jahren, der das Lesbisch-Sein duldete, aber nicht das öffentliche Reden darüber. In jüngerer Vergangenheit haben sich Leitfiguren wie Steffi Jones oder Nadine Angerer in Interviews schrittweise der Debatte genähert. Die ehemalige Torhüterin postete 2016 Kuss-Foto von ihrer Verpartnerung. Aber hatten Funktionäre den Druck so lange aufrecht gehalten? Die Journalistin Manuela Kay beobachtet das Themenfeld seit mehr als dreißig Jahren.
    "Dazu hat noch nie jemand etwas gesagt. Sie sagen immer, es gibt keinen Druck. Ich bin fast geneigt, das auch zu glauben. Und dass es stattdessen eher ein vorauseilender Gehorsam ist. Auch am Arbeitsplatz sind nach wie vor die Hälfte aller Schwulen und Lesben nicht offen homosexuell. Warum sollen Fußballer an ihrem Arbeitsplatz da anders sein? Und vor allem, wenn sie so sehr in der Öffentlichkeit stehen. Diese Scheu davor, nicht mehr gemocht zu werden, das kann ich durchaus verstehen."
    Und welche Rolle spielen die Sponsoren als zentrale Geldgeber im Frauenfußball?
    "Wir versuchen ja, auch den Unternehmen immer klar zu machen, dass sie nur gewinnen können, in dem sie sich als weltoffen darstellen, aber auch da ist Deutschland zwanzig Jahre hinterher. Das ist in englischsprachigen Ländern oder auch in Skandinavien ganz anders. Und hier sagen sie in Deutschland: Ne, also das ist uns nichts. Natürlich geben die sich nicht mehr offen homophob, das kann man sich nicht mehr erlauben, aber sie führen dann im Grunde meistens an, sie haben kein Geld, was natürlich Quatsch ist. Die halten es immer noch für schädlich, im Zusammenhang mit Homosexualität genannt zu werden."
    Sexualisierung des Frauenfußballs
    Die Fußball-Industrie geht einen anderen Weg, deutlich wurde das bei der heimischen Frauen-WM 2011. Der offizielle Slogan: "20elf von seiner schönsten Seite". Und einige Sponsoren zogen mit. Zudem brachte ein Spielzeughersteller eine Fußball-Barbie auf den Markt. Für ein Kosmetikunternehmen posierten Nationalspielerinnen in engen Abendkleidern. Fünf Bundesligaspielerinnen ließen sich im Playboy ablichten. Welche Konsequenzen hat diese Sexualisierung für Mädchen an der Fußballbasis? Greta Schabram spielt für den SV Seitenwechsel in Berlin, einem der größten Lesbensportvereine in Europa.
    Greta Schabram spielt für den SV Seitenwechsel in Berlin, einem der größten Lesbensportvereine in Europa. Sie kritisiert die Sexualisierung im Frauenfußballs.
    Greta Schabram vom Berliner SV Seitenwechsel kritisiert die Sexualisierung im Frauenfußball. (Ronny Blaschke)
    "Durch den ganzen Sport wird ja immer auch versucht, Geschlecht zu begrenzen. Ich habe mit acht angefangen, Fußball zu spielen. Ich fand dann auch die kurzen Hosen toll. Und wenn ich ein Überraschungs-Ei gesehen hätte, hätte ich mich nicht für die Spielerfrau entschieden, sondern für den Weltmeister. Dann wäre ich gleich bei der Rolle Mann. Ich wollte aber kein Mann und auch kein Junge sein, ich wollte einfach nur Fußball spielen. Es ist aber schwer, wenn alles, was quasi den Sport ausmacht, männlich konnotiert ist. Ja, wir dürfen auf diesen Zug nicht aufspringen uns sagen: wir müssen jetzt den Frauenfußball sexy machen, so dass Männer uns dafür mögen. Das ist ja auch nur eine Form von Sexismus."
    Kulturwandel durch Details
    Beim wohl größten schwullesbischen Straßenfest Europas in Berlin am 15. und 16. Juli gab es auch eine Sportmeile für Vereine und Bündnisse, darunter der SV Seitenwechsel. Der Berliner Fußball-Verband stellte seine Projekte ebenfalls vor, doch noch immer hat er keinen Ausschuss für Mädchen und Frauen. Die Spielerin und Aktivistin Pia Mann setzt sich mit der Frauenrechtsgruppe Discover Football für einen Kulturwandel ein, und sie achtet dabei auf Details, etwa auf Sprache. Denn auf Verbandsseiten oder Spielberichtsbögen sei noch oft von Spielern die Rede, weniger von Spielerinnen.
    "Wir möchten pro-aktiv sein. Wir haben zum Beispiel letztes Jahr beim DFC Kreuzberg Kapitänin-Armbinden selbst erstellt, und haben die dann zu Beginn der Spiele unseren gegnerischen Teams geschenkt. Wir ärgern uns immer darüber, dass wir uns so wenig vertreten fühlen in der Fußballsprache und haben genau deswegen diese Armbinden erstellt."
    Pia Mann und ihre Mitstreiterinnen müssen sich in Geduld üben. Der Berliner Fußball-Verband blickt zwar auf eine Geschichte von fast 120 Jahren zurück. In sein Präsidium haben es insgesamt aber erst drei Frauen geschafft.