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Hoppes Wunschzettel

Die Schriftstellerin Felicitas Hoppe scheint so ihre Erfahrungen gemacht zu haben mit dem Schenken und Beschenktwerden. Sie spricht sich gegen das Bleibende und für das Vergängliche aus.

Von Felicitas Hoppe | 04.01.2010
    Was ich mir wünsche? Von den Wünschen die größten, von den Geschenken nur die vergänglichen: Rosensträuße und Würste, Honig und Wein, Neujahrsschnee und Straßenmusik und ein Jahreslos, das niemals gewinnt, lauter Kerzen, die fröhlich herunterbrennen. Denn ich fürchte die Last der bleibenden Gaben, dieser Dinge, die unaufhörlich rufen: Da bin ich, schau hin, fass mich an! Ich will, dass du dich an alles erinnerst, an den, der mich brachte und an das, was er dir damit sagen will.

    Wie gefährlich diese Geschenke sind, lauter unerwünschte Gaben, die niemand ernsthaft verbrauchen kann und die man immer wieder herzeigen muss, wenn die immer selbe Verwandtschaft kommt, um zu sehen, ob alles am richtigen Platz ist, obwohl nie Platz in der Herberge war. Wo ist das Stroh vom vergangenen Jahr? Wer trägt den längst verlorenen Handschuh? Wer hört die Blasmusik seines Onkels, wer hängt den Engel der Nachbarn ins Fenster und schreibt den Geburtstag vergessener Freunde in hausgemachte Kalender?

    Wenn schon Geschenke, dann sollen sie wandern, vom einen zum andern. Wie der Schatz, der sich plötzlich aus seiner Truhe erhebt, weil wahre Schätze nicht zu haben und nicht zu heben sind: "Mein erster Gedanke ist", schreibt der galizische Autor Alvaro Cunqueiro, "dass ein Schatz wie eine lebendige Person ist, mit Gedächtnis und eigenem Willen begabt. Ich weiß nicht, ob es stimmt, dass es eine Zeit gab, in der alle Schätze der Welt einem einzigen Mann gehörten. Dass sie aber, seiner überdrüssig, sich auf und davon machten und sich an verschiedenen Orten versteckten und die Zauberer des Landes bezahlten, damit sie sie verzauberten, um nicht gefunden zu werden."

    Aber wer selbst kein Schatz ist, kann auch nicht wandern, muss sitzen und sammeln, nährt falsche Hoffnung und schlechte Gefühle. Wie die alte Tante aus Kindertagen, die plötzlich an einem Weihnachtsmorgen ungerufen vor unserer Haustür stand, neben sich eine riesige Kiste. Wir trugen die Kiste ins Weihnachtszimmer, hoben sie auf den Gabentisch, stemmten gierig den Deckel auf und fanden darin zu unserem Entsetzen nichts als unserer eigenen Gaben, die Geschenke der letzten zwanzig Jahre, ein trüber Spiegel vergeudeter Zeit.

    So denke ich mir das Jüngste Gericht: Der vergessliche Schenker steht vor dem Beschenkten und hat nichts zu sagen. Alles hatte die Tante aufgehoben, alles im Buch der Kränkung verzeichnet, nichts der Gnade des Vergessens geschenkt. Jetzt schlug ihre und unsere Stunde, sie zahlte heim, teilte aus und gab alles zurück, was wir ihr niemals geben konnten. Wie lange sie darauf gewartet hatte, verriet ihre Stimme und die zu große Geste des späten Triumphs, mit der sie Rache an uns und den Jahren nahm und mit sicherer Hand alles einzeln an Licht zog, um es uns Stück für Stück vor die Füße zu werfen, all die sinnlosen Versuche, sie gedankenlos nebenbei glücklich zu machen: Da sind sie, schaut hin, fasst sie an! Ich will, dass ihr euch an alles erinnert!

    Von den Geschenken also nur die vergänglichen! Obenauf einen Neujahrsschnaps auf die Tante, der uns kurzfristig wärmt und für immer von der Last des Schenkens befreit.