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Hornhäute für Millionen?

Medizin. - Wenn die Hornhaut im Auge zerkratzt oder vernarbt ist, wird die Sicht trübe. Eine geschädigte Hornhaut ist einer der häufigsten Gründe dafür, warum Menschen erblinden. Spenderhornhäute sind jedoch knapp, möglicherweise könnte es daher bald eine Alternative geben. Ein Team aus schwedischen und kanadischen Forschern hat eine bio-synthetische Hornhaut im Labor entwickelt und sie jetzt erfolgreich an einer kleinen Patientengruppe getestet.

Von Marieke Degen | 26.08.2010
    Die zehn Schweden teilen das gleiche Schicksal: Sie können kaum noch sehen. Bei einem ist die Hornhaut nach einem Unfall vernarbt. Die anderen leiden an einer Augenkrankheit, ihre Hornhaut ist zu dünn und verbeult. Sie alle warten verzweifelt auf eine Spender-Hornhaut. Doch ihre Chancen, eine zu bekommen, sind gering. Per Fagerholm ist Professor für Augenheilkunde an der Universitätsklinik im schwedischen Linköping.

    "Das Hauptproblem ist, dass man so schwer an menschliche Hornhäute herankommt. Es gibt einfach nicht genug Spender, weltweit gibt es große Engpässe. Berechnungen zufolge erblinden deshalb eine Million Menschen pro Jahr."

    Ein Glücksspiel, auf das sich die zehn Patienten nicht einlassen wollen. Sie melden sich freiwillig, als Versuchspersonen für eine weltweit einmalige Studie. Per Fagerholm soll ihnen eine künstliche Hornhaut ins Auge implantieren.

    "Diese Hornhäute sind transparent, sie sehen etwa so aus wie Kontaktlinsen."

    Kanadische Forscher hatten die künstliche Hornhaut in den 90er-Jahren entwickelt. Wie die natürliche Hornhaut im Auge besteht sie aus Collagen, dem Strukturprotein des Bindegewebes. Die Forscher hatten dafür menschliches Collagen im Labor gezüchtet. Per Fagerholm:

    "Collagen ist ein langes, fadenförmiges Protein. Man kann daraus ein Geflecht, ein Gerüst machen. Und das wird dann ins Auge implantiert."

    Per Fagerholm und sein Team haben die künstlichen Hornhäute jahrelang auf Herz und Nieren geprüft. Sie haben sie in Kaninchenaugen eingesetzt und bei Hunden und Minischweinen getestet. Im Herbst 2007 wagt er einen ersten Versuch am Menschen, an seinen zehn Probanden. Er setzt die Hornhaut aber immer nur in ein Auge ein.

    "Wir konnten dem Heilungsprozess im Auge regelrecht zuschauen, das geht heutzutage mit speziellen Mikroskopen. Wir haben gesehen, wie Zellen die künstliche Hornhaut, also unser Collagengerüst besetzt haben. Wie die Nerven hineingewachsen sind. Auf diese Weise ist quasi eine neue, gesunde Hornhaut entstanden."

    Nach gerade einmal sechs Wochen war die künstliche Hornhaut so gut im Auge verwachsen, dass die Ärzte die Fäden ziehen konnten. Bei einer normalen Hornhauttransplantation dauert das ein Jahr.

    "Das Collagengerüst hat den Heilungsprozess angestoßen. Es waren die eigenen Hornhautzellen der Patienten, die das Gerüst besetzt haben. Im Auge waren also keine fremden Zellen, wie nach einer herkömmlichen Hornhauttransplantation."

    Weil die künstliche Hornhaut nur aus Collagen besteht und keine fremden Zellen enthält, wird sie auch nicht vom Körper abgestoßen. Das sei ein großer Vorteil, sagt Per Fagerholm. Zwei Jahre lang hat er seine Patienten immer wieder untersucht. Nach der Operation waren ihre Augen vorübergehend entzündet, aber sonst habe es keinerlei Nebenwirkungen gegeben, sagt er. Und auch das Sehvermögen hat sich bei immerhin sechs Probanden verbessert.

    "Beim Augenarzt gibt es diesen Sehtest, wo man auf einer Tafel Zeichen erkennen muss, die immer kleiner werden. Vor der Operation konnten die Patienten nicht einmal die erste Zeile entziffern. Zwei Jahre nach der Operation haben sie mit Brille immerhin schon die zweite Zeile lesen können. Mit Kontaktlinsen sind sie sogar bis zur Mitte der Tafel gekommen. Das reicht aus, um in Schweden Auto fahren zu dürfen."

    Die Probanden haben fast genauso gut gesehen wie Patienten, die eine menschliche Hornhaut transplantiert bekommen haben. Möglicherweise könnte die künstliche Hornhaut schon in fünf, sechs Jahren auf dem Markt sein. Viele Patienten wollen aber nicht so lange warten. Sie würden am liebsten schon am nächsten Testlauf teilnehmen. Fagerholm:

    "I get these questions every week, yes."

    Die nächste Studie soll im Herbst beginnen.