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Hühnermast
Streit um Ställe in NRW geht weiter

Seit drei Jahren gibt es Streit um den Bau einer Mastanlage für 80.000 Hähnchen neben einer Grundschule im nordrhein-westfälischen Rahden. Bald entscheiden die Behörden. Was kommt zuerst? Das Kind oder das Huhn?

Von Michael Borgers |
    Ein wenige Stunden altes Küken sitzt im Brutkasten zwischen anderen und noch nicht geschlüpften Küken.
    Ein wenige Stunden altes Küken sitzt im Brutkasten zwischen anderen und noch nicht geschlüpften Küken. (picture-alliance / dpa-ZB / Waltraud Grubitzsch)
    Es ist kalt in Ostwestfalen. Zu kalt auch für die Hühner, erklärt Marion Wietler und führt den Besuch in den Stall.
    "Das hier ist jetzt unsere älteste Gruppe an Hühnern, da sehen Sie auch: Die sind jetzt wirklich so zwei Monate vorm Schlachten und trotzdem voll im Gefieder."
    Und das sei nur so bei Hühnern, die sich wohlfühlen, erklärt die Landwirtin. Insgesamt 850 davon hat sie. Auf ihrem Hof, den sie und ihr Mann in vierter Generation betreiben. Seit mehr als zehn Jahren unter dem Bioland-Siegel. Doch genau um dieses Siegel fürchtet sie nun.
    "Es ist halt auch so ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber den Behörden und auch gegenüber der Agrarfabriken, die dann ja kommen würden. Man hat einfach Angst vor der eigenen Zukunft, wenn einem da so mitgespielt wird."
    Mastanlage für 80.000 Hähnchen
    Marion Wietler fürchtet, den strengen Bioland-Richtlinien bald nicht mehr gerecht werden zu können, hat Angst vor Verunreinigungen. In unmittelbarer Nähe des Hofes der Familie Wietler könnte bald mehr Geflügel aufgezogen werden – fast Einhundertmal mehr: Eine Mastanlage für 80.000 Hähnchen plant ein Landwirt aus der Nachbarschaft, der bislang Schweine züchtet. Doch sein Vorhaben bereitet nicht nur dem Biohof Sorgen.
    "Hier befindet sich die Grundschule der Orte Tonneheide-Wehe."
    Sagt Doris Bölk, die kurz nach Bekanntwerden der Pläne die Bürgerinitiative "Hier kein Stall" mitbegründete.
    "Und der geplante Hähnchen-Maststall soll direkt hinter diesem Wäldchen – das sind so 120, 150 Meter etwa – hingestellt werden."
    Zu nah, findet die Bürgerinitiative. Sie fürchtet negative Folgen für Umwelt – und Grundschule: Emissionen würden die Gesundheit der Kinder gefährden, Eltern ihre Kinder von der Schule abmelden. Und damit sei der Fortbestand der kleinen Einrichtung gefährdet. Im Gutachten, das der Investor mit seinem Bauantrag einreichte, entdeckte die Initiative Fehler. Die Anzahl der Tiere, die Ausmaße des Stalls - entscheidende Größen waren nicht korrekt angegeben. Eine Petition der Initiative unterschrieben mehr als 500 Menschen. Der Landwirt, der die Hühnerzucht aufbauen will, mag sich mittlerweile gar nicht mehr öffentlich äußern. Das Genehmigungsverfahren erstreckt sich über Jahre. All das ist neu in dieser landwirtschaftlich geprägten Gegend. Auch für die Ratspolitiker der Stadt Rahden, die am 12. Februar über den Bauantrag entscheiden werden.
    "Und zwar frei von Ideologien. Und damit ist überhaupt nicht die Frage gemeint, sind wir eigentlich für Massentierhaltung oder dagegen?"
    Gutachten drei Mal nachgebessert
    Sagt Hans-Eckhard Meyer, Vorsitzender der FDP-Fraktion - Es gehe um Genehmigungswege und geltendes Recht. Und Rahden müsse sein Einvernehmen erteilen, wenn keine Fehler und Grenzüberschreitungen mehr nachzuweisen seien. Dreimal Mal wurde das Gutachten des Landwirts nachgebessert, weil es vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in NRW beanstandet wurde, bestätigt der ehrenamtliche Kommunalpolitiker.
    "Deswegen sind wir auf valide Vorarbeit auch unserer Verwaltung angewiesen, um danach dann auch die Verantwortung für eine angemessene politische Entscheidung zu übernehmen."
    Am Ende entscheidet ohnehin der Kreis Minden-Lübbecke, die Stadt Rahden gilt in dem Verfahren lediglich als Fachbehörde. Falls der Landwirt dann endlich bauen darf, will die Bürgerinitiative dagegen klagen. Denn nach heute geltendem Recht wäre die Anlage in dem Landschaftsschutzgebiet wohl nicht mehr möglich. Die Novellierung des Baugesetzbuchs, die Bauvorhaben zur gewerblichen Tierhaltung im Außenbereich nicht mehr privilegiert, kam Mitte 2012 – drei Monate nach dem Bauantrag. Seitdem wurden laut Bauernverband deutschlandweit große Mastställe fast nur noch in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gebaut, und insgesamt deutlich weniger. Zu Ende ist der Streit noch lange nicht.