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Humanist und Aufklärer

Desiderius Erasmus gilt als zentrale Figur der europäischen Aufklärung, als Denker über die nationalen Grenzen seiner Zeit hinweg. Nach ihm ist das Erasmus-Programm benannt, mit dem die Europäische Union den Austausch von Universitäten in Europa fördert.

Von Anna Gann | 12.07.2011
    "Ich beschwöre dich, christlicher Fürst, [ ... ] das Bild deines Herrn und Herrschers Christus zu betrachten, [ ... ] und du wirst bald begreifen, wie er will, dass du herrschen sollst, nämlich, dass deine höchste Sorge sich auf Frieden und Eintracht richte."

    So schrieb Desiderius Erasmus in seiner Schrift "Die Klage des Friedens". Der Friede war das große Thema des Erasmus von Rotterdam, wie er meist genannt wird - ein stiller Gelehrter, schmächtig, unscheinbar in seiner Gestalt, und der berühmteste Humanist des
    16. Jahrhunderts. Man weiß, dass er als Gerrit Gerritszoon der illegitime Sohn eines Priesters und dessen Haushälterin war, geboren an einem 28. Oktober. Aber das Jahr ist ungewiss: vielleicht 1466 oder 1469 in der Hafenstadt Rotterdam oder in Gouda. Sein Todesdatum dagegen ist bekannt: Er starb am 12. Juli 1536 in Basel.

    Erasmus von Rotterdam war Augustinermönch, Priester und Doktor der Theologie. Von den Ordensgelübden ließ er sich später entbinden. Als freier Gelehrter lebte er in den Niederlanden, in England und vor allem in Basel. Er pflegte Kontakt zu zahlreichen bedeutenden Denkern seiner Zeit, auch in fein stilisierten Briefen. Diese, und besonders die "Adagia" von 1508, in denen er antike Zitate sammelte und kommentierte, begründeten seinen Ruhm. Sein "Lob der Torheit" gehört zur Weltliteratur und weist ihn auch als ironischen Kirchenkritiker aus.

    "Wie viel Schönes hätte ein Ende, wenn einmal Weisheit über einen Papst käme [ ... ]! Es wäre geschehen um Geld, Ehre, Macht und Herrlichkeit, um Rechte, Dispense, Steuern, Ablässe, um Pferde, Maultiere, Trabanten, um all die Pracht und Behaglichkeit [ ... ]"

    Eine noch wichtigere Rolle als der Papst gewann für Erasmus der Reformator Martin Luther, der ja wie er selber Augustinermönch gewesen war. Als Luther die Bibel ins Deutsche übertrug, ging er auf eine lateinische Bibelübersetzung des Erasmus zurück. Vor diesem Hintergrund meinten Zeitgenossen:
    "Erasmus hat das Ei gelegt, das Luther ausgebrütet hat."

    Oder, wie es später der Schriftsteller Stefan Zweig in seiner Erasmus-Biographie ausdrückte:

    "Dank seiner literarisch-humanistischen Verpackungskunst hat Erasmus eigentlich den ganzen Sprengstoff der Reformation in die Klöster und Fürstenhöfe hineingeschmuggelt."

    Erasmus selbst verwahrte sich gegen den Eindruck, er sei der Vorarbeiter Luthers gewesen. Zwar nahm er den Reformator gegen Kritik in Schutz, und hinter den Kulissen suchte er zwischen ihm und dessen Gegnern zu vermitteln. Doch insbesondere die Vehemenz des angriffslustigen, mitunter polternden Luther, und schließlich die Gewalt, mit der die Reformation sich Bahn brach, schreckten den sanften, um Eintracht bemühten Gelehrten ab. Luthers unbedingtem Wahrheitsanspruch erteilte er eine Absage. Zumal, wenn es um Überzeugungen gehe, die nicht letztgültig entschieden werden könnten.

    "Die Summe unserer Religion ist Frieden und Einmütigkeit; aber diese können kaum bestehen, wenn wir nicht so wenig wie möglich definieren; und wenn wir nicht in vielen Dingen dem einzelnen überlassen, seinem eigenen Urteil zu folgen; denn viele Dinge sind sehr dunkel [ ... ]"

    Lösungen für die Konflikte seiner Zeit erwartete Erasmus nicht von Revolutionen, sondern von Bildung und Erziehung zu friedlicher Gesinnung. Martin Luther hätte den angesehenen Gelehrten gern ganz auf seiner Seite gehabt. Enttäuscht urteilte er:

    "Erasmus ist schlüpfriger als ein Aal, [ ... ]. Er will auf Eiern gehen und doch keines zertreten, sagen und nicht sagen, schießen und nicht schießen."

    An der vorsichtig-abwägenden Haltung des Wissenschaftlers Erasmus von Rotterdam scheiden sich auch heute die Geister: War er ein Leisetreter und Opportunist, der sich aus den Konflikten seiner Zeit heraushielt? Oder ein besonnener Streiter für Frieden und Toleranz – wie es jedenfalls der evangelische Theologe und Arzt Albert Schweitzer anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises meinte:

    "Ich bekenne mich zu der Überzeugung, dass wir [das Problem des Friedens] nur dann lösen können, wenn wir den Krieg, [ ... ] verwerfen. Schon Erasmus von Rotterdam und einige nach ihm haben dies als die Wahrheit verkündet, die es einzusehen gilt."