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"Ich gehe davon aus, dass die Ziele bis 2012 erreicht werden"

Anlässlich der Weltklimakonferenz im kanadischen Montréal hat der Direktor der UNO-Umweltbehörde UNEP, Klaus Töpfer, mehr Anstrengungen für den globalen Klimaschutz gefordert. Er gehe zwar davon aus, dass die Ziele des Kyoto-Protokolls bis 2012 erreicht würden, jedoch sei die ganze Welt in wirtschaftliche Abhängigkeit von kohlenstoffhaltiger Energie geraten. Das müsse jetzt geändert werden, fügte Töpfer hinzu.

Moderation: Jochen Spengler | 28.11.2005
    Jochen Spengler: Die Erde wird wärmer. Die Gletscher, die Eisflächen an den Polen schmelzen. Der Meeresspiegel steigt. Wetterextreme nehmen zu, auch bei uns. Das sind die Fakten. Und auch die Folgen sind kaum bestreitbar. Ganze Inseln und tief gelegene Landstriche werden irgendwann verschwinden, mit ihnen Tiere und Kulturen. Ursache für den Klimawandel ist, so vermutet man, der Mensch und das, was er täglich in die Luft pusten lässt, Treibhausgase wie Kohlendioxid. Im japanischen Kyoto haben sich vor acht Jahren die Industrienationen in einem Protokoll dazu verpflichtet, den Ausstoß von sechs Treibhausgasen zu senken. Bis zum Jahr 2012 will man auf einem Niveau landen, das 5,2 Prozent unter dem Ausstoß liegt, der 1990 weltweit registriert wurde. Heute nun beginnt im Kanadischen Montreal eine neue Verhandlungsrunde. Zwei Wochen lang werden 10.000 Experten und Politiker darüber diskutieren, wie man das Klima nach dem Jahr 2012 schützen soll. Am Deutschlandfunk-Telefon begrüße ich Professor Klaus Töpfer, den ehemaligen Bundesumweltminister und jetzigen Direktor des UNO-Umweltprogramms UNEP. Guten Morgen, Herr Töpfer.

    Klaus Töpfer: Einen schönen guten Morgen.

    Spengler: Herr Töpfer, kommen wir im Klimaschutz überhaupt voran?

    Töpfer: Ganz eindeutig ja, nicht schnell genug, wie wir es müssen, nicht breit genug angelegt. Für die Zukunft muss wesentlich mehr geschehen. Aber es gibt keinen Grund zur Resignation, nebenbei wir haben auch keine Berechtigung dazu. Die Konsequenzen des Klimaschutzes sind so weit reichend für alle Menschen dieser Welt, dass es wirklich unverantwortlich wäre, auch nur eine Minute darüber nachzudenken, dass hier ein Stillstand oder ein Rückschritt möglich wäre.

    Spengler: Geht man denn in Montreal nicht den zweiten Schritt vor dem ersten? Also müsste man nicht zunächst einmal dafür sorgen, dass die Kyoto-Ziele bis 2012 überhaupt erreicht werden, ehe man sich um die Zeit ab 2013 kümmert?

    Töpfer: Ich gehe davon aus, dass die Ziele bis 2012 erreicht werden. Dass das nicht leicht ist, das war von Anfang an jedem bewusst. Sie müssen ja sehen, wir müssen wirklich die Richtung grundsätzlich ändern. Die Wirtschaften der Welt sind alle in eine sehr kohlenstoffhaltige intensive Energieabhängigkeit hineingekommen. Und das muss jetzt geändert werden. Das sind schwere, auch schmerzliche Prozesse. Aber es sind Prozesse, die ohnedies gegangen werden müssen, nicht nur mit Blick auf den Klimaschutz, sondern auch mit Blick auf die ökonomischen Entwicklungen. Wenn man 1,2 Milliarden Menschen, die gegenwärtig noch in der Welt in absoluter Armut leben, aus dieser Armut herausholen will, dann braucht man mehr Energie, dann braucht man andere Energiequellen. Also es muss ohnedies geschehen, es muss nur schneller passieren und es kann schneller passieren, weil die Technologien auch entwickelt sind. Die müssen eben nur umgesetzt werden.

    Spengler: Haben wir denn die richtigen Mittel? Also, die Technologien haben Sie schon angesprochen. Es gibt ja nun Staaten, wie die USA, wie China, Indien, die setzen gerade auf die neue Technologie, zum Beispiel darauf, Kohlendioxid besonders zu lagern anstatt Energie einzusparen. Ist das der richtige Weg?

    Töpfer: Ich glaube kaum, dass das vornehmlich bei den von Ihnen genannten schnell wachsenden Entwicklungsländern der Fall ist. Das einzige Land der Welt, das ein Ministerium für alternative Energien hat, ist Indien. Das einzige Land, das sich mit massiver Intensität darum kümmert, unabhängiger zu werden, von Öl und Mineralöl und Kohle, sind genau diese schnell wachsenden Entwicklungsländer. Denn Sie müssen ja sehen, dieser Wachstumsprozess kostet mehr Energie. Bleibt das nur bei Kohle, Mineralöl und Gas, dann weiß jeder, dass wir damit enorme Kostenentwicklungen bekommen. Und diese Kostenentwicklungen können beim allerbesten Willen nicht aufgefangen werden. Die werden den Entwicklungsprozess belasten. Und von daher gesehen, bin ich sehr der Überzeugung, dass es im eigenen Interesse dieser Ländern steht, eine breitere Energieversorgungsstruktur und höhere Energieeffizienz zu haben.

    Spengler: Es ist ein bisschen schwer zu verstehen. Ich vermute, das war ein Flugzeug, das gerade gestartet oder gelandet ist. Herr Töpfer, nun sagen gerade die Entwicklungsländer, nun lasst uns doch erst einmal wirtschaftlich aufholen, lasst uns erstmal die Entwicklung nachvollziehen, die ihr schon hinter euch habt, ehe wir an Umweltschutz denken können. Was sagt man solchen Ländern?

    Töpfer: Solche Länder haben natürlich viele Fakten auch für sich. Sehen Sie, ein durchschnittlicher Chinese, verbraucht pro Jahr drei Tonnen CO2, ein durchschnittlicher Amerikaner 22 Tonnen. Jetzt kann ich ja nicht beim besten Willen damit anfangen und sagen, also, es wird zunächst einmal bei uns gespart, bei uns umgesteuert. Wir haben eine gemeinsame aber unterschiedliche Verantwortung für den Klimaschutz. Das ist die Sprache, die wir auch sehen müssen. Also das ist das erste, was man verstehen sollte, wo man diese Länder nicht anklagen kann. Ein zweites, um es noch einmal zu sagen: Für ihren Wachstumsprozess brauchen diese Ländern mehr Energie. Sind sie nur abhängig von Kohle, Mineralöl und Gas, wird das zu einer deutlichen Preisentwicklung kommen. Es ist also in ihrem eigenen Interesse, dass sie alles dransetzen, um eine breitere Energieversorgung, höhere Energieeffizienz zu bekommen. Und gleichzeitig damit auch dem Klimawandel vorzubeugen, der ja auch für sie wiederum massive negative Konsequenzen hat.

    Spengler: Kommen wir auf ein anderes Land, das immerhin für ein Viertel aller Treibhausemissionen verantwortlich ist, die Vereinigten Staaten von Amerika, die haben das Kyoto-Protokoll bekanntlich nicht unterzeichnet. Sehen Sie denn nach den Naturkatastrophen, die sich nicht zuletzt in diesem Jahr in den USA abgespielt haben, dort Zeichen eines Umdenkens?

    Töpfer: Ich sehe in den Vereinigten Staaten außerordentlich viel engagierte Klimapolitik, ganz sicherlich nicht unmittelbar von der Administration in Washington. Aber wenn Sie sich das ansehen, was in den einzelnen Bundesländern passiert, wenn Sie wissen, wie die Energiepolitik sich in Kalifornien darstellt, und damit auch die Klimapolitik, wenn Sie sehen, wie große weltweit agierende Unternehmen sich solche Ziele setzen, dann weiß man, dass dies eben eine Notwendigkeit ökonomischer und ökologischer Art ist. Ich glaube, dass wir diese Entwicklung sehr nachhaltig auch mit unterstützen sollten, wo immer es geht, was wir auch tun. Und dass wir von daher gesehen eine breite Phalanx, auch global, auch unter Einschluss vieler, vieler Initiativen der Vereinigten Staaten von Amerika voranbringen.

    Spengler: Darf ich das mal übersetzen, das heißt Sie setzen auf den Nachfolger oder die Nachfolgerin von George W. Bush?

    Töpfer: Dies ist eine Übersetzung, die Ihre ist. Die ist nicht meine Übersetzung. Ich sehe ganz, ganz deutlich, dass wir auch über 2012 hinaus uns darum kümmern müssen, wie können wir die Adressaten erweitern, wie können wir Industriesektoren mit einbinden, ihnen Zielsetzungen geben. Wir müssen über 2012 hinaus noch fragen, wie können wir etwa Kommunen mit Klimaprogrammen, die ja engagiert gemacht werden, Agenda-Prozesse, wir können wir das besser nutzen. Also über 2012 hinaus gilt das bei uns und gilt das ganz sicherlich auch in den Vereinigten Staaten, dass wir die Adressaten verbreitern müssen, ohne die staatlichen Verpflichtungen zur Einhaltung bestimmter Minderungsziele zu lockern.

    Spengler: Ist ein Weg der Weg zurück zur Atomkraft, wie ihn zum Beispiel Finnland geht oder vielleicht auch wie er möglicherweise in Großbritannien gegangen wird?

    Töpfer: Die Kernenergie spielt in der Welt sicherlich eine ganz erhebliche Rolle, nicht nur in diesen beiden Ländern, die Sie genannt haben. Wir wissen das von Südafrika etwa, wir sehen das in China. Dies ist ganz ohne jeden Zweifel wiederum sehr stark auch wirtschaftlich mitbedingt. Wenn Sie sehen, dass gegenwärtig etwa zwei Milliarden Menschen auf dieser Welt von den etwa 6,3 Milliarden, die insgesamt hier leben, keinen Zugang zu moderner Energie haben, dann werden Sie sehen, dass einzelne Ländern sich in breiter Weise auch darüber Gedanken machen. Dies ist glaube ich nicht unter dem Gesichtpunkt der Klimapolitik zu sehen, sondern ist darunter zu sehen, sondern dass dies eine allgemeine konstatierende Feststellung ist. Wir haben weit über 440 Kernkraftwerke auf dieser Welt, und es muss uns allen darum gehen, dass die auf jeden Fall sicher betrieben werden, dass man die Fragen der Abfallentsorgung dort sehr ernst nimmt. Und ich weiß, dass die Kollegen in Wien von der Internationalen Atomenergieorganisation, unter denen Friedensnobelpreisträger El Baradei, engagiert daran arbeiten, dass dies auch der Fall ist.

    Spengler: Wäre das auch für Deutschland ein Weg, den Sie befürworten würden?

    Töpfer: Ich habe das eine nicht befürwortet. Und es geht hier nicht darum, dass ich etwas befürworte. Was ich beschrieben habe, sind die Tatsachen, denen wir uns gegenüber sehen und mit denen wir uns zu beschäftigen haben.

    Spengler: Gestatten Sie noch etwas Persönliches zum Schluss, Ihre Amtszeit als Chef des UNO-Umweltprogramms endet im kommenden Februar. Stimmt es, dass Sie dann von Nairobi nach Berlin ziehen werden?

    Töpfer: Also zunächst einmal endet sie im kommenden Ende März. Ich freue mich darüber, dass ich einige gute acht Jahre da verbringen konnte und vielleicht dazu beigetragen habe, dass die Umweltpolitik weltweit ein Profil auch gewonnen und erhalten hat. Und dann werden wir sehen, was wir danach machen. Es ist eine gute Regel bei den Vereinten Nationen, dass man nicht vorher ankündigt, was man hinterher macht, um dann noch einige Monate da zu arbeiten. Also lassen Sie mich auch diese gute Übung einhalten.

    Spengler: Und dass Sie für die CDU als regierender Bürgermeister Berlins kandidieren würden, ist ein Gerücht?

    Töpfer: Ach wissen Sie, ich habe doch gerade einigermaßen vernünftig beantwortet, wie ich glaube. Das müssen Sie natürlich beurteilen, ob es vernünftig war. Aber ich möchte mich dazu im Augenblick doch wirklich nicht äußern. Ich sage noch einmal, ich bin noch vier lange Monate, interessante und wichtige Monate für diese großartige Organisation der Vereinten Nationen zuständig und tätig, und das will ich mit aller Kraft und mit allem Nachdruck tun. Und dann wird man sehen, was man noch weiter tun kann.

    Spengler: Professor Töpfer, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Töpfer: Danke Ihnen auch, auf Wiederhören.