Samstag, 04. Mai 2024

Archiv


'Ich leide nicht, ich lebe!'

Also ich speziell kann von mir sagen, dass ich nicht das Gefühl habe, zu leiden. Ich lebe furchtbar gerne, ich genieße das Leben. Die Mukoviszidose ist für mich halt eine Herausforderung, die einige Zeit pro Tag in Anspruch nimmt für Therapie, mich aber ansonsten kaum einschränkt. Ich weiß, dass Leute, die einen schwereren Verlauf haben, das natürlich anders erleben und dafür habe ich auch volles Verständnis. Aber ich bin dagegen, dass Mukoviszidose so dargestellt wird, als ob das ein Leiden schlechthin wäre.

Veronika Neukum | 22.04.2003
    Stephan Kruip lebt nun schon im 38sten Jahr mit der erblichen Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose. Ein einziges verändertes Gen reicht aus, um den Stoff- und Wasserhaushalt der Zellen im ganzen Körper zu blockieren. Die Folge: ein zäher Schleim verstopft lebenswichtige Organe, wie Lunge und Bauspeicheldrüse. Das Durchschnittsalter von Mukoviszidose-Patienten liegt bei 12 Jahren. Stephan Kruips Schwester starb bereits als sie 6 war. Dass er selbst inzwischen mehr als das dreifache Durchschnittsalter erreicht hat, verdankt er verbesserten Therapie-Möglichkeiten. Mit 18 habe er sich noch überlegt, ob es sich überhaupt lohnen würde, ein Studium anzufangen, erzählt er. Heute ist er verheiratet, hat drei Kinder, arbeitet als Diplom-Physiker im Hauptberuf und als Sprecher des Bundesverbands Mukoviszidose e.V. – im Ehrenamt.

    Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, dass die Lebenserwartung immer ungefähr bei vier Jahren liegt, bei noch vier Jahren, und ich nehme darauf nicht mehr allzu viel Rücksicht. Ich beobachte meinen eigenen Krankheitsverlauf und versuche meine Therapie optimal zu machen und bin recht optimistisch.

    Mit Hilfe einer ethisch und verfassungsrechtlich höchst umstrittenen genetischen Test-Methode – der sogenannten Präimplantationsdiagnostik, kurz PID, soll erblich belasteten Risikopaaren künftig zu gesunden Kindern verholfen werden. Das hört sich gut an, hieße in der letzten Konsequenz aber auch, dass es, wenn es nach dem Willen von Fortpflanzungsmedizinern und Genforschern geht, Menschen wie Stephan Kruip in Zukunft nicht mehr geben soll.

    Dazu müsste allerdings das Embryonenschutzgesetz geändert werden, das grundsätzlich Gentests am Embryo verbietet. Eine begrenzte Zulassung der PID in höchstens 100 Fällen pro Jahr empfiehlt nun auch der Nationale Ethikrat.

    Wohlweislich hat das kurzerhand vom Bundeskanzler eingesetzte Gremium aus Wissenschaftlern und Politikern die Gendefekte und chromosomalen Störungen nicht einzeln benannt, die mit Hilfe dieser Diagnosemöglichkeit bereits am achtzelligen Embryo ins Visier genommen werden sollen. Behinderte und Kranke könnten sich diskriminiert fühlen, hieß es. Stephan Kruip störe jedoch massiv, sagt er, dass ausgerechnet die Mukoviszidose immer als Paradebeispiel herhalten müsse. Nicht weil die Erkrankung so schrecklich sei, sondern weil ihre monogenetische Ursache – der Defekt sitzt nur auf einem Gen – es leicht mache, die betroffenen Embryos zu identifizieren und auszusortieren. So zu tun, als könne man mit vorgeburtlicher Diagnose – egal ob im Reagenzglas oder im Mutterleib – langfristig Behinderungen aus der Welt schaffen, sei unredlich und nichts als Augenwischerei.

    In der Presse steht: Mit der PID kann man Mukoviszidose vermeiden, was so nicht stimmt. Also man kann nicht die Zahl der Patienten verringern, aber dass in der Gesellschaft die Illusion entsteht, man könne Behinderte durch solche Methoden vermeiden, oder die Zahl an behinderten Menschen reduzieren, und dann die Bereitschaft natürlich sich verringert, für diese Behinderten was zu tun. Und das vor dem Hintergrund, dass es ja heute schon so ist, dass die ca. 3000 Erwachsenen mit Mukoviszidose, die es ja vor 20 Jahren noch nicht gab - das ist eine aufgrund der gesteigerten Lebenserwartung erst herangewachsene Patientengruppe - dass die nicht optimal versorgt wird. Die werden nämlich zu 70 Prozent noch in Kinderkliniken behandelt diese Erwachsenen, weil die internistischen Kliniken dafür nicht bezahlt werden. Und vor diesem Hintergrund haben wir schon große Sorge, dass sich diese Tendenz verstärkt.

    Die Präimplantationsdiagnose - kurz PID - ist ein komplizierter und riskanter gentechnischer Eingriff nach künstlicher Befruchtung im Labor. Drei Tage nachdem Ei- und Samenzellen in der Petri-Schale verschmolzen sind, entnimmt der Arzt eine von den inzwischen gewachsenen acht embryonalen Zellen und untersucht sie auf mögliche Schäden. Besteht der Embryo den Test, landet er in der Gebärmutter. Wird an ihm eine Anomalie entdeckt oder auch nur vermutet, landet er im Eimer.

    Diese Selektionsmöglichkeit der Fortpflanzungsmedizin erhitzt die Gemüter. Gegen die Absicht, erblich belasteten Paaren zu gesunden Kindern zu verhelfen, könne niemand etwas haben wollen, sagt etwa der Behindertenbeauftragte und Bioethik-Experte der CDU-Fraktion im Bundestag Hubert Hüppe. Niemand wünsche sich, ein behindertes Kind. Die Frage sei nur, ob Selektionsmethoden angewendet werden dürften, die bereits entstandenes Leben im Labor aussortierten:

    Es geht ja nicht darum, Erbkrankheiten auszurotten, sondern es geht ja offensichtlich darum, erbkrankes Leben auszusortieren. Früher hat man mal gesagt, "erbkranken Nachwuchs" zu vermeiden. Und das ist aus meiner Sicht schon ein neue Dimension der Eugenik, wenn man z.B. sagt, wir machen das jetzt als Screening bei Embryonen über die Fortpflanzungsmedizin und wollen dann praktisch das Desingerkind nur noch gebären lassen, indem wir schon über die künstliche Befruchtung garantieren, dass bestimmte Gene in einem Menschen nicht vorhanden sind.

    "Screening" heißt soviel wie "Überprüfung und genetische Erfassung ganzer Bevölkerungsgruppen". Bezogen auf die PID würde das bedeuten, dass bei jeder In-vitro-Fertilisation, also bei jeder künstlichen Befruchtung, die Embryonen nach Qualitätsstandards untersucht würden.

    Noch ist in Deutschland die Präimplantationsdiagnostik durch das Embryonenschutzgesetz verboten, weil - so die Begründung – bei dieser Methode menschliches Leben bereits v o r der Schwangerschaft einer Qualitätsprüfung unterzogen und zwischen lebenswertem und nicht lebenswertem Leben unterschieden wird. Diskriminierung und gesellschaftliche Marginalisierung von behinderten Menschen befürchten Kirchen, Sozial- und Behindertenverbände. Stefan Heinik, vertritt als Sprecher des Deutschen Behindertenrates an die 80 Behinderten-Verbände – er protestiert gegen eine Zulassung des Gentests am Embryo:

    Der deutsche Behindertenrat lehnt solche medizinischen Verfahren ab, um normiertes Leben herzustellen. – Wer will denn sagen, ob man diese oder jene Anomalie durchgehen lassen kann. Wer will das entscheiden? Das ist doch auch im Grunde genommen auch medizinisch nicht entscheidbar, weil er, wenn der Mensch dann geboren ist, in ein soziales Gefüge hineingeboren wird, wo auch ganz andere Möglichkeiten entstehen können. Das sehen wir ja auch an historischen Persönlichkeiten in unserer Geschichte, die ja mitunter auch nicht dem Normtypus ihrer Umgebung oft entsprochen haben. Oder Künstler.

    Viele Fragen bleiben offen. Wird die embryonale Qualitätskontrolle, wenn sie erst einmal zugelassen ist, überhaupt zu beschränken sein? Wer sortiert und welche vermuteten Gen-Schäden sollen heraussortiert werden? Und welche Kriterien werden der Entscheidung zugrunde gelegt? Das unterstellte mühsame Leben eines vielleicht behinderten Kindes und oder die unterstellte Mühe der betroffenen Eltern? Oder werden es die eventuell entstehenden Kosten sein, die als Selektionskriterium herangezogen werden? Hubert Hüppe:

    Aber die Frage ist ja, wen will man denn eigentlich noch aussortieren? Wenn man sagt, nur schon die Möglichkeit vielleicht einer Erkrankung führt dazu, dass ein Embryo zerstört wird, macht ja deutlich, wohin der Weg geht, und dass man es eben nicht eingrenzen kann. Die nächste Frage wird sein, was ist, wenn man feststellt, dass es sich um einen weiblichen Embryo handelt und der hat das BaCaGen 1 oder 2, also eine erhöhte Wahrscheinlichkeit auf Brustkrebs, wird man das dann aussortieren, oder wird man’s nicht aussortieren. Und wie sieht das aus beim Apoé-Gen, wo man eine erhöhte Wahrscheinlichkeit auf Alzheimer-Erkrankung hat, aber nie weiß, ob es wirklich ausbricht. Wird man die aussortieren, oder nicht. Und wie werden Krankenkassen darauf reagieren, wenn man sagt, o.k. ich nehme das Kind trotzdem. Dieses Problem haben wir ja schon bei der Pränataldiagnostik, also, dann wenn eine Schwangerschaft entstanden ist.

    Die Fortpflanzungsmedizin ist seit jeher ein Experimentierfeld. Die Experimente, mit dem Ziel, neues und vor allem gesundes Leben zu schaffen, gehen nicht selten schief, verlaufen manchmal sogar tödlich. Die Erfolgsquote der "Babymacher" lässt zu wünschen übrig. Ein Beispiel: Bei der sogenannten ICSI-Methode, so wird die Mikro-Insemination abgekürzt, kann durch den Einstich der Hohlnadel, die den Samen in die Eizelle bringt, diese verletzt werden. Das hat vermehrt Babys mit Behinderungen zur Folge, wie zahlreiche Studien belegen. Dazu kommt das Problem der Früh- und Mehrlingsgeburten, wie der Chefgynäkologe der Berliner DRK-Frauenklinik Prof. Heribert Kentenich selbstkritisch einräumt:

    Die Reproduktionsmediziner sollten nicht hingehen und sagen: "Gnädige Frau, wir machen mal Retortenbefruchtung und Sie werden schwanger und ein Kind bekommen. Das ist falsch. Man muss die ehrlichen Zahlen sagen. Und die ehrlichen Zahlen sind Schwangerschaftsraten von 25-30 Prozent, aber nicht Geburtenraten, sondern Geburtenraten von etwa 15, vielleicht 20 Prozent, bei jüngeren Frauen durchaus 20 Prozent. Das sind die Geburtenraten pro Behandlungszyklus. Wir müssen noch über Fehlgeburten informieren, wenn eine Frau schwanger ist – also in etwa 30 Prozent - dann hat sie trotzdem eine gehäufte Rate an Fehlgeburten. Ich würde das ernste Problem insbesondere bei den Mehrlingsgeburten sehen. Nach reproduktionsmedizinischen Maßnahmen sind mindestens 20 Prozent Mehrlinge. Mit Zwillingen kann man noch einigermaßen umgehen in der geburtshilflichen Situation, mit Drillingen ist es aber ein ernstes Problem. Insofern muss die Reproduktionsmedizin alle Anstrengungen unternehmen, diese Mehrlingsrate zu senken.

    Dass diese Zahlen, die jahrelang niemanden zu stören schienen, jetzt von den Fortpflanzungsfachleuten überraschend offen behandelt werden, könnte damit zu tun haben, dass neue Verfahren auf ihren Einsatz warten. Schon seit Jahren sind den Repro-Medizinern und Stammzellenforschern durch das strikte deutsche Embryonenschutzgesetz die Hände gebunden, nicht nur, weil es Gentests am Embryo unter Strafe stellt. Mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe wird laut Paragraph 1, Abs. 5, Embryonenschutzgesetz auch bestraft, - so wörtlich - "wer es unternimmt, mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen".

    Und das ist das Dilemma: Pro Zyklus dürfen nur drei Eizellen befruchtet werden. Die wenigsten davon sind entwicklungsfähig. Nach dem neuesten Stand der Forschung sind bei einer 40jährigen Frau bereits 60 Prozent der im Labor gezeugten Embryonen chromosomal nicht in Ordnung. Durch die Aufweichung des Embryonenschutzes – also etwa die Zulassung der Präimplantationsdiagnose sowie die Freigabe der Embryonen-Zahl – hoffen die Fortpflanzungsmediziner ihre Erfolgsquoten erheblich verbessern zu können, wie Prof. Heribert Kentenich bestätigt:

    Das was konkret zu verändern wäre, wäre, dass die Zahl der Eizellen, die befruchtet werden kann, höher sein kann als drei, und dass man aus den Embryonen dann auswählen kann diejenigen, die tatsächlich zu einer Schwangerschaft führen, so dass es dann möglichst nur zur Einlings- oder zur Zwillingsschwangerschaft kommt. Also das sollte geändert werden. Dann muss man sich gut überlegen, ob eine Embryonenforschung möglich ist. Es gibt einige Elemente, die dafür sprechen, andere die dagegen sprechen. Zur Zeit ist das verboten im Embryonenschutzgesetz. Ich würde das nicht so apodiktisch als Verbot ansehen.

    Also nicht nur der Gen-Check, auch die Forschung am Embryo sollte zugelassen werden. Diese Forderung der Genforscher und Reproduktionsmediziner unterstützt vehement auch Detlef Parr, der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. Parr beurteilt das Embryonenschutzgesetz von 1991 als überholt und ausgesprochen forschungshemmend. Seine Fraktion habe als einzige im Bundestag den Ächtungsbeschluss zum therapeutischen Klonen nicht mitgetragen. Die Freien Demokraten setzten alles daran, damit künftig der Zugriff auf Embryonen und damit auf Stammzellen auch deutschen Forschern – "in Grenzen", wie er sagt - möglich sei. Der Gefahren der gentechnischen Möglichkeiten und der vielen ungeklärten Fragen sei man sich bei der FDP durchaus bewusst, räumt Detlef Parr ein. Der Zug sei jedoch längst abgefahren, man wolle lediglich für den Standort Deutschland retten, was noch zu retten sei.

    Das ist die Gefahr, die ich sehe, dass in der Tat einzelne Länder immer weiter vorpreschen und dadurch eine grenzenlose Entwicklung sich darstellt. Die will ich auch nicht...Wir wollen Grenzen. Wir haben das in dem PID-Gesetzentwurf sehr deutlich beschrieben. Wir wollen auch unseren Standort – Wissenschaftsstandort Deutschland, Forschungsstandort Deutschland stärken. Forschung darf nicht so begrenzt werden, dass wir uns hier der Chancen berauben, die die Zukunftsgestaltung ermöglichen. Ich glaube, wenn wir hier weiter die großen Bedenkenträger in Europa sind, unseren Wissenschaftlern hier unrecht tun, die Möglichkeiten stark eingrenzen, dass die Forschung ins Ausland geht, wie wir’s im gesamten Pharmabereich schon haben. Diesen Weg möchte ich nicht gehen.

    PID-Befürworter wie der Liberale Detlef Parr, Fortpflanzungsärzte, der Bundeskanzler und seine drei SPD-Ministerinnen im Kabinett argumentieren, mit Hilfe der Gen-Diagnostik v o r der Schwangerschaft könnten schmerzliche Spätabbrüche vermieden werden. Diese Behauptung gehe von falschen Voraussetzungen aus, kontern die Gegner. Weder "Schwangerschaft, noch Zeugung auf Probe" seien in unserem Rechtssystem zulässig. Außerdem blieben auch nach vollzogenem Test am Embryo werdenden Müttern die zahlreichen zusätzlichen pränatalen, also vorgeburtlichen Untersuchungen keineswegs erspart. Dabei könne z.B. die Fruchtwasseranalyse ihrerseits eine Fehlgeburt auslösen bzw. einen Schwangerschaftsabbruch nach sich ziehen.

    Aber warum sollte es ethisch weniger problematisch sein, der werdenden Mutter einen Schwangerschaftsabbruch zuzumuten, als drei bis vier Tage alte Embryonen zu entsorgen, die für manchen ohnehin nicht mehr sind als ein Zellklumpen? Würde nicht allein diese Abwägung f ü r die Zulassung der PID sprechen? Stephan Kruip vom Bundesverband "Leben mit Mukoviszidose e.V." :

    Es ist natürlich eine zentrale Schwierigkeit, dass man bei einem Fortbestehen des Verbots einer Frau sagen müsste, wir machen jetzt bei Ihnen eine künstliche Befruchtung. Und in der Petrischale dürfen wir nicht sortieren, wir müssen Ihnen wahllos jeden Embryo einpflanzen und dürfen nicht gucken, ob da ein genetischer Defekt vorliegt. Sobald wir den eingepflanzt haben und sie schwanger sind, können wir nachgucken und sie können auch abtreiben. Ich denke, es ist ein Unterschied, ob ich bei einer bestehenden Schwangerschaft feststelle, diese Behinderung ist für mein weiteres Leben, also aus Sicht der Schwangeren für ihr eigenes Leben so schwerwiegend, dass sie diese Belastung nicht eingehen kann. Das ist ja der Grund für die medizinische Abtreibung. Oder ob mit Hilfe der künstlichen Befruchtung so eine Notlage erst künstlich herbeigeführt wird mit ärztlicher Hilfe, um dann zu sagen, ja diese Belastung kann ich nicht ertragen, jetzt muss der Embryo verworfen werden.

    Im Bundestag regt sich breiter Widerstand. Die neue Enquete-Kommission" Recht und Ethik der modernen Medizin", die die Arbeit der Kommission der letzten Legislaturperiode fortführen soll, müsse sich dringend mit dem Thema befassen, fordern Abgeordnete aller Parteien.

    Auch der Präsident der Bundesärztekammer Jörg Hoppe macht ethische Vorbehalte gegen die genetische Untersuchung im embryonalen Frühstadium geltend. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Hamburger Ärztekammer und Vorsitzender des Marburger Bundes, warnt dringend vor den Folgen einer Zulassung der Präimplantationsdiagnostik durch das Parlament. Zahlen aus dem europäischen Ausland machen deutlich, dass die geplante deutsche Selbstbeschränkung, pro Jahr nicht mehr als 100 Paare zur PID zuzulassen, als "frommer Wunsch" gewertet werden kann. So werden laut Financial Times Deutschland allein am Brüssler Zentrum für Reproduktionsmedizin jährlich rund 360 Embryos auf Anomalien untersucht. Tendenz steigend. In Belgien bieten bereits 6 Kliniken Präimplantationsdiagnose an. Auch hierzulande ist die Einrichtung mehrerer Zentren geplant, falls der Bundestag für die PID votiert.

    Der stellvertretende Vorsitzende der parlamentarischen Enquete-Kommission bezweifelt, dass es wirklich nur um die Früherkennung von Gendefekten gehen soll. Die Reproduktionsmedizin sei einerseits ein riesiger Wachstumsmarkt mit paradiesischen Verdienstmöglichkeiten – jedes zehnte Paar in Deutschland kann inzwischen auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen – andererseits sei die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik ein weiterer Schritt, um endlich die Forschung an embryonalen Stammzellen auch hierzulande zu ermöglichen. Hubert Hüppe:

    Es geht um was anderes aus meiner Sicht. Es geht darum Forschungsmaterial zu bekommen. In Deutschland ist es so, dass – nach dem Embryonenschutzgesetz es ja eigentlich keine überzähligen Embryonen geben darf. Und es geht natürlich den Forschern darum, Embryonen zu bekommen und die Argumentation wäre ja viel einfacher ethisch durchzusetzen wenn man sagt, guck doch die sind eh kranke Menschen, oder krankes "Material" wird man dann wahrscheinlich sagen, oder Behinderte, die müssen eh vernichtet werden, ist doch gut, wenn ihr Tod dann noch der Wissenschaft dient und dann können wir die für embryonale Stammzellen-Gewinnung nutzen, und dann können wir die vielleicht sogar fürs richtige Designer-Kind nutzen, indem wir dann mal ausprobieren, ob wir die schlechten Gene nicht durch gute Gene ersetzen und den Menschen am Reißbrett produzieren.

    Rückenwind kommt aus Brüssel. In der Europäischen Union wird derzeit geklärt, ob Forscher mit EU-Fördergeldern zehntausende tiefgefrorener Embryonen aus Kliniken für künstliche Befruchtung zur "Gewebezüchtung", wie es im Fachjargon heißt, verwerten dürfen. Die Bundesregierung könnte bei diesen Verhandlungen in eine schwierige Lage geraten. Denn das deutsche Stammzellengesetz verbietet jede Nutzung von Zellen aus Embryonen, die nach dem 1. Januar 2002 getötet worden sind. Würden sich das Brüsseler Parlament und der Rat der Forschungsminister für einen freizügigeren Umgang mit menschlichen Embryonen entscheiden, könnte der Fall eintreten, dass deutsche Steuergelder in eine Forschung fließen, die in Deutschland mit Gefängnisstrafen geahndet werden kann.