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Idealbild und Wirklichkeit

Etwa 26.000 chinesische Studierende sind derzeit an deutschen Universitäten eingeschrieben. Ihr Deutschlandbild ist geprägt von Fleiß, Pünktlichkeit und dem guten Ruf deutscher Ingenieurskunst - doch die Realität sieht oft anders aus.

Von Claudia van Laak | 15.02.2011
    "Ni hao, ni hao, ni hao."

    Ni hao - das lernen Deutsche als Allererstes - "Guten Tag" auf Chinesisch.

    "Ni hao, ni hao, ni hao."

    Dumm nur, dass junge Chinesen diese in Deutschland gelehrte Grußformel nur noch wenig nutzen. Sie sagen stattdessen:

    "Hey, hallo, hey. "

    Ein gutes Beispiel dafür, dass man in Deutschland bei der Vermittlung von chinesischer Sprache, Kultur und Landeskunde nicht unbedingt auf dem neusten Stand ist – meint Yue Liu, Autorin eines Buches über deutsch-chinesische Kommunikation:

    "Ein gewisser Wandlungsprozess ist seit Langem im Gange und das müssen auch Deutsche wissen, die mit China zu tun haben wollen."

    Für ihre empirische Untersuchung hat Yue Liu - Lehrbeauftragte an der TU Berlin – sowohl chinesische Studierende in Deutschland befragt als auch deutsche, die in China waren. Sie hat festgestellt: Chinesen hatten sich besser auf ihren Studienaufenthalt in Deutschland vorbereitet als umgekehrt. Und zweitens: Das Chinabild der Deutschen hat sich nach ihrem Aufenthalt dort positiv verändert, bei den Chinesen war es umgekehrt.

    "Bei den chinesischen Studenten stellt man fest, dass viele vor ihrem Deutschlandaufenthalt ein idealisiertes Bild von diesem Land hatten, und dieses idealisierte Bild hat sich dann negativ verändert."

    Pünktlichkeit, Fleiß, Disziplin und Ordnungssinn. Deutschland als das Land von Goethe und Schiller, Bach und Beethoven, VW und Mercedes – und natürlich das der deutschen Fußballnationalmannschaft.

    "Deutschland wird nach der standardisierten Übersetzung 'Land der Tugend' genannt und das bildet eine sehr große Attraktion für Jugendliche in China."

    Wer ein solch idealisiertes Bild hat, der muss es Lius Untersuchung zufolge relativieren, wenn er nach Deutschland kommt. Auch Aizhen Xu ging es so – sie promoviert derzeit an der TU Berlin im Fach "Deutsch als Fremdsprache." Und ist:

    "Enttäuscht auch ein bisschen, wie zum Beispiel bei der Pünktlichkeit, bei der Sachlichkeit manchmal auch. Die meisten Deutschen sind sehr ordentlich, aber manche auch sehr chaotisch."

    Aizhen Xu führt die vorab geprägten Bilder vom jeweils anderen Land auch auf den Einfluss der Medien zurück – in China gäbe es eine sehr positive Berichterstattung über Deutschland, in Deutschland dagegen eine sehr kritische über China – meint die 27-Jährige.

    Alexander Bujotzek bestätigt das. Der 28-Jährige promoviert gerade im Fach Bioinformatik und war schon zweimal in China. Er ist allerdings nicht mit einem negativen Bild dorthin gereist, eher mit einem verklärten – und musste es auch korrigieren:

    "Natürlich haben beim ersten Mal in China meine romantischen Vorstellungen gelitten. Es ist schon sehr verwestlicht in den Großstädten. Zunächst mal war ich überrascht, dass das kommunistische System nicht mehr so präsent ist, es ist doch ein gnadenloser Kapitalismus geworden, so vom ersten Eindruck."

    Die kulturellen Unterschiede werden immer kleiner, hat Buchautorin Yue Liu beobachtet. Die rasante Modernisierung Chinas, die Globalisierung und das Internet führten dazu, dass deutsche und chinesische Studierende sich heute gleich kleideten und dieselbe Musik hörten. Ein Ergebnis ihrer Studie sei,
    "dass die größte Störung in der deutsch-chinesischen Kommunikation bei den jüngeren Leuten nicht überwiegend in den kulturellen Unterschieden begründet ist, sondern in der mangelnden Sprachkompetenz."

    Also: Bitte weiter üben!

    "Hey, hallo, hey."

    Statt:

    "Ni hao, ni hao, ni hao."