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Im Zeichen von Loyalität und Pflichtbewusstsein

Er ist diskret, strebsam und geräuschlos. Doch zuletzt war der Verteidigungsminister Thomas de Maizière provokant in die Öffentlichkeit getreten - mit Äußerungen zur Truppenmoral und zu Kampfdrohnen. Jetzt erscheint ein Gesprächsband mit ihm, das die Frage aufwirft: Empfiehlt sich hier einer für noch höhere Aufgaben?

Von Moritz Küpper | 15.04.2013
    Nein, ruhig war es nun wirklich nicht rund um Thomas de Maizière in diesen ersten Monaten diesen Jahres: Als Verteidigungsminister ist er zwar deutlich häufiger in den Medien als zu seinen Zeiten als Kanzleramtsminister, aber diese neue Öffentlichkeit, sie hat keine strukturellen Gründe, es lag auch nicht am neuen Buch über de Maizière, sondern vielmehr an ihm selbst:

    "Die Äußerungen von Bundesverteidigungsminister de Maizière über die Moral deutscher Soldaten stoßen in der Truppe auf harsche Kritik. De Maizière hatte gesagt: Viele Soldaten hätten einen übertriebenen Wunsch nach Wertschätzung und seien vielleicht geradezu süchtig nach Anerkennung …"

    Das Interview – gegeben Ende Februar – war eines dieser Interviews, das Schlagzeilen machte, das zitiert wurde, auf das reagiert wurde. Alltag in der Berliner Republik, könnte man meinen. Und doch erscheint es an dieser Stelle wichtig. Denn seit diesem Interview wird versucht, die Person Thomas de Maizière neu zu deuten – oder dem Image des pflichtbewussten, verantwortungsvollen, fast schon steifen Adeligen weitere Facetten hinzuzufügen. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" beispielsweise steckte ihn, den – Zitat – "Besonnensten der Besonnenen" auf einmal in eine Schublade mit "Peer Steinbrück, dem Unbeherrschtesten der Unbeherrschten". Es reduziert de Maizières Äußerungen auf zwei Wörter: "süchtig" und "gieren" – Es wird spannend zu beobachten sein, wie viel von diesem Versuch hängen bleibt. In dem Gesprächsband des Journalisten Stefan Braun – der vor besagtem Interview geschrieben wurde – herrschen andere Begriffe vor. Da geht es um "dienen" oder "regieren". Das Buch ist weniger eine Biografie als ein langes, strukturiertes Interview. Autor Stefan Braun:

    "Weil ich immer den Bezug zu aktuellen politischen Fragen herstellen wollte. Das ist in einer Biografie relativ schwierig. Natürlich kannst Du es hier und da mal ein wenig machen, aber was mich gereizt hat, war, anfangend von seiner Familiengeschichte, von seinem Vater, über die Zeit an der Seite seines Cousins Lothar de Maizière bei der Wiedervereinigung, über die Zeit in Ostdeutschland, bis hin zu seiner Rolle als Kanzleramtsminister, Innenminister, Verteidigungsminister, ihn aktuell auch zu befragen."

    Braun wollte reagieren können – und so Zusammenhänge besser erklären können:

    "Also, aktuell heißt sozusagen schon, philosophisch, grundsätzlich, weil Du ja nicht jetzt irgendwie die letzte Wendung der Mali-Diskussion über einen Einsatz der Bundeswehr in Mali mit ihm diskutieren kannst, weil Du weißt, ein Buch hat einen Vorlauf, es dauert dann, bis es produziert ist. Das kannst Du nicht machen, aber grundsätzlich fragen, über die CDU, grundsätzlich Fragen über, wie ist das Regieren in einem Kanzleramt, wie geht man dahin, ist man da eigentlich von Anfang an selbstbewusst oder eher unsicher? Solche Dinge wollte ich unbedingt herstellen. Deswegen war für mich einfach klar, ich will nicht nur eine Biografie schreiben, die sozusagen seine Geschichte erzählt."

    Ein weiterer Vorteil dieser Struktur: Die einzelnen Abschnitte, infrage und Antwort geteilt, sind leicht lesbar. Das Buch ist weitgehend chronologisch aufgebaut. Kindheit, Schule, Wehrdienst, Studium, Mauerfall, Lehrjahr in Ostdeutschland, Umzug ins Kanzleramt, Große Koalition sowie das zweite Kabinett Merkel. Dazwischen werden Fragen nach Werten gestellt, nach guter und schlechter Politik, nach der CDU – und der Gesellschaft allgemein.

    Zu Beginn des Buches aber steht – wenn man so will – eine politische Niederlage de Maizières. Denn im Vorwort wird geschildert, wie de Maizière – an der Seite seines Vetters Lothar – bei den Verhandlungen zur Wiedervereinigung gerne diese Zeilen als Nationalhymne durchgesetzt hätte …

    Soweit kam es nicht, doch durch die Klänge wird klar, wie viel de Maizière schon auf der politischen Bühne erlebt hat. Im Jahre 2013 ist er seit 30 Jahren in der Politik – in herausragenden Positionen.

    "Der Bundesminister des Innern Dr. Thomas de Maizière": "Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe."

    "Er ist nicht uneitel, was seinen Intellekt anbetrifft und was seine Leistungen anbetrifft in den letzten 30 Jahren. Aber er war jetzt von vorneherein niemand, der sozusagen selber darauf gedrängt hätte, ich würde jetzt mal sagen, eine Autobiografie oder so etwas zu schreiben."

    Und so fragte Stefan Braun – Redakteur im Parlamentsbüro der "Süddeutschen Zeitung" – de Maizière, bekam nach vier Wochen eine positive Antwort und traf sich zu Gesprächen, die de Maizière zwar vor dem Druck vorgelegt bekam, aber nicht eingriff. So ist ein Buch entstanden, das viel über de Maizière und seine Herangehensweise an das Leben verrät. Das Ganze hat den Charakter eines Kamingesprächs, bei dem der Ältere dem Jüngeren Ratschläge gibt. In großen Fragen, wie das Verhältnis zum Staat, bei philosophischen Fragen – aber auch für alltägliche Probleme und Situationen. Beispielsweise beim Glauben. Dazu sagt de Maizière in dem Buch:

    "Ich finde, dass Christen zuversichtlicher sind oder sein sollten als Nicht-Christen."

    Warum, fragt Braun in dem Buch nach:

    "Weil die christliche Botschaft eine frohe Botschaft ist und keine mäkelige."

    Es bleibt aber nicht nur abstrakt, sondern wird auch konkret. Beispiel Schule, bei der die Familie de Maizière eine klare Regel hat: Geschwister gehen nicht auf die gleiche Schule.

    "Die Begründung war, wir wollen, dass jedes Kind seine eigene Prägung in der Schule hat und sich entwickelt und es nicht heißt: "Ach, das ist ja der kleine Bruder!" Es sollte nicht dauernd die Möglichkeit geben zu sagen, der ist besser oder schlechter oder doofer oder sozialer oder so."

    Lebensregeln eines Ministers, sozusagen. Aber auch Sätze, die viel über den Menschen de Maizière verraten. Etwa über den Menschen, der viel umgezogen ist:

    "Ich brauche Heimat nicht als geografische Heimat. (…) Es war etwas Familiäres oder etwas Vertrautes: Deutschland, Bürgerlichkeit, Familie, ein bestimmter Lebensstil – das war für mich Heimat, aber nicht ein Ort."

    Wer eine kritische Auseinandersetzung mit dem Lebensweg, den Entscheidungen oder Äußerungen de Mazières erwartet, hat das falsche Buch in der Hand. Es wurden auch keine unliebsamen Fakten recherchiert, es gibt keine skandalösen Enthüllungen. Wobei dies nicht gleichzusetzen ist, mit einem anbiedernden Interview-Buch. Braun versteht es – und ist damit ganz auf Linie mit de Maizière – den Inhalt in den Vordergrund zu stellen. Und so kann der Leser einiges über einen Menschen lernen, der künftig wohl für viele Ämter infrage kommt: auf der Kabinettsbank, im Kanzler- oder Bundespräsidialamt oder eben außerhalb der Politik.

    Thomas de Maizière und Stefan Braun: "Damit der Staat den Menschen dient: Über Macht und Regieren", Siedler Verlag, 384 Seiten, 22,90 Euro