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"In Irland sieht man, dass die jungen Menschen ganz viel Irish Folk spielen"

Als 17-Jähriger entdeckte Petr Pandula den Irish Folk bei dem Festival, das er heute leitet. Um junge Bands zu finden, reist er immer noch über das Land, denn er meint: Über das Internet kann man eine Nation nicht verstehen lernen.

Petr Pandula im Gespräch mit Anja Buchmann | 19.10.2013
    Petr Pandula: Ich bin eben als kleiner Junge, 1968, mit meinen Eltern nach Deutschland emigriert, als die Russen in der damaligen Tschechoslowakei einmarschiert sind. Und durch die Emigration war ich von meinen tschechischen Wurzeln abgeschnitten. Als Deutscher habe ich mich auch noch nicht so gefühlt und dann kam das Schlüsselerlebnis, dass ich mit 17 Jahren mir eine Eintrittskarte für das Irish Folk Festival gekauft habe, 1976.

    Anja Buchmann: Für das Irish Folk Festival, das sie inzwischen leiten?

    Pandula: Für das Irish Folk Festival, das ich jetzt leite. Ein Mitschüler kam auf die Idee, dass wir unbedingt dahin müssen. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartet, bin hingegangen und war hinterher völlig verblüfft, wie toll Irish Folk ist. Dann habe ich sofort beschlossen: Das ist die Musik, die ich lernen will. Ich wollte dann gleich irische Tin Whistle und irischen Dudelsack lernen und in den nächsten Schulferien bin ich dann hin getrampt nach Irland und habe dann alte Opas genervt, dass sie mir Dudelsackspielen beibringen sollen.

    Buchmann: Und haben Micho Russell getroffen, der Ihnen auch das Spiel auf der Tin Whistle beigebracht hat.

    Pandula: Genau, ich hatte das große Glück, dass ich Micho Russell getroffen habe, wirklich eine damalige Legende und die Galionsfigur des Irish Folk Festivals und der fand mich irgendwie ganz nett und hat mich sogar auf seine Farm eingeladen. Wir haben uns gut verstanden, da blieb ich dann sechs Wochen bei ihm und seinen Brüdern auf der Farm, die haben mir jeden Tag ein Jig oder ein Reel beigebracht und abends war ich im Pub mit denen und hab ihnen beim Musizieren zugehört. Und tagsüber haben wir auf dem Feld zusammen gearbeitet und die Tiere versorgt. Das hab ich dann mehrere Sommer hintereinander gemacht, auch in den Winterferien, ich war immer bei den Russells.

    Buchmann: Sie leben jetzt regelmäßig für ein halbes Jahr im Jahr in Irland – wo genau leben Sie dann dort?

    Pandula: Ich bin ein bisschen verteilt zwischen der Ost- und der Westküste. An der Westküste haben wir ein Music Café und einen Music Shop in dem Dorf Doolin, das ist unweit der weltberühmten "Cliffs of Moher" in der Grafschaft Clare. Meine Frau arbeitet in einem Dubliner Krankenhaus, in einer Geburtsklinik. Während der Woche bin ich dann oft bei meiner Frau und am Wochenende düsen wir dann an die Westküste zu unserem Music Café.

    Buchmann: Jetzt haben Sie den Anspruch, als Festivalleiter und als jemand, der neue Bands entdecken möchte und muss, auch für die Agentur und das Label, die Bands nicht nur einfach über Youtube oder andere Internetportale kennenzulernen, sondern wirklich vor Ort. Stelle ich mir das so vor, dass Sie sich regelmäßig in Pubs und Clubs rumtreiben, um die Musiker zu hören?

    Pandula: Ganz genau. So mache ich das. Eigentlich ist es so, wie es schon vor 30 oder 40 Jahren gemacht wurde. So hat es auch der Carsten Linde gemacht. Als das IFF gegründet wurde, gab’s keine E-Mail, da gab’s kein Internet. Kein Musiker hatte ein Handy geschweige denn ein Festnetz-Telefon. Jedes irische Dorf hatte vielleicht einen Fernsprecher, der war entweder im Postamt oder im Pub. Dadurch musste man wirklich nach Irland reisen und da die Musiker suchen, sie im Pub anhören oder auf Festivals anhören, sich eine Meinung bilden und dann was mit denen ausmachen. Und heutzutage machen halt eben viele andere Agenturen, die gehen einfach in eine Suchmaschine und geben einen Suchbegriff und dann kommen die ganzen Bands mit ihren Websites hoch. Ich finde, das ist keine Art, wie man eine Kultur vermarkten sollte – man soll das Land verstehen. Die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten, wie sie ticken, jede Nation hat ihre eigenen Marotten, und wenn man einfach die Kultur einer Nation verstehen will, dann muss man auch mal eine gewisse Zeit mit den Menschen verbracht haben.

    Buchmann: Apropos Nöte, die die Menschen auch in Irland haben – Stichwort Wirtschaftskrise. Ich habe gelesen, dass die jungen Leute, gerade in den letzten Jahren der Krise die traditionelle Musik und die traditionellen Instrumente Irlands wieder mehr entdeckt haben. Ist das wahr, sehen Sie das auch so?

    Pandula: Auf jeden Fall, so ist es. Ich glaube, in der Rezession, wo die Menschen in ihren Grundfesten erschüttert worden sind – man hat einfach den Glauben an die Regierung verloren, an die Banken sowieso, auch die katholische Kirche, die in Irland sehr lebensbestimmend war, die hat durch einen ganz schlimmen Missbrauchsskandal an Glaubwürdigkeit verloren und dadurch haben die Menschen bestimmte Dinge, die ihnen Halt und Orientierung gaben, das war plötzlich weg. Dann haben sie gesehen: Aber wir haben unsere gälischen Sportarten, wir haben unsere Musik, unseren Gesang, unseren Stepptanz … das ist unsere DNA. In Irland sieht man, dass die jungen Menschen ganz viel Irish Folk spielen. Wir brauchen uns überhaupt gar keine Sorgen zu machen, dass Irish Folk aussterben oder langweilig werden könnte, denn die jungen Musiker sind technisch unglaublich gewieft und entwickeln die Musik weiter. Ich denke, die nächsten zehn, 20 Jahre werden für uns und das Irish Folk Festival weiterhin sehr attraktiv und aufregend bleiben.