Dienstag, 19. März 2024

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Indie-Rockband The Notwist
"Wir machen keine Kompromisse"

Die deutsche Band The Notwist um die Brüder Markus und Micha Acher hat sich in den vergangenen 25 Jahren von (Punk-)rockigen Anfängen bis zur intelligenten, gern melancholischen Fusion von Elektronik und komplexer Popmusik entwickelt. Und trotz des fortgeschrittenen Alters sind The Notwist weiterhin auf der Suche nach neuen musikalischen Wegen.

Von Anja Buchmann | 19.02.2017
    Ein Mann steht auf einer Bühne, schaut auf die Gitarre in seinen Händen.
    Markus Acher von The Notwist beim Festival "Rocken am Brocken". (imago/Christian Grube)
    The Notwist, die Acher-Brüder, Weilheim bei München. Drei Begriffe, die zusammen gehören. Und mit denen viele Musikbegeisterte in erster Linie solche Musik verbinden:
    Musik "Pick up the phone"
    "Pick up the phone" aus dem Album "Neon Golden", mit dem The Notwist 2002 den Durchbruch schaffte und gleichzeitig den Begriff "Indietronic" stark prägte – Elektronik mit Gitarrenanschlag.
    Punk, Grunge und Hardcore – die Anfänge
    Dabei klangen sie mal völlig anders. Damals, in den 90ern. Nämlich so:
    Musik "Be reckless”
    "Ich erinnere mich an das erste Notwist-Konzert, da habe ich aber noch nicht mitgespielt. Das war das erste Mal, wo ich alleine so lange weg durfte. Habe bei einem Kumpel übernachtet – genau, das weiß ich noch."
    Was genau genommen noch vor den tatsächlichen Anfängen von The Notwist war. Aber das legendäre Konzert in Pürgen, einem kleinen Dorf bei Landsberg, scheint tatsächlich Erinnerungswert zu haben, wie Markus Acher erzählt:
    "Wir haben da gespielt damals als Vorband von den Gatecrashern, das war von einem guten Freund von uns der erste und mehr oder weniger einzige Punk - nein nicht der einzige, aber der erste Punk von Weilheim. Und wir haben da gespielt mit einem Freund von uns, Rahn Huber, war der Sänger und ein anderer Freund war der Bassist und einer Sängerin - die hat aber nach dem Konzert nicht mehr mit gesungen, weil sie mit einem anderen Punk gleich durchgebrannt ist. Mehr oder weniger. Das war ein lustiger Abend."
    Weilheim in Oberbayern. 50 km südwestlich von München. 20.000 Einwohner, viele Musiker. Ende der 80er formierte sich hier die Urbesetzung von "The Notwist". Von dem Punk-Konzert in Pürgen waren nur noch Schlagzeuger, Martin "Mecki" Messerschmid und Markus Acher übrig - und sie suchten einen neuen Bassisten.
    "Und der Micha hatte davor in einer anderen Punkband gespielt - "Greatful Punishment", auch sehr schön mit einem Freund von uns, einem Engländer und einem Amerikaner. Ziemlich durchgeknallt, aber super Band. Leider nie was aufgenommen."
    Micha: "Die Konzerte waren immer zu intensiv. - Der Markus hatte auch immer die ganzen Platten und das ganze Zeug. Das war der Nerd, der das alles gesammelt hat und wir haben Vollgas mitgemacht. Mit absolutem Stilvertrauen, was das angeht. Dass das eh alles super ist. Und das war es ja auch. Das war einfach unsere Musik damals. Dinosaur Jr. und so. Diese ganze Indie-Sache da und Hardcore-Zeug."
    Musik "Bored"
    1990 brachten The Notwist ihre erste - gleichnamige - Platte heraus; 1992 erschien die zweite mit dem Titel "Nook". Auch diese noch hart und schroff, sie zeigte aber nach den grungigen Anfangstönen des ersten Albums einen Hauch experimentelle Klänge - vor steilen Gitarrenwänden.
    Musik "The incredible change of our alien”
    Weilheim - Aufbruch zum Indietronic
    Im Rückblick wundert man sich, wie Sänger Markus Acher mit seiner sanften, zurückhaltenden Stimme gegen all den Lärm und die schreienden Gitarren bestehen konnte. Aber sein Gesang stand auch nicht im Vordergrund, er war nur ein Bestandteil des wütenden Gesamtklangs der frühen Jahre von The Notwist. Vielleicht ein aggressives Auflehnen gegen Langeweile und Abgeschiedenheit in der oberbayerischen Provinz. Im kleinen Städtchen Weilheim, das Mitte der 90er ganz Deutschland auf seine Musikszene aufmerksam machte: Getragen von den Labels Hausmusik, Payola und Kollaps, vom Produzenten-Duo Galore - bestehend aus Olaf Opal und Mario Thaler, die auch einige Notwist-Alben produziert haben - sowie Bands wie Lali Puna, Tied & Tickled Trio, Console und natürlich The Notwist. Mit der dritten Platte "12", veröffentlicht 1995, kamen dann zum einen ruhigere Töne ins Spiel – zum anderen die Elektronik. Damals begannen Bands und Musiker aus dem Notwist-Umfeld, sich mit Samplern zu beschäftigen. Mit dabei bzw. vorneweg: Martin Gretschmann.
    "Der erste, der einen Sampler bedienen konnte"
    "Er war der erste, der einen Akai-Sampler hatte und den auch bedienen konnte vor allem, das war nämlich noch ein großes Mysterium. Und sehr gut bedienen konnte. Dann haben wir immer wieder Sachen mit ihm gemacht, ihn dann gefragt, ob er bei uns mitmachen wollte. Das führte von anfangs nur - weil wir noch nicht genau wussten, wie kann man das vereinen - von Samples von anderen Platten oder field recordings einzuspielen und dazu laufen zu lassen, wurde es dann bei der "Shrink" schon ein richtiges kompositorisches Element."
    Musik "Chemicals"
    Das Album "Shrink" entstand als Gemeinschaftsarbeit von Martin Gretschmann und den Acher-Brüdern. Ein Teil der Kompositionen ging von seinen Sampler- und Elektronik-basierten Motiven, Beats und Sounds aus. Knistern und Knirschen, Blubbern und Fiepen als Teil einer Musik, deren Grundgerüst nach wie vor Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang bilden. Martin Gretschmann war bis 2014 wichtiger und prägender Bestandteil von The Nowist, beteiligt auch am berühmten Album "Neon Golden", das den auf "Shrink" begonnenen Indietronic-Weg konsequent weiter fortsetzte. Die Platte wurde über 100.000 Mal verkauft, die Kritik war begeistert. Inzwischen hat sich Gretschmann aus der Band zurückgezogen - keine inhaltlichen Unstimmigkeiten, lediglich eine Frage der Zeit. Der Musiker und Elektronik-Tüftler ist nach Berlin gezogen, braucht zudem immer mehr Zeit fürs Auflegen mit seinem DJ-Projekt "Acid Pauli". Der junge Münchener Kollege Cico Beck hatte eh schon einige Konzerte für ihn gespielt und so kam es schließlich zum fließenden Übergang.
    Beck ersetzt Gretschmann
    "Cico spielt auch Perkussion, Gitarre, Keyboard - ein paar weitere Instrumente als der Martin Gretschmann. Ist nicht besser oder schlechter, einfach anders."
    Und er fügt sich gut in den Kosmos der Acher-Brüder, auch wenn der junge Zweimeter-Mann die schwierige Nachfolge eines prägenden Notwist-Musikers antritt. Cico Beck ist eben nicht nur Meister der Elektronik, der studierte Schlagzeuger interessiert sich darüber hinaus für zahlreiche Klänge und Klangerzeuger.
    "Insofern ändert sich das automatisch und hat sich in letzter Zeit sehr dynamisch entwickelt auf der Bühne. Weil es alles Musiker sind, die auf der Bühne sehr schnell und viel reagieren. Wo dann über die Konzerte hinweg wahnsinnig viel passiert. Und deshalb ist es eigentlich bei den Konzerten zwischen den Platten viel passiert. Mit dieser Live-Platte war das auch eine gute Gelegenheit, das zu dokumentieren."
    Musik "Kong"
    Markus Acher, Gesang und Gitarre, Micha Acher, Bass, Trompete, Keyboard, Cico Beck, Elektronik, Percussion, Gitarre; Max Ehwald: Keyboards und Gitarre, Karl Ivar Refseth Vibraphon und Andi Haberl, Schlagzeug. Das ist die aktuelle Besetzung von The Notwist. Dabei mit Andi Haberl und Karl Iver Refseth zwei Musiker aus dem Jazzbereich. Auch die Acher-Brüder haben Verbindungen zum Jazz - zum einen im sehr traditionellen Sinne, da sie immer mal wieder in der väterlichen Band mitspielen, den "New Orleans Dixie Stompers". Und in Formationen, wie dem Alien Ensemble oder dem Tied &Tickled Trio, finden sich deutliche Verbindungen zum modernen Jazz. Jazz - das heißt für die aktuelle Notwist-Band: Improvisation. Wenn auch natürlich nicht im Swing-Idiom.
    "Es gibt festgelegte Freiräume und dann sagt man auf Zeichen: Ab jetzt geht’s weiter. Aber was in dem Zwischenteil passiert, ist relativ offen. Eine bestimmte Grundstruktur bleibt bestehen, aber der Markus hat dann seinen Plattenspieler und macht irgendwelche Sachen, der Andi geht irgendwo anders hin und auf Zeichen geht es dann in den nächsten Teil. Das kann auch mal lang werden und müssen gar nicht frei jazzig sein - jazzig ja sowieso nicht in dem Sinne - aber die müssen nicht völlig frei werden, sondern können auch in einer total gerade technomäßigen Improvisation enden. Das ist relativ offen."
    Musik "Run run run"
    "Es gibt gar keinen wirklichen Plan, wie Notwist vorgeht beim Komponieren. Das ist auch anstrengend. Aber eigentlich ist es auch ganz gut, weil wir kein System haben und ich denke mir, bei der nächsten Platte muss es nicht wieder so sein, dass es ganz lange hin und her geht, sondern wir versuchen eigentlich immer, dass es kurz dauert. Schneller und intuitiver wieder wird. Das machen wir bei anderen Platten ganz viel inzwischen. Wo ganz schnell aufgenommen wird, Mikros hinstellen und nicht viel overdubs. Bei Notwist ist es ein anderer Prozess, weil es so viele Möglichkeiten gibt."
    Sie stellen sich immer wieder neuen Herausforderungen, die Brüder Acher: der Wechsel von Punk und Hardcore in Richtung Indietronic, das Arbeiten in verschiedenen Spuren und Schichten, wie bei "Neon Golden", die Zusammenarbeit mit Avantgarde-Jazzensembles, wie dem "Andromeda Mega Express Orchestra" oder kollektive Klang-Improvisationen, besonders auf dem 2016er Livealbum "Superheroes, Ghostvillains and Stuff". Und trotz der großen zeitlichen und musikalischen Entfernung zu ihren Hardcore-Anfangstagen: Für Markus Acher ist die musikalische Haltung von vor knapp 30 Jahren noch heute präsent.
    Präsente Punk-Wurzeln
    "Die Grundidee, eigentlich kann jeder Musik machen und es geht jetzt so um die Musik und wenn es jemandem gefällt, soll er zuhören und wenn nicht, dann muss er nicht zuhören, also dieser Grundgedanke von diesen Punk/Hardcore-Sachen und dann auch die ganze Energie. Die ist auch bei ruhigen Sachen immer noch da und manchmal bricht sie auch raus. Das ist auch das Tolle, dass wir jetzt, obwohl wir ganz andere Sachen machen, immer wieder Leute treffen, wie zum Beispiel das Gutfeeling-Label in München, die auch ganz andere Sachen machen inzwischen, aber die kommen auch alle aus dieser Ecke."
    Ein Label mit dazu gehörigem Plattenladen, das seine Musik mal beschrieb als "Caribbean Folk Trash meets Trio meets Landler meets Hank Williams meets the great Django meets ...". Bands, wie die Landlergschwister, mit Micha Acher, das Schweizer Cajun-Trio Mama Rosin oder das Ensemble des Labelchefs Andreas Stäbler: G.Rag y los Hermanos Patschekos.
    Musik "5 bucks"
    "Und dann trifft man sich und dann merkt man, man hat sofort was gemeinsam. Wo man auch merkt, das verbindet einen. Da geht es nicht um "gut spielen" oder "jemandem was beweisen", sondern um was ganz anderes, nämlich diese Energie, mit Musik etwas ausdrücken, ganz im Kleinen irgendwie einen Raum verändern. Und das ist toll."
    Musik "Gloomy planets"
    "Gloomy Planets" von The Notwist aus dem 2008er Album "The Devil, You & Me", auf dem sie nach dem stark produzierten "Neon Golden" zwischenzeitlich zurück zur Einfachheit gefunden haben. Und genau diese Wandlungsfähigkeit ist es, die The Notwist zu einer wichtigsten deutschen Bands macht. Und dennoch haben sie, auch durch die prägende sanft-nuschelnde Stimme von Markus Acher, einen hohen Wiedererkennungswert. Die Jungs stellen sich immer wieder neuen Herausforderungen, lassen Komplexes eingängig klingen und betrachten ihre elektronischen Spielereien nie nur als Selbstzweck. The Notwist lassen sich in kein Gerne pressen - zu wandlungsfähig, zu eigenständig ist ihre Musik. Neben ihren zahlreichen Band-Aktivitäten außerhalb von The Notwist und dem Label "Alien Transistor Records" schreiben Markus und Micha Acher immer mal wieder Filmmusiken. Darunter den Soundtrack zu Hans Christian Schmids preisgekröntem Polit-Thriller "Sturm". Mit dem deutschen Regisseur werkeln sie auch jetzt wieder - gemeinsam mit Cico Beck - an der Musik für eine TV-Serie, die im Sommer fertig sein soll.
    Die guten Vibes von Weilheim
    Ansonsten leben sie beide in München, haben aber noch ein gemeinsames Studio in Weilheim. Natürlich nicht mehr das aus Schulzeiten im Pfadfinderheim. Irgendwie muss es doch gute Vibes haben, das kleine bayerische Städtchen. Aber davon abgesehen sind wohl auch die Mieten günstiger.
    "Das ist in Weilheim im Industriegebiet, also außerhalb von Weilheim, wo wir herkommen. Das ist eine alte Schraubenhalle, da waren immer Schrauben gelagert. Da ist ein sehr großer Raum und ein Klo, Computer und viele Instrumente und ein Mischpult inzwischen. Und da nehmen wir auf. Proben tun wir eh fast nie."
    Musik "Into another tune"
    "Wir sind schon sehr vertraut beim Zusammenarbeiten und so, gut eingespielt. Insofern spielt es eine große Rolle und ist auch definitiv anders als mit anderen."
    Micha Acher, der kleine Bruder. Und der drei Jahre ältere Markus Acher:
    "Für uns ist es eh nicht schwierig. Vielleicht manchmal für andere Leute schwierig, weil da dann doch so eine Wand ist an Einigkeit und nicht drüber reden müssen, dass andere Leute da nicht reinkommen oder sich denken, sie könnten nichts mehr ändern. Aber das funktioniert total gut."
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