Archiv

Initiative im Saarland
Flüchtlinge im Eignungstest

Um Flüchtlinge möglichst schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sucht das Saarland mithilfe eines speziell entwickelten Kompetenztests nach Talenten von morgen. Sprachkenntnisse sind zweitrangig. Die Migranten könnten dennoch mit dem Verfahren überfordert sein, glauben Kritiker.

Von Tonia Koch |
    Ausbilder unterhält sich mit einem afghanischen Flüchtling.
    Der Kompetenztest für Flüchtlinge ist das jüngste Instrument, mit dem der saarländische Innenminister Bouillon gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit die Eingliederung von Flüchtlingen in die Gesellschaft beschleunigen möchte. (picture alliance/ dpa/ Jens-Ulrich Koch)
    Klaus Bouillon, der saarländische Innenminister, ist ein Mann der Tat. Flüchtlinge, die gute Aussichten haben, in Deutschland zu bleiben - und dazu zählen die meisten Syrer - sollte man nicht warten lassen.
    "Die letzten Monate haben gezeigt, wenn die Menschen zu lange brauchen, bis man weiß, was sie können, was sie wollen, vergeht zu viel Zeit. Es gibt Müßiggang, es gibt Ärger, es gibt Konkurrenzdenken in der Bevölkerung, damit können wir dem entgegensteuern."
    Eingliederung beschleunigen
    Der Kompetenztest für Flüchtlinge ist das jüngste Instrument, mit dem der saarländische Innenminister gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit die Eingliederung von Flüchtlingen in die Gesellschaft beschleunigen möchte. Wer jetzt in Lebach, der saarländischen Erstaufnahmeeinrichtung, aufschlägt, der kann davon ausgehen, dass sein Antrag auf Asyl in nur vier Wochen bearbeitet ist. Das hat sich bei den Flüchtlingen herumgesprochen.
    "Ich will ehrlich sein, das Lager ist gut und die Abläufe sind schneller als irgendwo sonst in Deutschland. Das steht alles im Internet."
    Kassem al Masri ist eine imposante Erscheinung. Es ist geschätzt zwei Meter lang, hat in Syrien auf hohem Niveau Basketball gespielt, und er kann Zeugnisse vorweisen, einen Universitätsabschluss in Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkt Finanzen. Erst Anfang August ist der 32-Jährige mit seiner Frau nach Deutschland geflohen und besucht bereits einen Deutschkurs.
    "Das Eis ist gebrochen, das heißt, der Schock ist vorbei, wir hatten keine Vorstellung von der deutschen Sprache, es wird hart, aber das Eis ist gebrochen."
    Zweistündiges Diagnoseverfahren
    Für den zweistündigen Kompetenztest in Lebach ist Sprache gar nicht nötig. Er wird am Computer durchgeführt und kommt überwiegend ohne Worte aus. Abgefragt werden mithilfe von Bildgrafiken kognitive Fähigkeiten, berufliche Interessen, Leistungsvermögen, Schnelligkeit und Selbsteinschätzung. Die wenigen schriftlichen Aufgaben werden in Arabisch oder Persisch gestellt. Der wettkampferprobte Sportler Al Masri ist begeistert vom zweistündigen Diagnoseverfahren. Er hat kein Problem damit, sich zu messen.
    "Mit den Ergebnissen können sie zumindest 50-60 Prozent meiner Fähigkeiten beurteilen. Sie wissen, die Testperson ist gebildet oder nicht gebildet, sie ist clever genug oder, verzeihen Sie, sie ist zu blöd, die Testperson hat mathematisches Verständnis, ist sozial verträglich und gut genug, um Teil der Gesellschaft zu sein. All das kann der Test zutage fördern, ohne einen gesehen zu haben."
    Aber nicht jeder verfügt über so viel Selbstvertrauen wie der syrische Basketballspieler, der sich nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit als einziger von bislang etwa 30 Testteilnehmern bereitgefunden hat, mit der Presse zu sprechen. Die Arbeitsvermittler üben Rücksicht.
    "Wir benutzen ein anderes Wort, nicht Test, wir sagen auf Arabisch Kompetenzanalyse, wir sagen nicht Test, weil ich weiß um die kulturelle Mentalität, alle haben Angst vor einem Test. Wenn wir sagen etwas wie, das kann Ihnen später helfen, wie Sie sich orientieren können, was möchten Sie hier machen, eine Ausbildung, weiter an der Universität studieren oder direkt arbeiten."
    Es gibt auch kritische Stimmen
    Ayham Al Ali ist selbst erst vor zwei Jahren aus Syrien geflohen. Der studierte Informatiker ist einer von zwei Arabisch sprechenden Arbeitsvermittlern der Agentur für Arbeit in Lebach. Dass die Flüchtlinge mit dem Verfahren überfordert sein könnten, glaubt er nicht. Anders sehen das die Kritiker wie etwa die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Landtagsfraktion, Petra Berg.
    "Die Landesaufnahmestelle ist die Stelle, in der die Menschen, wenn es richtig läuft, am kürzesten bleiben und dann werden sie dort, statt dass sie dort ein bisschen Ruhe, ein bisschen Frieden finden, Tests unterzogen, das finden wir nicht richtig."
    Darüber, ob Lebach der passende Ort ist, ob dort zu früh angesetzt wird, darüber lässt sich sicher streiten, weil die überwiegende Zahl der Flüchtlinge längst auf Städte und Gemeinden verteilt wurde. Man stehe allerdings erst am Anfang, sagt die Leiterin der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit Heidrun Schulz.
    "Wir machen im Moment bundesweit die unterschiedlichsten Tests mit Kompetenzfeststellungverfahren, wir haben selbst in unserem psychologischen Service entsprechende Verfahren - dort allerdings nicht dieses spezielle Kennzeichen der Sprachungebundenheit, von daher war es uns schon ein Anliegen, es zu testen."
    Der saarländische Innenminister Klaus Bouillon (CDU).
    Der Kompetenztest für Flüchtlinge ist das jüngste Instrument, mit dem der saarländische Innenminister Bouillon gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit die Eingliederung von Flüchtlingen in die Gesellschaft beschleunigen möchte. (imago/Becker&Bredel)
    Es ist ein Pilot, mehr nicht, das weiß auch Reinhard Biehl, der Vertreter der ShS Foundation, einer Stiftung, die vom ehemaligen VW-Manager Peter Hartz geleitet wird. Die Stiftung schult die Arbeitsvermittler vor allem in der Interpretation der Ergebnisse. Gerade die vielen jungen Menschen könnten ihr Potenzial selbst nicht einschätzen, sagt Biehl.
    "Wenn ich diese jungen Männer frage, was wollen Sie denn machen, welchen Ausbildungsberuf möchten Sie denn ergreifen, dann sind die vollkommen überfordert, die kennen ja das deutsche Ausbildungssystem gar nicht. Wir haben doch hunderte von Berufsbildern, das heißt, man kann das mit einer normalen Fragerei gar nicht herausfinden."
    Der Test enthält daher auch 150 Bilder zu verschiedenen Tätigkeiten, die Testpersonen sind aufgefordert, anzukreuzen, wofür sie sich interessieren.
    "Der Test kann eben zeigen dass es auch andere Berufsbilder gibt, worüber er in seiner Heimat nicht nachgedacht hat, weil es die Möglichkeit nicht gab oder weil die Familie entschieden hat, du machst das hier in unserem Betrieb. Es ist eine Orientierungshilfe für den Flüchtling selber, ihm das zu spiegeln. Das habe ich auch in den Gesprächen gemerkt: Mit den Menschen ist noch nie so intensiv über ihre Persönlichkeit gesprochen worden."
    Ein repräsentatives Bild über die Talente der Zukunft existiert allerdings noch nicht.