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Innsbrucker Festwochen Alter Musik
Narciso - Liebeswirrwarr im Luxushotel

Mezzosopranistin Chiara Osella überzeugt bei den Innsbrucker Festwochen in Domenico Scarlattis Oper "Narciso" als liebeshungrige Nymphe. Übertroffen wird sie nur noch von Maite Beaumont, die dem nach Liebe und Sinn suchenden Narciso ihre Stimme verleiht, meint unser Kritiker Jörn Florian Fuchs.

Von Jörn Florian Fuchs |
    Am Ende benehmen sich sogar die Pagen, zumindest einigermaßen. Deren Betragen war vorher wirklich unmöglich, andauernd schossen sie mit Pfeil und Bogen auf diverse Hotelgäste, niemand war vor ihrem Spott und ihren Spielchen sicher. Doch nun stehen sie ganz brav mit allen übrigen vorne an der Rampe und jubeln uns zu.
    Domenico Scarlattis Musik tritt hier für einmal ganz aus sich heraus, wird breit und kräftig, wuchtig und doch cremig. Der Text freilich feiert das frohe Ende nicht ganz so ungebrochen: "...wer Freude ohne Schmerzen will, der wird nicht viel von Liebe verstehen", heißt es da. Und in der Tat, was hatten Gäste und Hotelpersonal nicht alles erlebt, von zart über herzlich bis knallhart ging es zu. Einmal hat der etwas grob singende Prinz Aristeo (Valentino Buzza) sogar frisch erlegte Tiere mitgebracht und hernach noch in den Bühnenhimmel geschossen, worauf ein weiterer Kadaver herabstürzte. Aber der Reihe nach: Aristeo ist ebenso wie sein adliger Kollege Prinz Cefalo (die solide Federica Alfano in einer Hosenrolle) ganz wild auf die Königin Procri – Hyekyung Choi singt sie mit fein ausgesteuertem, gefühlvollem Sopran. Doch der plötzlich auftauchende Narciso hat es der Königin am meisten angetan, dumm nur, dass er auch von Nymphe Eco begehrt wird. Als Narciso im Wasser nicht sein Spiegelbild, sondern die Nymphe entdeckt, ist es um ihn geschehen und nun verwickelt sich alles weiter und weiter, bis schlussendlich Procri und Cefalo sowie Eco und Narciso glücklich werden.
    Was aber machen hierbei bitteschön Pagen? Es sind zwei Tänzerinnen, die Regisseur Davide Livermore mit ins "Grand Hotel Arkadia" packt, in dem er die mythische Handlung ansiedelt und ziemlich mühelos in die Gegenwart transferiert. Die Bühne ist schräg, genau wie die Charaktere, die oft auf der Schnittlinie von ernsten Emotionen und Ironie agieren. Wobei Livermore es mit Ironie zum Glück nicht übertreibt, die zentralen Konflikte und Situationen bleiben intakt.
    Die Pagen sind natürlich Liebesgötter, vielmehr Göttinnen, ihnen schaut man gern zu, allerdings sind sie zuletzt doch etwas überpräsent. Oft wird das im Stil von Wes Andersons Film "The Grand Budapest Hotel" gestaltete Etablissement durch Videos gleichsam transzendiert, da sieht man einen Nebelwald, Wellen, Unwetter oder auch mal einen großen Kamin, in dem es bildgewaltig, aber lautlos knistert.
    Dafür knistert und flackert es aus dem Graben hörbar aufs Allerschönste, Fabio Biondi spielt die Violine und dirigiert dazu sein Ensemble Europa Galante, das tatsächlich seinem Namen alle Ehre macht. Elegant, mit ungemein warmer Grundierung, oft sanft federnd, wird Scarlattis einst von Georg Friedrich Händel hochgeschätzte Partitur verlebendigt. Nicht alles freilich ist wirklich allererste Qualität, Scarlatti gelingt vielleicht in drei oder vier Nummern Spektakuläres, zum Beispiel als Eco am Ende des zweiten Aktes traumschön trauert, die Regie lässt dabei die anderen Figuren angedeutet mitsingen.
    Chiara Osella interpretiert die liebeshungrige Nymphe meisterhaft, übertroffen einzig von Maite Beaumonts nach Liebe und Sinn suchendem Narciso.
    Sicher war diese letzte Produktion der aktuellen Innsbrucker Festwochen nicht ganz billig, sie wird lediglich zweimal aufgeführt. Man kooperiert allerdings mit der Oper von Valencia, deren österreichische Intendantin Helga Schmidt kämpft seit ein paar Jahren mit argen Finanz- und Strukturproblemen und darf sich schon mal freuen, solch eine Preziose im Portfolio der kommenden Saison zu haben.