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Inside Korea: Samsung (1/3)
Vom Gemischtwarenladen zum Industrieunternehmen

Südkoreas Wirtschaft ist geprägt von großen Mischkonzernen in Familienhand – den Chaebols. Einer der führenden ist Samsung. In Deutschland vor allem als Smartphonehersteller bekannt, begleitet der Konzern das Leben der Südkoreaner von der Wiege bis zur Bahre.

Von Fabian Kretschmer |
    Es sind tumultartige Szenen, die sich im Februar 2017 vor dem Seouler Zentralgericht abspielen: Samsung-Kronprinz Lee Jae-yong, der mit Abstand mächtigste Manager Südkoreas, wird in Handschellen dem Haftrichter vorgeführt.
    Der Chef von Samsung Electronics ist in den größten Korruptionsskandal in der jüngeren Geschichte des Landes involviert. Die Staatsanwaltschaft sieht es als erwiesen an, dass der 49-Jährige der damaligen Präsidentin Park Geun-hye Schmiergelder in Höhe von umgerechnet 32 Millionen Euro gezahlt hat, um sich die Zustimmung der Regierung für eine Fusion von zwei Samsung-Tocherfirmen zu erkaufen.
    Südkorea – die "Samsung-Republik"?
    Die Richter verurteilen ihn zunächst zu fünf Jahren Haft. Dann jedoch, nur ein Jahr später, setzt das Berufungsgericht die Haftstrafe überraschend zur Bewährung aus.
    "Es tut mir leid, dass ich der Öffentlichkeit kein positives Beispiel abgegeben habe. Das letzte Jahr hat mir die Gelegenheit gegeben, über mein Handeln zu reflektieren. In Zukunft werde ich die Fehler nicht wiederholen",
    sagt Lee Jae-yong reumütig nach seiner Freilassung.
    Viele erzürnte Bürger fühlten sich damals in ihrem Vorurteil bestätigt: Die Gründungsfamilie von Samsung, so sagen sie, steht über dem Gesetz. Südkorea wird in den Medien oft als "Samsung-Republik" tituliert. Samsung trägt zu 15 Prozent zum koreanischen Bruttosozialprodukt bei, ist verantwortlich für 25 Prozent der landesweiten Exporte und ungefähr 25 Prozent der gesamten Firmensteuern.
    "Samsung ist das wichtigste Unternehmen hier in Korea. Samsung ist in extrem vielen Bereichen unterwegs. Oft gibt es die Beschreibung, dass man mit Samsung geboren werden kann, dass man mit Samsung aufwächst - in Samsung Appartments oder Wohnungen. Dass man mit Samsung lebt, mit den Fernsehern und Kühlschränken etc. Dann bei Samsung arbeitet und dann durch Samsung auch begraben wird", sagt Christoph Herder, der die Europäische Handelskammer in Seoul leitet und seit über zehn Jahren in Korea lebt.
    Chaebols bieten Stabilität und Sicherheit
    Bis heute gilt für junge Südkoreaner ein Arbeitsplatz bei Samsung als gesellschaftlicher Ritterschlag. Dies habe sich durch die derzeit hohe Jugendarbeitslosigkeit noch verstärkt, erklärt der Endzwanziger Choi Joon Hee, der Maschinenbau studiert hat.
    "Die jungen Leute wollen vor allem Stabilität und Sicherheit. Genau das können ihnen große Firmen wie Samsung bieten. Ebenso genießt man dort als Angestellter meist bessere Sozialleistungen."
    Begonnen hat Samsung vor 70 Jahren als einfaches Lebensmittelgeschäft mit 40 Angestellten. Lee Byung Chull gründete den Gemischtwarenladen mit Hilfe seines Familienerbes, zunächst jedoch nur mit bescheidenem Erfolg.
    Südkoreas Wirtschaftswunder begann mit einem Militärputsch
    Das Wirtschaftswunder vom Han-Fluss und damit auch der Aufstieg Samsungs ist unweigerlich mit Park Chung-hee verknüpft. 1960 putschte der Militärgeneral an die Macht. Mit eiserner Führung, Fünfjahresplänen und massiver Ausbeutung der Arbeiter preschte er die Industrialisierung des Landes in Windeseile voran. Christoph Herder beschreibt:
    "Es gab eine Landreform mit dem Ziel, möglichst viele Leute in Arbeit zu bringen. Der nächste Schritt war dann der Aufbau von Leichtindustrie. Als das geschafft wurde, hat man dann in das nächst höhere Technologie-Level investiert."
    Als Motor für den Wirtschaftsaufschwung diente Diktator Park eine Hand voll ausgewählter Firmen, von denen das Militärregime absolute Loyalität einforderte. Im Gegenzug vergab es lukrative Aufträge, half bei der Unterdrückung von Gewerkschaften und schützte vor ausländischer Konkurrenz.
    In jenen Jahren des rasanten Wachstums der siebziger, achtziger Jahre gedeihen die sogenannten Chaebols, wie die Mischkonzerne koreanischen Zuschnitts genannt werden, allen voran Samsung, Hyundai und LG.
    Den Chaebols ist gemein, dass sie in Familienbesitz sind, mittlerweile in dritter Generation. Sie haben meist kein Kerngeschäft, sondern sind in verschiedenen Bereichen tätig.
    "Die Regierung hatte damals keine andere Möglichkeit. Man musste sich auf eine Hand voll Industrieunternehmen konzentrieren, mit denen man zusammen Korea wieder aufbauen konnte. Die Chaebols hatten die Finanzkraft, neuartige Technologien zu investieren und auf ausländische Märkte zu gehen", sagt Heider von der Europäischen Handelskammer.
    Schlüsselerlebnis im Frankfurter Hotel
    1987 übernahm schließlich Lee Kun Hee, Sohn von Samsung Gründer Lee Byung-chul, die Firmenführung. Er hatte die Vision, Samsung bis zur Jahrtausendwende in ein globales Unternehmen zu verwandeln. In den Firmenchroniken der Samsung-Zentrale ist ein Schlüsselerlebnis aus dem Jahre 1993 genauestens dokumentiert:
    Hee trommelt in einer Nacht- und Nebelaktion sämtliche Führungskräfte im Frankfurter Nobelhotel zusammen. Dort stellt er in einem dreitägigen Redemarathon sein neues Management-Konzept vor. Seine Kernaussage: Ändern Sie alles, alles bis auf Ihre Frau und Ihre Kinder.
    Lee Kun Hees Plan ist mittlerweile aufgegangen: Samsung ist der größte Smartphone-Hersteller der Welt, während die frühere Konkurrenz aus Japan kaum mehr eine Rolle spielt. Doch der US-Autor Geoffrey Cain, der mehrere Jahre lang für sein bald erscheinendes Samsung-Buch recherchiert hat, bewertet die Unternehmenskultur des koreanischen Konzerns kritisch:
    "Samsung beruht auf einer militaristischen Struktur. Es gibt einen Familienherrscher an der Spitze, der Befehle austeilt und seine Leute auf Linie bringt."
    Der Erfolg von Samsung beruhe vorrangig auf der perfekten Ausführung, nicht jedoch auf besonders kreativen Ideen, sagt Autor Cain:
    "Samsung ist eine Firma, die sich genauestens erfolgreiche Produkte der Konkurrenz anschaut, diese adaptiert und dann mit zusätzlichen Verbesserungen auf den Markt bringt."