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Integration
New Yorker debattieren über neue Schulaufteilung

New York gilt als weltoffene und liberale Metropole. Doch im öffentlichen Schulsystem herrscht auch sechzig Jahre nach der Rassentrennung weitestgehend Segregation: Weiße, Schwarze und Latinos lernen überwiegend nicht gemeinsam. Ändern soll das eine neue Aufteilung der Schuleinzugsgebiete - doch viele Bewohner lehnen das Vorhaben ab.

Von Heike Wipperfürth | 07.11.2016
    Schüler geben vor einer Schule in New York City ihre Telefone ab.
    Mehr als 80 Prozent der schwarzen und Latino Schüler gehen in New York in Schulen, in denen weniger als 10 Prozent der Schüler weiß sind. (Sonja Beeker, Deutschlandradio Kultur)
    "Der Wert meiner Wohnung könnte um 100.000 Dollar nach unten gehen", schimpft dieser New Yorker Wohnungsbesitzer über den Plan des örtlichen Bildungsrates, einen Teil des Einzugsgebiets einer weißen Grundschule in den Bezirk einer Grundschule mit armen schwarzen und Latino Schülern zu verlegen, um die Überfüllung der weißen Schule zu verhindern und die Integration zu fördern. Auch für Eltern wie Paul Richards ist das ein Skandal:
    "Ich bin erschüttert. Wir sind extra wegen der Schule in die Wohnung gezogen. Sie ist nur 900 Meter von unserer Haustür entfernt."
    Bis jetzt haben sich die Gegner erfolgreich gegen den Plan gewehrt. Immer wieder drohen sie, umzuziehen oder ihre Kinder in Privatschulen zu schicken, wenn sie ihren Willen nicht bekommen – und sorgen dafür, dass die Segregation auch 60 Jahre nach der offiziellen Aufhebung der Rassentrennung an den Schulen durch den obersten Gerichtshof noch weiter existiert, warnt Matthew Delmont, ein Geschichtsprofessor an der Arizona State Universität:
    "Ich finde es sehr beunruhigend, dass sie dieselben Argumente wie vor 50 oder 60 Jahren liefern. Sie sagen nicht, dass sie Rassisten oder gegen Integration sind. Sie sagen, dass sie ihre Kinder auf ihre Nachbarschaftsschule schicken wollen. Doch diese Nachbarschaftsschulen entstanden durch die Erstellung von Zonen, die die Rassentrennung institutionalisieren haben- und sie tun nichts dagegen."
    Noch immer gibt es Segregation - doch das wird nicht thematisiert
    Auch Bürgermeister Bill de Blasio, der aus New York die Vorzeigestadt für progressive Politik machen wollte, hält sich bei der Diskussion um mehr Integration weitgehend zurück. Nur selten erwähnt er, dass über 80 Prozent der schwarzen und Latino Schüler in Schulen gehen, in denen weniger als 10 Prozent der Schüler weiß sind.
    Auch ihre schlechten Lehrer und Schulausstattungen sind kein großes Thema, denn De Blasio will seine Wählerschaft nicht vergraulen, sagt Clara Hemphill, eine Bildungsexpertin an der New School:
    "Eltern denken nicht über die langfristigen Vorteile der Integration für andere Kinder nach. Sie sorgen sich darum, was jetzt mit ihrem Kind passiert. Oder mit dem Wert ihres Apartments."
    Und so bleibt die Segregation ein Problem. Konkrete Folgen sind chronisches Schwänzen und hohe Schulabbrecherquoten, so die prominente New York Times Journalistin Nikole Hannah Jones, eine Expertin für Bürgerrechte – und selbst Afroamerikanerin.
    Je vielfältiger die Gesellschaft, desto wichtiger sind integrierte Schulen
    Trotz ihres erschreckenden Fazits – bei der Wahl einer Grundschule für ihre Tochter vor zwei Jahren entschied sie sich nicht für eine Eliteschule, sondern meldete die damals Vierjährige nach langer Überlegung bei einer Grundschule an, deren Anteil armer schwarzer und Latino Schüler bei 90 Prozent lag - das war auch ein politisches Statement, sagt Nikole Hannah Jones:
    "Wenn diejenigen unter uns, die Privilegien genießen und Macht haben, diese Schulen vermeiden, dann akzeptieren wir ein Zwei-Klassensystem - und das will ich nicht.
    In einem langen Bericht im New York Times Magazin berichtete sie kürzlich über die Begeisterung ihrer Tochter für die Schule. Über lange Diskussionen mit Eltern und Lehrern als feststand, dass der Schulbezirk geändert werden musste, um weiße Schüler aus einer übervollen Schule in der Gegend anzunehmen. Und die Angst der Schwarzen, nun von den Weißen vertrieben zu werden. Hoffentlich nicht, sagt der Geschichtsprofessor Matthew Delmont.
    "Auch weiße Schüler brauchen integrierte Schulen, seit die Zusammensetzung unserer Gesellschaft immer vielfältiger wird."