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Intellektuelle und szenische Ödnis

Peter Konwitschny, seit 2008 Chefregisseur an der Leipziger Oper, und Dirigent Nicholas Kok deuten Christoph Willibald Ritter von Glucks Antikenoper "Iphigénie en Aulide". Doch wie das Schicksal der Titelheldin steht auch die Inszenierung unter keinem guten Stern.

Von Jörn Florian Fuchs | 21.11.2010
    Eigentlich ist es nicht unoriginell, in der Wagner-Stadt Leipzig trotz des drohenden Jubeljahrs 2013 (200. Geburtstag) mal nicht dem Hausgott zu huldigen, sondern eine Gluck-Tetralogie zu kreieren, und wer käme dafür besser infrage als Peter Konwitschny?

    Wie Wagner so ist auch Konwitschny ein Leipziger Jung und zudem Chefregisseur an der Oper seit 2008. Leider ist der einstige Regierevoluzzer arg in die Jahre gekommen, Glucks "Alkestis" vor ein paar Monaten geriet zum Debakel: biederstes Bühnengeschehen traf auf hektische Kalauereien, auch musikalisch war alles ziemlich matt. Nun also Iphigenie, die von ihrem Vater Agamemnon Göttin Diana geopfert werden soll, damit Papa ungestört Krieg führen kann. Während sich die Tochter allmählich mit dem scheinbar Unausweichlichen abfindet, hadert der Vater mit sich, der Welt, mit Gattin Klytämnestra und mit Achilles, Iphigenies Verlobtem.

    Konwitschny entpathetisiert diese Geschichte und vor allem im zweiten Akt entstehen durchaus einige schöne Momente, wenn etwa Iphigenie und Achilles wie ein altes Paar zänken, sich ent- und wieder verlieben. Hier gelingt der Spagat zwischen etwas Tragik und brachialer Komik, womit Konwitschnys Konzept schon hinreichend beschrieben ist. Gnadenlos, ohne Rücksicht auf Musik, Text und die Emotionen der Protagonisten brennt er ein Gagfeuerwerk ab, der Chor schlurft grellgrün und kniefrei herum, Kinder spielen den Trojanischen Krieg mit Minipferdchen nach, eines benutzt im Kampf sogar eine Stofftierschleuder, und irgendwann fallen plötzlich diverse Frauen wie die Fliegen. Halb meucheln sie sich selbst, halb werden sie mit dem Messer abgeschlachtet. Es ist aber alles nur Attrappe. Auch Iphigenie stirbt lediglich in Puppenform, die 'reale’ Leidende wird von Diana erlöst, mit einem wackligen Wolkenschiff fährt sie gen Himmel und taucht in einer Seitenloge auf.

    Diana ähnelt übrigens der amerikanischen Freiheitsstatue und erfreut das Publikum mit einem riesigen Knallbonbon voller Glitzerkonfetti. Sie bedient auch eine Windmaschine, mit der sie alles wegfegt. Zuvor wurde das Heilsgeschehen (das sich so nicht bei Gluck, sondern nur in Wagners Bearbeitung findet) als triefend ernste Sakralhandlung zelebriert, irgendwo zwischen Tannhäuser-Chorpilgerei und Zauberflöten-Eschatologie.

    Es ist ein vielleicht ernst gemeinter Kontrapunkt zu den übrigen Albernheiten, zu diesen zählen auch ein blinder Homer und ein schrulliger Gluck, die ein wenig radotieren und das Publikum auffordern, die Handys unbedingt einzuschalten – nach der Vorstellung.

    Immerhin funktioniert das von Jörg Kossdorff eingerichtete Bühnenbild, ein großes, vielfältig variables Zelt. Insgesamt jedoch herrscht intellektuell wie szenisch Ödnis.

    Am Pult des Gewandhausorchesters sorgt Nicholas Kok für gerade mal solide Klänge, wobei der Dirigent für den unmittelbar vor der Premiere erkrankten Paolo Carignani einsprang, mehr Feinarbeit war in so kurzer Zeit wohl nicht drin, etwas mehr Esprit hätte es aber schon sein dürfen. Sängerisch herrschte blankes Mittelmaß, Manuela Uhl gab die Titelheldin schnörkellos und elegant aber auch recht farblos. Mirko Roschkowski intonierte einen recht ruppigen Achilles, Anooshah Golesorkhi interpretierte Agamemnon weitgehend tadellos, Jennifer Porto sang Diana mit zu engem Sopran, Karin Lovelius geriet als Klytämnestra arg an vokale Grenzen, prägnant James Moellenhoff als Hohepriester Kalchas.

    Bleibt zu hoffen, dass "Iphigenie auf Tauris" mehr Fortune beschieden ist – die Premiere soll in der kommenden Saison stattfinden.