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"Irland ist die alte Sau, die ihre Ferkel frisst"

Es war eine schwierige Geburt und wie alle Bücher von James Joyce ein Schmerzenskind. 1904 beschließt der 22-jährige Autor, der als Schlüsselfigur der Literaturmoderne gilt, einen autobiografischen Künstlerroman zu schreiben. Doch erst 1914 - also erst zehn Jahre später – kann Joyce diesen Roman unter dem Titel "Ein Porträt des Künstlers als junger Mann" endlich veröffentlichen.

Von Gisa Funck |
    Dazwischen liegen Jahre der Geldnot, der wiederkehrenden Krankheiten und der ständigen Umarbeitung an einem immer komplizierter werdenden Text. Ende 1910 wirft Joyce sein Manuskript sogar schon ins Kaminfeuer. Und nicht er, sondern seine Schwester Eileen ist es, die es im letzten Moment aus den Flammen rettet. Der ebenso hochbegabte wie ambitionierte Schriftsteller quält sich furchtbar mit seinem ersten Roman, der von Literaturwissenschaftlern als Wendepunkt seines Schreibens angesehen wird. Dabei kam Joyce zunächst eigentlich schnell voran. Anfang 1906 vermeldet er in einem Brief, dass er schon über neunhundert Seiten von Stephen Hero, von "Stephen, der Held" geschrieben habe. Stephen Hero – so sollte das Buch ursprünglich heißen. Doch obwohl sein jüngerer Bruder Stanislaus und andere Weggefährten ihn nach der Lektüre zum Weiterschreiben ermuntern, ist Joyce selbst bald unzufrieden mit seinem Roman. Eine satirische Abrechnung mit seiner Heimat Irland sollte es werden. Irland hielt er für kulturell erstarrt und von den neuen Geistesströmungen des Kontinents abgeschnitten. Ruhelos reist der junge Autor durch Europa, fühlt sich als ein Gescheiterter, trinkt zu viel. Und nimmt schließlich, da er inzwischen Frau und Kind zu versorgen hat, in Triest eine schlecht bezahlte Arbeit als Sprachlehrer an.

    Erst hier kramt Joyce im Herbst 1907 sein altes Manuskript wieder hervor - und schreibt alles noch einmal fast komplett um. Aus den geplanten 63 Kapiteln macht er fünf Akte wie im klassischen Drama. Ganze Passagen der Familien- und Liebesgeschichte seines Helden Stephen Dedalus kürzt er einfach weg. Doch vor allem verwendet er nun in dem - von Friedhelm Rathjen neu ins Deutsche übersetzten - "Porträt des Künstlers als junger Mann" erstmals ganz neue Erzähltechniken.

    War "Stephen, der Held" noch ein relativ konventionell geschriebener Roman, der einen für das 19. Jahrhundert typischen, allwissenden Erzähler hatte, kommen im Porträt nun die avantgardistischen Stilmittel der Montage, der erlebten Rede und des inneren Monologs zum Einsatz. Diese hatte sich der Vielleser Joyce wahrscheinlich bei Flaubert, Henry James und D'Annunzio abgeschaut, verfuhr damit aber viel radikaler als jene. Als 1916 die Buchfassung erscheint, wirken schon die allerersten Sätze seines Romans auf Zeitgenossen wie eine literarische Sensation:
    "Es war einmal zu einer Zeit und eine sehr gute Zeit war's, da kam eine Muhkuh die Straße entlang und diese Muhkuh, die da die Straße entlangkam, traf ein kleines feines Jungchen, das hieß Baby Tuckuck ... Sein Vater erzählte ihm diese Geschichte: sein Vater kuckte ihn an durch ein Glas: er hatte ein haariges Gesicht. Er war Baby Tuckuck. Die Muhkuh kam die Straße entlang, wo Betty Byrne wohnte: sie verkaufte Zitronenbonschen.

    O die wilde Rose blüht
    An diesem kleinen grünen Platz.

    Er sang das Lied. Das war sein Lied.

    O die grüne Wose bütet

    Wenn man ins Bett macht, ist's erst warm, dann wird es kalt. Seine Mutter legte das Öltuch auf. Das hatte den komischen Geruch."


    Kein Roman zuvor hatte seinen Leser mit einem vergleichbar rätselhaften Anfang konfrontiert. Anstatt mit der üblichen Schilderung von Geburt oder Herkunft des Helden beginnt Joyce seine fiktive Autobiografie mit Erinnerungsschnipseln aus der Kleinkindzeit. Ohne weitere Erklärungen wird man als Leser direkt in den Kopf von Stephen Dedalus hineinversetzt - und muss sich selbst seinen Reim auf dessen nicht immer klar verständliche Gedanken machen. Das heißt: Der Leser muss sich den Textsinn selbst erschließen und wird so notgedrungen zum Mitautor des Buches. Vor allem aber rückt durch die Perspektiv-Verschiebung von außen nach innen die seelische und nicht die gesellschaftliche Entwicklung des Protagonisten in den Mittelpunkt der Betrachtung.

    "Ein Porträt des Künstlers als junger Mann" ist von daher zwar ein Bildungsroman. Aber einer, der die genretypische Geschichte einer Selbstfindung ausschließlich aus der Sicht des Betroffenen erzählt. Um seinen heranwachsenden Helden glaubwürdig zu gestalten, lässt Joyce ihn sich zudem auch sprachlich entwickeln. Je älter und klüger Stephen wird, desto ausgereifter, eigenwilliger und intellektuell anspruchsvoller spricht und denkt er im Roman.

    Stephens Werdegang entspricht ansonsten weitgehend dem seines Schöpfers. Wie der junge James Joyce wächst auch er als erstgeborener Sohn einer kinderreichen, irisch-katholischen Familie auf, die ihren Grundbesitz im Laufe der Zeit durch Misswirtschaft verliert und immer mehr verarmt. Und wie schon Joyce durchläuft auch Stephen Dedalus eine streng religiöse, elitäre Erziehung in Jesuiten-Internaten, bevor er zum Studieren in Dublin auf die katholische Universität geht.

    Auf seinem Lebensweg gerät er - wie es sich für die zur Kunst berufenen Helden der Literaturgeschichte seit Goethes Wilhelm Meister gehört - natürlich unvermeidlich in Konflikt mit den herrschenden Konventionen. Und er zahlt für seine Berufung den typischen Preis des avantgardistischen Künstlers: Stephen wird zum unverstandenen Außenseiter, der sich sogar in seiner eigenen Familie fremd wie ein "Adoptivsohn" fühlt. Unsportlich und schwächer, aber auch klüger als seine Klassenkameraden gibt er das ideale Opfer für ihre Hänseleien ab:

    "Wells kam zu Stephen rüber und sagte:
    - Erzähl doch mal, Dedalus, küsst du deine Mutter jeden Abend, bevor du zu Bett gehst?
    Stephen antwortete:
    - Ja, mach ich.
    Wells wandte sich an die anderen Kameraden:
    - O lasst euch sagen, hier haben wir einen Kamerad, der sagt, er küsst seine Mutter jeden Abend, bevor er zu Bett geht.
    Die anderen Kameraden unterbrachen ihre Partie und drehten sich lachend um. Stephen errötete unter ihren Blicken und sagte:
    - Nein, mach ich nicht.
    Wells sagte:
    - O lasst euch sagen, hier haben wir einen Kamerad, der sagt, er küsst seine Mutter nicht, bevor er zu Bett geht.
    Alle lachten sie erneut. Stephen versuchte, mit ihnen zu lachen. Augenblicklich spürte er seinen ganzen Körper heiß und konfus werden. Wie lautete die richtige Antwort auf die Frage? Er hatte zwei gegeben, und Wells lachte immer noch."

    Gerade mit seinem Blick auf die Nöte der Adoleszenz erweist sich Joyce im "Porträt" als Autor auf der Höhe seiner Zeit. Die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens - und daran gekoppelt die Kritik am autoritären Erziehungsstil der Vätergeneration - waren ein Lieblingsthema jüngerer Schriftsteller zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ähnlich wie schon Musils "Zögling Törles"s oder Hesses Klosterschüler Hans Giebenrath in "Unterm Rad" fühlt sich auch Stephen Dedalus im Internat ausgesprochen unwohl. Der sensible Junge vermisst sein Zuhause, wo er Abenteuerromane lesen und seinen Träumereien nachhängen konnte. Im streng getakteten Internatsalltag hingegen gibt es kaum Muße. Und hat niemand Verständnis für Stephens eigenwillige Beobachtungen und fantasievolle Ideen. Stattdessen herrscht unter den Schülern ständig die Angst vor der nächsten Prügelstrafe. Insbesondere dann, wenn der sadistische Studienpräfekt Pater Dolan Aufsicht hat:

    "- Du, Junge, wer bist du?
    Stephens Herz tat einen plötzlichen Satz.
    - Dedalus, Sir.
    - Warum schreibst du nicht wie die anderen?
    - Ich...meine....
    Stephen konnte nicht sprechen vor Angst.
    - Warum schreibt er nicht, Pater Arnell?, fragte der Studienpräfekt.
    - Er hat seine Brille zerbrochen, sagte Pater Arnell, und ich habe ihm die Arbeit erlassen.
    - Zerbrochen? Was muss ich da hören? (...) Heraus hier, Dedalus, befahl der Studienpräfekt. - Fauler, kleiner Störenfried. Ich seh' deinem Gesicht den Störenfried an. Wo hast du deine Brille zerbrochen?
    Stephen stolperte in die Mitte der Klasse, blind vor Angst und Eile.
    - Wo hast du deine Brille zerbrochen?, wiederholte der Studienpräfekt.
    - Schlackenweg, Sir.
    - Hoho, Schlackenweg!, schrie der Studienpräfekt. Den Trick kenne ich.
    Stephen erhob erstaunt die Augen (...) Warum sagte Pater Dolan, den Trick kenne er?
    - Fauler untätiger kleiner Drückeberger!, schrie der Studienpräfekt. Meine Brille zerbrochen! Ein alter Schuljungentrick! Die Hand vorgestreckt, auf der Stelle!"


    Stephen Dedalus – das besagt schon sein Vorname - ist ein Märtyrer der Kunst. Und auch sein Nachname besitzt hochsymbolische Bedeutung und ist Programm. Wie Dädalus aus der altgriechischen Mythologie, der aus dem Labyrinth des Minotaurus erst dank selbst gebauter Flügel entfliehen konnte, so muss auch Stephen sich aus eigener Kraft von den Zwängen seiner Herkunft befreien. Dazu gehören nicht nur die brutalen Strafmaßnahmen und Doktrinen der katholischen Kirche, von denen sich der Jesuitenschüler immer mehr lossagt. Der moderne Dädalus von James Joyce muss darüber hinaus auch die Fesseln seiner Familie und seines Heimatlandes durchtrennen. Denn Irland, so hatte es der nach Triest ausgewanderte Autor auch schon eindringlich in seinen vorherigen "Dubliner"-Erzählungen beschrieben, sei ein erstickender Ort des Elends und Verderbens.

    Und diesen Aspekt von Stephens Initiation zum Künstler empfanden zeitgenössische Kritiker skandalöser noch als die strikt antiklerikale Haltung und stellenweise derb-frivole Sprache des Romans. Dass ein irischer Autor nicht nur den Machtanspruch der römisch-katholischen Kirche infrage stellte, sondern auch mit den eigenen Landsleuten schonungslos ins Gericht ging, war vor allem für britische Rezensenten überraschend. So heißt es in einer anonymen Besprechung des Londoner "Everyman"-Magazins vom 23. Februar 1917:

    "Mr. Joyce scheint zu den Schriftstellern zu gehören, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, die am wenigsten schätzenswerten Wesenszüge ihrer jeweiligen Landsleute, der Iren, darzustellen. Sein neues Buch (...) ist eine kraftvolle und außergewöhnlich schmutzige Studie der Erziehung eines jungen Mannes durch Jesuiten, welche – soweit wir die Bedeutung des impressionistischen Schlusses überhaupt erhellen können – mit seinem Wahnsinn endet."

    Als Begründung für die radikal ästhetische Position seines Helden lässt Joyce ihn im "Porträt" zwar seitenlang über die Kunsttheorie des Thomas von Aquin diskutieren. Tatsächlich aber wirkt sein scholastisch beschlagener Stephen deutlich mehr vom Ästhetizismus Walter Paters beeinflusst, der auch ein geistiger Ziehvater von Oscar Wilde war.

    Ganz im Sinne seines Schöpfers Joyce, für den Literatur nicht nach ethischen Kriterien zu bewerten war, tritt auch Stephen im Roman für einen autonomen Kunstbegriff ein. Und obwohl sogar sein eigener Vater Simon ein glühender Patriot und Anhänger der irischen Befreiungsbewegung unter Charles Parnell ist, verweigert sich der Jesuitenschüler strikt jeder politischen und moralischen Stellungnahme. Nicht einmal eine harmlose Petition für den Weltfrieden möchte Stephen an der Universität Dublin unterzeichnen: sehr zum Bedauern seines nationalistisch gesinnten Studienfreundes Davin, dem er erklärt:

    "Die Seele (...) macht eine langsame und dunkle Geburt durch, sagte Stephen. Geheimnisvoller als die Geburt des Leibes. Wenn die Seele eines Menschen in diesem Land geboren wird, dann werden Netze nach ihr ausgeworfen, um sie daran zu hindern, zu entfliegen. Du, Davin, erzählst mir was von Nationalität, Sprache, Religion. Ich werde versuchen, an diesen Netzen vorbeizufliegen.
    Davin klopfte die Asche aus seiner Pfeife.
    - Ist mir zu tiefgründig, Stevie, sagte er. Aber das Land eines Menschen kommt zuerst, Stevie. Danach kannst du gern Dichter oder Mystiker sein.
    - Weißt du, was Irland ist? fragte Stephen mit frostigem Ingrimm.
    Irland ist die alte Sau, die ihre Ferkel frisst."


    Die Ersatzreligion Kunst duldet für Joyce' Kunstjünger Stephen keine anderen Götter neben sich. Und für den Freiheitskampf seiner, auf ihn rückständig wirkenden Landsleute, die er "ein Volk von Bauerndeppen" nennt, hat er wie sein Schöpfer kein Verständnis.

    Friedhelm Rathjen hat diesen Klassiker der Moderne, "Ein Porträt des Künstlers als junger Mann", ins Deutsche übertragen: nach 1926 und 1972 ist es bereits der dritte Versuch einer Übersetzung des Joyce-Romans. Und auf den ersten Blick scheinen es nur Nuancen zu sein, in denen sich Rathjens Text von dem seines Vorgängers Klaus Reichert unterscheidet. Beim genaueren Vergleich beider Übersetzungen jedoch stellt man fest, dass Rathjens Mühen durchaus angebracht waren. Hat die angesehene Vorlage von Reichert doch im Laufe der Jahrzehnte tatsächlich ein wenig Staub angesetzt. Als beispielhaft kann hier die eben vorgelesene Bestrafungsszene im Jesuiten-Internat gelten: Reichert übersetzte das englische "pandybat" mit "Bakel", während Rathjen nun vom geläufigeren "Zuchtriemen" spricht. Reichert übersetzte "idle loafers" mit "müßige Bärenhäuter", während Rathjen sie nun moderner als "faule Drückeberger" überträgt. Und wo bei Reichert für "to get into wax" altmodisch "in Harnisch kommen" steht, gerät der unterrichtende Pater Arnell bei Rathjen nun einfach "in Wallung".

    Gewöhnungsbedürftig in der insgesamt gelungenen Neu-Übersetzung lesen sich dagegen Rathjens gelegentliche Versuche, irischen Slang ins Deutsche zu übertragen. Da übersetzt er nämlich auch schon mal "reden tut" statt "reden". Oder überträgt eine Wortmeldung von Stephens Kommilitonen Temple in einer politischen Debatte so:

    "Der Sozialismus wurde von einem Iren begründet, sagte Temple, und der erste Mann in Europa, der wo Redefreiheit gepredigt hat, war Collins."

    Moment mal: "Der, wo Redefreiheit gepredigt hat"? Wahrscheinlich wollte Rathjen hier gewisse Eigenwilligkeiten des irischen Englisch mit übersetzen. Es liest sich aber eher wie schlechtes Deutsch. Von solchen kleinen Einwänden abgesehen aber muss man diese Neuübersetzung des "Porträts" von Joyce begrüßen. Schließlich hat der Jugendrebell Stephen Dedalus nichts von seinem renitenten Charme verloren, der gerade jüngere Leser ansprechen dürfte. Ihn nach 40 Jahren mit einem zeitgenössischeren Deutsch auszustatten, erscheint da sinnvoll.

    Zumal sich Stephens Coming-of-Age-Geschichte auch nach 100 Jahren noch erstaunlich radikal liest. Ja, angesichts eines heute vorrangig nach Quoten schielenden Kulturbetriebs erscheint einem das hier gezeichnete Künstlerbild geradezu revolutionär. Findet der Internatszögling nach seiner Abwendung von der katholischen Kirche doch mit der Ersatzreligion Kunst genau jene Berufung, die in unserer säkularisierten Mediengesellschaft längst zum Massenphänomen geworden ist.

    Doch ganz anders als später zahllose Selbstverwirklichungskünstler der Pop- und Postmoderne, die unter Talent bevorzugt Gefälligkeit verstehen, fühlt Stephen sich einem kompromisslos-elitären Anspruch verpflichtet, der auf Erhabenheit abzielt – und gerade nicht allen gefallen will. Der Preis für diese profanreligiöse, den weltlichen Niederungen entrückte Kunst-Mission ist allerdings hoch: Sie verlangt Askese, Disziplin und Einsamkeit. Unbequemlichkeiten, die heute kaum noch ein Kunstjünger in Kauf nimmt. Stephen hingegen ist sich dieser persönlichen Opfer bewusst und bekennt seinem besten Freund Cranly gegenüber schließlich:

    "Du, Cranly, hast mich dazu gebracht, dir die Befürchtungen zu beichten, die ich habe. Aber ich will dir auch erzählen, wovor ich mich nicht fürchte. Ich fürchte mich nicht davor, allein zu sein oder zugunsten eines anderen verschmäht zu werden oder zu verlassen, was immer ich verlassen muss. Und ich habe keine Angst davor, Fehler zu machen, und sei es ein großer Fehler, ein lebenslanger Fehler und vielleicht einer, der so lange vorhält wie die Ewigkeit.

    Cranly, jetzt wieder ernst, verlangsamte seinen Schritt und sagte:
    - Allein, ganz allein. Davor fürchtest du dich also nicht. Und du weißt, was das Wort bedeutet? Nicht nur von allen anderen getrennt zu sein, sondern nicht einen einzigen Freund zu haben.
    - Das Risiko gehe ich ein, sagte Stephen."


    Der Dädalus von James Joyce geht das Risiko des Scheiterns ein. Er pfeift auf die bürgerlichen Insignien des Erfolgs. Jemand wie er kann letztlich nur in einer Hinsicht scheitern: allein und einzig vor sich selbst. Vor allen anderen und vor der Welt bleibt er, der Kunstheilige, auch als vordergründiger Versager stets unanfechtbar und ungebrochen. Auch und sogar dann noch, wenn er wie Stephen Dedalus zu Anfang von Joyce' Nachfolgeroman "Ulysses" als verkrachte Existenz nach Dublin zurückkehrt.

    James Joyce: Ein Porträt des Künstlers als junger Mann. (Originaltitel: "A Portrait of the Artist as a Young Man") Aus dem irischen Englisch übersetzt von Friedhelm Rathjen. Nachwort von Marcel Beyer. Manesse Verlag, 352 Seiten, 24,95 Euro.

    Mehr über Joyce:

    Kritik: Die Droge Joyce - James Joyce: "Geschichten von Shem und Shaun" und "Ein Porträt des Künstlers als junger Mann"

    Kritik "Ulysses"-Hörspiel: Eine sinnliche Erfahrung
    James Joyce: "Ulysses. Hörspiel", Regie: Klaus Buhlert, 23 CDs, Hörverlag, Hamburg 2012