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Ischinger: "Die Erwartungen an uns sind gestiegen"

Bei Waffenlieferungen an die syrische Opposition ist Europa nach wie vor gespalten. Es sei jedoch richtig, dass Deutschland eine Aufstockung seiner nicht militärischen Hilfe angekündigt habe, meint Wolfgang Ischinger. Vor dem Hintergrund des Obama-Besuchs solle Deutschland daraufhin arbeiten, dass Brüssel mit einer Stimme spricht.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Silvia Engels | 19.06.2013
    Silvia Engels: Am Telefon ist nun Wolfgang Ischinger, früherer Staatssekretär im Auswärtigen Amt und von 2001 bis 2006 deutscher Botschafter in Washington. Heute leitet er die renommierte Münchner Sicherheitskonferenz. Guten Morgen, Herr Ischinger.

    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen!

    Engels: In seiner ersten Legislaturperiode ist US-Präsident Obama im Gegensatz zu vielen seiner Vorgänger nicht nach Berlin gereist. Warum gerade jetzt?

    Ischinger: Ich finde, wir sollten das ganz locker nehmen. Immerhin hat der Präsident jeweils nach seiner Wahl, nach der ersten Wahl Anfang 2009 und nach der Wiederwahl Anfang dieses Jahres, seinen Vizepräsidenten als allererste Amtshandlung außerhalb der amerikanischen Grenzen nach Deutschland geschickt. Er war 2008 selber hier, also ich finde, wir können uns wirklich nicht beschweren über Missachtung. Wenn er jetzt kommt, zeigt er damit, dass er weiß, dass Deutschland die wichtigste Macht, der wichtigste Partner in Europa für ihn geworden ist, und das ist doch gut so. Also sollten wir auch ganz froh und zufrieden sein.

    Engels: Kritiker halten ihm allerdings entgegen, dass es möglicherweise nur um die Berliner Kulisse für eine sogenannte Große Rede in der Tradition früherer US-Präsidenten gehe.

    Ischinger: Na ja, gut, daran kann ich auch nichts Falsches erkennen. Wenn er jetzt, so wie erste Meldungen andeuten, neue Ankündigungen macht über Pläne zur weiteren nuklearen Abrüstung, insbesondere natürlich dann gemeinsam mit Russland, dann wäre das doch fabelhaft. Das ist ein Thema, das wie kein anderes zum Brandenburger Tor, zu der Geschichte des Kalten Krieges, der Teilung Europas, der Teilung Deutschlands passt und das in der Tat zu einer Vollendung herrscht. Wir haben immer noch viel zu viele Nuklearwaffen, insbesondere strategische und taktische Nuklearwaffen nicht nur in Europa. Das wäre ein wichtiges Thema und es wäre sehr erfreulich, wenn von Berlin ein solches Abrüstungssignal heute ausgehen würde.

    Weitere Abrüstungsschritte mit Russland sind zu begrüßen
    Engels: Dann bleiben wir direkt da. In der Tat: Es laufen erste Meldungen, wo dem Vernehmen nach Obama in seiner Rede unter anderem ankündigen wird, Russland beidseitige Verringerungen von Atomsprengköpfen anbieten zu wollen. Die Rede ist von einem Absenken in einer Größenordnung von bis zu einem Drittel in diesen ersten Meldungen, die allerdings noch nicht bestätigt sind. Wäre das mit solchen Eckdaten eine Überraschung?

    Ischinger: Eine Überraschung wäre es für die Experten sicherlich nicht. Das sind Überlegungen, die in Fachkreisen seit Langem kursieren, und die Experten sind sich auch seit Langem einig, dass beide Seiten, sowohl Russland wie die USA, nach wie vor über eine Zahl von nuklearen strategischen und taktischen Sprengköpfen verfügen, die zahlenmäßig weit über das hinausgeht, was man sinnvollerweise heute im 21. Jahrhundert haben sollte. Dies wäre, wenn es so kommt, wenn es zu weiteren Abrüstungsschritten mit Russland kommt, erstens ein hilfreicher Schritt bei dem Versuch, mit Russland wieder ein Arbeitsverhältnis zu etablieren. Die Bilder aus Nordirland zeigen ja eher eisiges Schweigen gestern. Insoweit wäre das sicherlich hilfreich. Und es wäre ein Schritt, den Präsident Obama auch darstellen kann als einen Schritt zur Umsetzung dessen, was er vor vier Jahren schon verkündet hat, nämlich sein Commitment, seine Versicherung, sich dem Thema global zero, also nukleare Abrüstung zu widmen. Da ist mal von dem neuen START-Abkommen gleich in der ersten Amtszeit bisher nicht viel passiert und das wäre schon ein großer und von uns massiv zu begrüßender Schritt.

    Engels: Aber, Herr Ischinger, Sie haben es angedeutet: Der Hauptkonflikt, wenn es um die Beziehungen zu Moskau geht, liegt für Washington derzeit in der Syrien-Frage, nicht so sehr rund um die Atompolitik. Hier hat man in der Tat eine Zuspitzung der Konfrontation zwischen Washington und Moskau auch beim G-8-Gipfel beobachten können. Gerät da möglicherweise auch Deutschland jetzt stärker unter Druck, sich stärker an die Seite Washingtons zu stellen in dieser Frage?

    Ischinger: Es ist sicherlich so, dass sich hier Muster wieder entwickeln, leider wieder entwickeln, die an Zeiten des Kalten Krieges erinnern, der Westen auf der einen Seite, Russland als Nachfolger der früheren Sowjetunion auf der anderen Seite, außerordentlich bedauerlich. Immerhin hat man sich ja auf den Minimalkompromiss geeinigt, eine Friedenskonferenz anzustreben, allerdings ohne Datum, ohne klare Aussage zu der Frage, was soll mit Baschar al-Assad geschehen. Also ich bin skeptisch, ob diese Friedenskonferenz in absehbarer Zeit unter diesen Umständen stattfinden kann. Und für Deutschland kann es gar keine Frage sein. Wir stehen doch in dieser Frage genau dort, wo unsere westlichen Verbündeten stehen. Wir sind der Meinung, es kann eine Zukunft Syriens mit Baschar al-Assad nach dem, was jetzt zwei Jahre lang passiert ist, eigentlich nicht geben. Insoweit kann es gar keine Frage geben, wo Deutschland steht: an der Seite des Westens.

    Engels: Aber wenn man ins Detail schaut, dann ist die deutsche Haltung schon etwas abweichend von dem, was die USA und was vor allen Dingen auch Großbritannien und Frankreich anstreben, denn erst vor wenigen Tagen hat ja die US-Administration beschlossen, den Berichten über Giftgaseinsätze Assads Glauben zu schenken und die militärische Unterstützung für die syrischen Rebellen zu verstärken. Die Bundesregierung lehnt diese Lieferung von Waffensystemen ab. Ist da der Druck jetzt auch auf Berlin gewachsen, diese Haltung aufzugeben?

    Ischinger: Ich glaube, die Bundesregierung befindet sich da ja durchaus in guter Gesellschaft. Im Kreise der 27 EU-Mitgliedsstaaten gibt es sicher nur ganz wenige – Frankreich und Großbritannien haben Sie genannt -, die überhaupt bereit sind, nachzudenken über tatsächlich konkrete Waffenlieferungen. Ich denke, man kann in dieser Frage gemeinsam mit den westlichen und den europäischen Partnern vorgehen, auch ohne nun konkret Waffen zu liefern. Ich finde es gut, dass die Bundesregierung eine Aufstockung ihrer Hilfe, ihrer nicht militärischen Hilfe bereits angekündigt hat. Es wird je nachdem, wie die Entwicklung in Syrien weitergeht, unendlich vieler Mittel bedürfen, um die zerstörten Dörfer und Städte wieder aufzubauen, um der syrischen Opposition zu einer Einheit zu verhelfen. Also ich sehe da unendlich viele Wege und Möglichkeiten, um zu helfen, notfalls sicherlich auch ohne konkrete Waffenlieferungen.

    "Darauf pochen, dass die Europäische Union mit einer Stimme spricht"
    Engels: In der Syrien-Frage sind die Fronten zwischen Moskau und Washington verhärtet, wir haben es angesprochen. Kann Deutschland hier vielleicht eine Brücke bauen?

    Ischinger: Wir sollten uns nicht überschätzen. Aber ich denke, was wichtig bleibt, ist, dass wir darauf pochen, dass die Europäische Union mit einer Stimme spricht. Ich finde es schade, dass in dieser Debatte wieder einmal, wieder einmal wie vor Jahren auch im Falle Libyen, die EU nicht imstande ist, sich als ein handlungsfähiger Partner anzubieten. Das wäre sicherlich auch für die USA eine willkommene Nachricht, wenn man in Brüssel einen Partner hätte, der mit einer Stimme spricht und mit dem man gemeinsam an einem Strick ziehen kann.

    Engels: Und Deutschland sollte allein die Rolle nicht tragen?

    Ischinger: Deutschland ist nun mal zumindest aus amerikanischer Sicht zur Führungsmacht Europas geworden. Wir üben diese Führungsrolle in der Frage der Euro-Krise ja auch aus. Und ich glaube, die Erwartungen gehen dahin, dass wir uns auch mit anderen in strategischen und sicherheitspolitischen Fragen nicht etwa hinter unseren Partnern verstecken. Ich glaube, das geht nicht mehr, die Erwartungen an uns sind gestiegen, also sollte Deutschland gemeinsam mit den anderen wichtigen Partnern in der EU versuchen, eine Einigung der Europäischen Union in solchen außenpolitischen Fragen herbeizuführen. Das ist ein großes Defizit, was hier in den letzten Jahren eingetreten ist, und ich denke, eine klare außenpolitische einheitliche Stimme Europas ist genauso wichtig wie die Wiedergesundung der Euro-Zone.

    Engels: Drehen wir zum Schluss noch mal einen Blick zurück auf das transatlantische Verhältnis. Das wurde auch gerade konkret durch angebliche sehr ausgefeilte Programme des US-Geheimdienstes NSA zur Ausspähung von Internet- und Telefondaten etwas belastet. Da wird auch gefordert vonseiten der Opposition, Bundeskanzlerin Angela Merkel solle das hart ansprechen. Was meinen Sie, wird das geschehen?

    Ischinger: Ich denke, das Thema kann man natürlich überhaupt nicht ausklammern nach der großen Aufmerksamkeit, die es ja keineswegs nur bei uns, sondern weltweit bekommen hat. Wir dürfen aber nicht erwarten, dass diese sicherlich sehr komplexe Frage heute beim Besuch des Präsidenten in Berlin abschließend gelöst werden kann. Aber ich denke, es ist sehr wichtig, dass Präsident Obama und seine Mitarbeiter spüren, wie sehr das Besorgnisse auslöst, hier in Europa, gerade hier auch in Deutschland, und wie stark möglicherweise amerikanische Firmen – denken Sie an Google, Yahoo und so weiter – in ihren Chancen, den europäischen Markt zu halten, gefährdet sein könnten, wenn hier nicht Klarheit geschaffen wird. Ich denke, viele Europäer werden dann versuchen, sich anderswo ihre Dienstleistungen zu holen als bei Firmen, bei denen man unterstellen muss, dass sie sozusagen, bildlich gesprochen, im Dienste des amerikanischen Geheimdienstes stehen.

    Engels: Wolfgang Ischinger, ehemaliger deutscher Botschafter in den USA, vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.

    Ischinger: Ich danke Ihnen sehr. Auf Wiederhören.

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