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Isis
"Deutsche Politik tut gut daran, sich nicht zu klein zu machen"

Die Problematik von Isis sei nicht nur eine regionale, die den Nahen und Mittleren Osten betreffe, sagte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Über die Bewegung von islamistischen Kämpfern drohe die Problematik auch zu einem innenpolitischen Thema in Deutschland zu werden. Deutsches Engagement müsse sich nicht zwangsläufig in militärischen Beiträgen artikulieren.

Markus Kaim im Gespräch mit Dirk Müller | 23.06.2014
    Bewaffnete Isis-Dschihadisten
    Die Isis-Dschihadisten haben einen der wichtigsten Industriestandorte im Irak unter Beschuss genommen: die Ölraffinerie in Baidschi. (Hanein.info / AFP)
    Dirk Müller: Der Vormarsch der Isis-Soldaten, der Isis-Milizen, der Irak und die Vereinigten Staaten, unser Thema nun mit Sicherheitsexperte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag nach Berlin!
    Markus Kaim: Schönen guten Tag nach Köln!
    Müller: Herr Kaim, hängt wieder alles an den Amerikanern?
    Kaim: Vielleicht nicht alles. Ich glaube, die USA sind für den Nahen und Mittleren Osten eben nicht der externe Akteur, der alles so bewegen kann, wie er das denn gerne möchte. Dann müsste der Nahe und Mittlere Osten in vielen Fragen, nicht nur im Irak, ganz anders aussehen. Aber wenn es jetzt um die Frage geht, wie kann der Isis und ihrem Vormarsch und in Syrien gleichermaßen Einhalt geboten werden, dann fühlen die USA sich in erster Weise davon betroffen. Und zweitens, aufgrund ihrer Bündnisverpflichtung gegenüber dem Irak stehen sie auch in besonderer Art und Weise in der Pflicht, ungleich vielen europäischen Ländern.
    Müller: Sie sagen, die Amerikaner können nicht alles machen, auch weil der Einfluss und die Einflussmöglichkeiten deutlich zurückgegangen sind in den vergangenen Jahren?
    Im Kern eher ein politisches Problem im Irak
    Kaim: Nun ja, es hat vor allem mit den Problemen im Irak selber zu tun. Ich glaube, die Beobachter haben recht, die darauf verwiesen haben, dass es ja im Kern weniger um ein militärisches Problem als um ein politisches Problem geht. Das lässt sich ja illustrieren, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass eine Miliz von geschätzt eben 20.000 Kämpfern eine irakische Armee in Bedrängnis gebracht hat, die etwa das Zehnfache umfasst, mehr als 200.000 Mann, die hochgerüstet ist, die gut ausgebildet ist. Also, die scheinbare Stärke von Isis hat eher was mit der Schwäche des irakischen Regimes zu tun, ist also ein politisches Problem.
    Und zum Zweiten sind die USA gerade, und der Präsident Obama, gekennzeichnet von einer Innenwende ihrer Außenpolitik. Das heißt, der Appetit, außenpolitisch gestaltend tätig zu werden, das betrifft insbesondere den Nahen und Mittleren Osten, treibt die amerikanische Politik an, und das Ergebnis ist dann diese Ankündigung von der vergangenen Woche, die ja doch ein wenig halbherzig erschien: Auf der einen Seite die Ankündigung Präsident Obamas, größere Aufmerksamkeit dem Irak wieder zukommen zu lassen, andererseits die verhältnismäßig geringe Stationierung von 300 amerikanischen Soldaten, die ja keine ernsthafte Gegenkraft gegen Isis sein kann.
    Erfolg einer militärischen Intervention nicht ohne politisches Konzept
    Müller: Irak, Afghanistan, und wir haben ja auch die Libyen-Krise, den Libyen-Krieg hier öfters miteinander besprochen. Das sind drei Punkte, wo Amerikaner - jetzt als Frage - interveniert haben, wo sie führend waren in der Intervention, und dann doch letztendlich das alles nichts gebracht hat?
    Kaim: In weiten Teilen ... Also, Libyen würde ich etwas anders einschätzen, weil die USA da bereits schon eine etwas zurückhaltendere Position eingenommen haben. Aber Irak und Afghanistan unter jeweils veränderten Vorzeichen, da ist Ihre Beobachtung völlig zutreffend. Das illustriert den Punkt, den ich eben etwas verdeckt gemacht habe. Natürlich kann eine Militärintervention zu einem gewissen Grad eine Veränderung in einem Land bewirken. Sie wird allerdings vergeblich bleiben - und das zeigt uns die Erfahrung mit 20 Jahren militärischen Interventionen -, wenn sie nicht begleitet ist von einem politischen Konzept und von einer politischen Ordnungsvorstellung. Und wenn es nicht gelingt, im Irak eine Regierung zur Verfügung zu stellen oder zu generieren, die eher inklusiv ausgerichtet ist, eine Art der Regierung der nationalen Einheit, wenn es nicht gelingt - um ein anderes Beispiel hinzuzufügen -, die libyschen Sicherheitskräfte zu entwaffnen und der nationalen Regierung zu unterstellen, wenn all das unterbleibt aus vielfältigen Gründen, dann ist der scheinbare und kurzfristige Erfolg einer Militärintervention sehr schnell verflogen.
    Forderung nach demokratischen Strukturen haben sich gewandelt
    Müller: Ist vielleicht jetzt etwas umstritten, wenn ich Sie das frage, auch bei den Hörern, ich möchte das dennoch so formulieren: Kann es sein, dass wir nach wie vor naiv sind, wenn wir denken, wir könnten diesen Ländern nur helfen, wenn dort demokratische Strukturen umgesetzt werden?
    Kaim: Nein, ich glaube, der Gestaltungsanspruch westlicher Demokratien ist gerade im Kontext des Irak und gerade im Kontext von Afghanistan doch sehr, sehr zurückhaltend geworden. Wenn wir uns vergegenwärtigen, in welchem Maße gerade auch in deutschen Debatten, überhaupt in westlichen Debatten vor wenigen Jahren noch die Demokratisierung Afghanistans im Mittelpunkt gestanden hat, die Gewährleistung von Menschen- und Bürgerrechten, und was davon letztlich geblieben ist, dass wir damit zufriedenstellen, wenn Länder wie der Irak oder Afghanistan halbwegs selbsttragende, halbwegs stabile politische Einheiten sind, dann glaube ich, diese überbordenden Ambitionen der 90er-Jahre und der frühen 00er-Jahre, die würde heute, glaube ich, keine westliche Regierung mehr so artikulieren.
    Müller: Wenn wir diesen Exkurs ein bisschen weiter verfolgen, gehen jetzt aus aktuellem Anlass auch nach Ägypten, da kann man sagen, jetzt hat Ägypten wieder einen wie auch immer demokratisch legitimierten Autokraten und jetzt kann das wieder ein bisschen funktionieren?
    Kaim: Die Vorzeichen der amerikanischen Nahost-Politik haben sich in den letzten Wochen radikal verändert. So ein Begriff wie Krieg gegen den Terror, the War on Terror, den haben wir seit Jahren nicht benutzt. Die Regierung Obama hat ihn ganz bewusst nicht benutzt. Und wir stellen jetzt fest, dass im Kontext des Vormarschs von Isis und anderen islamistischen Gruppierungen in anderen Teilen des Nahen und Mittleren Ostens - ich denke an den Jemen, ich denke an die Sinaihalbinsel und andere mehr - dieses Thema zurück auf die Tagesordnung gerückt ist. Und der Paradigmenwechsel der amerikanischen Ägypten-Politik, den Sie gerade angesprochen haben, wo man jetzt eben einen - ich bin versucht zu sagen - dubiosen Militärherrscher wieder als einen Garanten von Stabilität akzeptiert, illustriert genau den Punkt, was ich damit sagen will ...
    Müller: Ist auch Geld wieder da plötzlich!
    Kaim: Absolut, absolut! Und von der Euphorie des Arabischen Frühlings oder der arabischen Transformationswelle, der Demokratisierungswelle, davon ist nicht mehr viel geblieben, sondern es ist wieder bei den USA eine sehr pragmatische Antiterrorpolitik eingezogen. Und man läuft damit Gefahr, bestimmte Fehler aus der Vergangenheit zu wiederholen.
    "Die Türkei ist an der Schwelle zum Konfliktherd Syrien und Irak"
    Müller: Blicken wir auf John Kerry, Sie haben das eben in unserem Vorgespräch auch kurz angesprochen, vielleicht sollten wir darauf eingehen, tun wir: Also, John Kerry reist jetzt weiter in Richtung Europa, morgen ist er bei der NATO. Gibt es noch Verbündete, die mit Kerry an einem Strang ziehen?
    Kaim: Im engsten Sinne gibt es, glaube ich, innerhalb der NATO wenige Verbündete, die jetzt unmittelbar Handlungsbedarf sehen. Ich sehe niemanden, auch die traditionellen Verbündeten wie die Briten nicht, die jetzt den Anspruch erheben, gestaltend im Irak einzugreifen, oder gar nach einer robusten militärischen Intervention rufen. Nur, gleichzeitig muss man sich vergegenwärtigen: Die Türkei ist an der Schwelle zum Konfliktherd Syrien und Irak, und den muss man mittlerweile als einen Konfliktherd betrachten. Und es gibt gerade in der Türkei große Besorgnis, dass dieser Konflikt über die Landesgrenzen zu eskalieren droht. Das sehen wir im Fall der Türkei, das sehen wir im Fall Jordaniens und das sehen wir im Fall Israels in den letzten Tagen. Und vor diesem Hintergrund wird das morgen auch auf der Tagesordnung stehen. Aber ich erwarte nicht konkrete Beschlüsse der NATO in dieser Frage.
    Deutsches Engagement in der internationalen Politik
    Müller: Irgendwann wird Frank-Walter Steinmeier auch wieder auf die Idee kommen, viel zu reisen, viele Städte zu besuchen, Gespräche zu führen. Kann er sich das sparen?
    Kaim: Nein, ich glaube, die deutsche Politik tut gut daran, sich nicht zu klein zu machen. Wenn man keinen militärischen Beitrag leisten kann, heißt das ja nicht, dass man nicht anderes leisten kann. Und es ist durchaus sinnvoll, im Kontext einer koordinierten auch gerade Antiterrorpolitik oder Terrorismusbekämpfungspolitik im Rahmen der Europäischen Union, sehr viele Konsultationen durchzuführen. Weil, die Frage von Isis ist eben nicht nur eine regionale, die den Nahen und Mittleren Osten betrifft, sondern über den Transfer, über die Bewegung von islamistischen Kämpfern, die in den letzten Wochen ja ausreichend thematisiert worden ist, droht es zu einem innenpolitischen Thema zu werden und bedroht damit auch die sicherlich der Bundesrepublik.
    Müller: Also, Sie sagen, Herr Kaim, es reicht, wenn die Deutschen immer nur reden?
    Kaim: Nein, nur reden sollen sie nicht. Auch in der internationalen Politik gilt nur das, was man tut. Mein Punkt ist nur zu sagen: Ein Engagement und ein besonderes Verantwortungsbewusstsein deutscher Politik muss sich nicht zwangsläufig in militärischen Beiträgen artikulieren.
    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk Sicherheitsexperte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag!
    Kaim: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.