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Islam und Homosexualität
Soll ich mich selbst hassen?

Hass und Hetze von Muslimen gegen Schwule - das hat etwas mit dem Islam zu tun, behaupten die einen. Nein, der Koran sagt gar nichts zur Homosexualität, es gibt eine tolerante Tradition, behaupten die anderen. Inmitten der Konflikte um die richtige Auslegung der Schriften suchen viele muslimische Homosexuelle ihren eigenen Weg, um mit Allah und sich selbst im Reinen zu sein.

Von Sophie Elmenthaler |
    Homosexualität.
    Homosexualität. (picture alliance / Jose Jacome)
    Als sich die Gemeinde in der Berliner Marienkirche beim Gottesdienst zum Christopher Street Day zum Abendmahl erhebt, bleiben nur wenige Besucher auf ihren Plätzen sitzen. Es ist ein interreligiöser Gottesdienst, und zum ersten mal in der Geschichte des Berliner CSDs ist ein schwuler Imam zugegen, Ludovic Mohamed Zahed, eingeflogen aus Frankreich. Einen offen schwulen Deutschen Imam gibt es bisher nicht.
    Imam und schwul, überhaupt, Islam und queer - ein Oberbegriff für von der Norm abweichende Sexualitäten und Genderidentitäten - das scheint für viele Menschen ein Widerspruch in sich zu sein. Der Lesben- und Schwulenverband, kurz LSVD, der den Gottesdienst mit ausrichtet, tat sich daher lange Zeit schwer mit der Integration von Muslimen. Adam, Politikstudent, zierlich, mit schwarzen Locken und Bart, sitzt schräg gegenüber der Kanzel. Er kam vor sechs Jahren aus Ägypten nach Berlin.
    "Meine Eltern waren nicht unbedingt religiös, aber schon mit 12 wollte ich freiwillig den Koran lernen, und war ich auch schnell dabei, und ich hab anderen Kindern den Koran beigebracht. dann hatte ich eine Phase wo ich sehr religiös bin, und dann hat ich eine Phase wo ich gedacht hab, das pass irgendwie nicht zusammen, aber gleichzeitig ehrlich gesagt, ich meine es gibt Leute die wirklich dadurch gequält werden und große Konflikte haben, aber ich hatte nicht diesen krassen Konflikt, also ich hatte immer das Gefühl, ich war immer so nah zu Gott und ich hatte das Gefühl das ist jetzt nicht was, was Gott persönlich ärgern soll."
    Dass er nicht schwul, oder wie Adam mittelerweile sagt, queer UND Muslim sein kann, ist eine Idee, die ihm erst in Deutschland so richtig begegnete.
    "Das ist eine Frage, die mich immer so gestört hab, dass ich hier bin jetzt, ich kann alles machen, was ich will, dass es gut ist, dass ich hier bin, weil ich gehöre hier hin als schwuler Mann, dann muss ich eigentlich mein kulturelles Selbst auch hassen, das als homophob und patriarchalisch gilt, und ich muss so teil des Westens sein."
    Keine Frage: wer sich die dominanten Stimmen in der islamischen Theologie anschaut, wird da ziemlich viel Homophobie und Patriarchat finden. Viele Länder, in denen homosexueller Geschlechtsverkehr mit der Todesstrafe bedacht wird, berufen sich auf die Religion. Aber ist der Islam per se homo- und transfeindlich? Nein, sagt der zum Gottesdienst geladene Imam Ludovic Mohammed Zahed: "Im Koran wird Homosexualität überhaupt nicht erwähnt. Jedes Mal, wenn das Volk von Sodom und Gomorrha unter anderen vorkommt, geht es um rituelle Gewalt, Piraterie, Raub. Das ist nicht die Homosexualität, es ist ein Vorurteil, dass der Koran Homo- und Transsexualität verteufelt. Es gibt einen sehr klaren Vers, der besagt "kein Volk vor ihm hat sich solchen Gräueln hingegeben", und das bezieht sich entsprechend der Berichte des Herodot auf rituelle Gewalt, die verboten ist, erzwungene Pädophilie, das Recht der ersten Nacht, Zwangsprostitution und sexuelle Sklaverei. Das steht im Koran."
    Der Prophet seinerseits habe sexuelle Minderheiten geschützt und bei sich aufgenommen. Dabei behauptet Imam Zahed nicht, das Homophobie in muslimischen Ländern kein Problem wäre. Es habe nur nichts mit dem Islam zu tun: "Ich sage nicht, dass der Islam nicht homophob ist, ich sage: der Islam existiert nicht. Der Islam, das sind die Muslime. Nicht die Dogmen."
    Vielleicht liegt genau da das Problem: Dass "der" Islam nicht existiert, sondern nur Muslime, und viele Muslime ihre Religion in einer patriarchalen und homophoben Weise auslegen?
    Mit der Frage, was Auslegungssache ist, und was nicht, sind an einem sonnigen Samstagnachmittag auch eine Handvoll Leute in der Refo-Gemeinde in Berlin-Moabit befasst. Der Liberal-Islamische Bund, einziger muslimischen Verein in Deutschland, der homo-, trans- und inter-Personen offiziell willkommen heißt, hat zu einem offenen Treffen geladen. Die Teilnehmer schauen das Streitgespräch zwischen dem ägyptischen Islamkritiker Hamed Abdel Samad und dem Theologen Mouhanad Khorchide. Der eine sagt, der Islam habe faschistoides Potenzial, der andere, er sei barmherzig. In der Diskussion wird schnell klar: Es geht um die Frage des Umgangs mit einer Religion, deren Quellen widersprüchliche Aussagen enthalten. Nur eine historisch-kritische Herangehensweise, die den Text nicht wörtlich nimmt, ist mit heutigen Vorstellungen von Gleichberechtigung vereinbar. Die ist aber bisher Sache einer Minderheit. Nach dem Film wird lebhaft diskutiert.
    Unter den Teilnehmern sitzt auch der Tierarzt Habib, dessen grau melierter Bart eher nach Hipster als nach Muslim aussieht. Er konvertierte vor rund 20 Jahren vom Katholizismus zum Islam. Die kritische Auseinandersetzung mit religiöser Theorie und Praxis ist für ihn selbstverständlich.
    "Im Islam habe ich die einzige Religion gefunden, die auch anders verstanden werden könnte. Weil im Prinzip alle Weltreligionen haben was gegen Schwulsein. Vor allem solche, die ein Oberhaupt haben, das sich äußert ja ich sage jetzt so und so."
    Was ihm außerdem zusagte, waren spirituelle Aspekte, das Versinken im Gebet und die Gelassenheit, die er aus der Gottergebenheit ziehen konnte.
    "Also Islam in dem Sinne die Bedeutung vom Wort sich Gott unterwerfen, heißt akzeptieren ich bin halt schwul. Nicht versuchen, mit Gebet, Elektroschock oder was auch immer dieser ein umlenken, sondern sagen, ich akzeptiere, dass ich schwul bin, und ich möchte aus meinem Leben das Beste daraus machen."
    Zu seiner Überraschung schlug ihm bisher auch von Seiten der Glaubensbrüder wenig Skepsis entgegen: "Komischerweise finde ich weniger Verständnis wenn Schwule erfahren, dass ich Moslem bin, als andersrum. Die meisten Mosleme ist es egal. Also meine Geschichte wollen die überhaupt nicht wissen, es geht die gar nichts an."
    Der Aspekt des "nichts angehen" trifft einen zentralen Unterschied, der historisch im Umgang mit Sexualität zwischen Europa und der islamischen Welt besteht. Wie der Islamwissenschaftler Thomas Bauer schreibt, wurde Sexualität in Europa erst im Zuge der Aufklärung kategorisiert, moralisch bewertet und zu einem Teil der Identität gemacht, mit der man sich auseinanderzusetzen hatte. Vorher war Sex etwas gewesen, was man tut, nun wurde es zu etwas, was man ist. Viele islamische Länder übernahmen dieses Modell trotz Kolonialismus aber nur teilweise. Vielerorts ist Sex immer noch Privatsache und hat in der Öffentlichkeit nichts zu suchen. Was die Rechte von Transpersonen angeht, gab es immer lokale Unterschiede. Vieles, was Islamisten heute als urislamisch behaupten, ist tatsächlich moderner Fundamentalismus.
    Haya, die in Deutschland aufgewachsen ist, hat sich viel mit der verwickelten Geschichte von Sexualität, Religion und Kolonialismus auseinandergesetzt: "Natürlich, es gibt natürlich in muslimischen Communities dominante Diskurse, und die können durchaus problematisch sein, das hat aber nichts damit zu tun, dass es muslimische Communities sind, sondern damit, dass viele Communities heteronormativ, heterosexistisch, patriarchal und so weiter strukturiert sind, was so diese Behauptung angeht dass muslimische Menschen in Deutschland stärker mit Patriarchat zu kämpfen haben als deutsche, christlich sozialisierte deutsche-deutsche Leute, ja das halt ich für rassistischen Quatsch."
    Haya ist Sozialpädagogin, trägt lange Haare, Piercings und Tattoos. Sie sitzt am May-Ayim-Ufer an der Spree in der Sonne, einem Ort, der ihr politisch wichtig ist. May Ayim war eine afrodeutsche Dichterin und Aktivistin.
    Ób Islam und Queerness zusammen gehen, war nie die Frage für Haya, eher, WIE das gehen könnte: "Ich bin dann irgendwann zu dem Punkt gekommen, ne wenn ich mich als muslimisch definiere an Gott glaube und an bestimmte Attribute glaube, dann glaube ich auch daran, dass ich Teil seiner Schöpfung bin und damit erledigt sich die Frage irgendwie für mich."
    Mit ihren konservativen Eltern versteht sich Haya nach eigener Aussage gut. Meinungsverschiedenheiten sieht sie in guter islamischer Tradition:
    "Wenns um sone eigene Auseinandersetzung geht ist für mich auch immer ganz wichtig mir in Erinnerung zu rufen, dass es von relativem Anbeginn im Islam immer schon sehr unterschiedliche Interpretationsansätze gab und dazu auch ermuntert wurde und es im Grunde nichts neues darstellt, sich als muslimischer Mensch widersprüchlich mit seiner oder ihrer Religion auseinanderzusetzen."
    Wenn sich diese Sichtweise allgemein durchsetzen würde und Fundamentalisten nicht mehr für sich beansprüchen könnten, die wahren Islam zum repräsentieren, dann wären queere Muslime wohl kein Grund für Irritationen mehr.