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Istanbul und der Bosporus

Der Bosporus ist Istanbuls Lebensader und die Nahtstelle zwischen Asien und Europa: Täglich wechseln etwa vier der 12 Millionen Einwohner der türkischen Metropole die Kontinente, wenn sie von zu Hause an ihren Arbeitsplatz und wieder zurück fahren. Die Meerenge zieht sich 30 Kilometer quer durch Istanbul und teilt die Stadt in einen europäischen und asiatischen Teil.

Mit Reportagen von Gunnar Köhne | 25.07.2009
    Istanbul hören, heißt niemals Ruhe zu haben. Rund 15 Millionen Menschen sollen in dieser Metropole leben. Sie ist die Einzige, die auf zwei Kontinenten, in Europa und in Kleinasien liegt. Dazwischen: der Bosporus, eine Meerenge, die das Schwarze Meer im Norden mit dem Marmarameer im Süden verbindet. 31 Kilometer lang, 660 bis 3000 Meter breit, 30 bis 120 Meter tief. Ein Verkehrsknotenpunkt, ein Arbeitsplatz, ein Ausflugsziel: In Istanbul kommt niemand ums Wasser herum. Es ist ein internationales Gewässer, weshalb die Türkei dem Abkommen von Montreux zufolge nicht einseitig in den Schiffsverkehr eingreifen darf. Allerdings gab es 1936, als dieses Abkommen unterzeichnet wurde, noch keine Rushhour mit überdimensionalen Supertankern.

    Heute befahren täglich bis zu 150 Schiffe den Bosporus, jedes zehnte ist ein Öltanker, meistens aus Russland. Immer wieder kam und kommt es zu gefährlichen Unfällen, und so hat die türkische Regierung vor zehn Jahren eingegriffen und begonnen, den Schiffsverkehr zu regulieren - zum Schutz der alten Stadtteile, jedoch gegen den Willen vor allem Russlands. Bis heute bleibt eine Schifffahrt auf dem Bosporus schön gefährlich.


    Auf einem Tanker durch den Bosporus


    All die vielen Perlen am Ufer - Kapitän Ismail Akkova nimmt sie mit scheinbar teilnahmslosem Blick wahr. Der hagere Mann mit dem Dreitagebart starrt auf die Bugspitze seiner "Sükran", die an osmanischen Holzvillen und Palästen, Jachthäfen und Ausflugslokalen vorbeizieht. 3.000 Bruttoregistertonnen ist der Tanker schwer. Seit 30 Jahren fährt Akkova nun schon zur See. Wie oft er in dieser Zeit durch den Bosporus durchquert hat, weiß er nicht. Der Kapitän schaut seinem Steuermann über die Schulter - die Instrumente zeigen offenbar eine zufriedenstellende Position. Fünf Millionen Kubikmeter Flüssiggas hat er an Bord, in Rumänien haben sie geladen, ihr Zielhafen ist Izmit im Marmarameer. Mit den Ellenbogen, die in den Ärmeln eines tadellos weißen Offizierhemdes stecken, stützt der Kapitän sich auf der Instrumententafel ab und schaut erneut aufs Wasser. Der Bosporus, knurrt er, ist schön, aber gefährlich. Akkova zeigt auf einen pilzförmigen Radarmast am Ufer:

    "Seit es das satellitengestützte Leitsystem gibt, ist die Durchfahrt deutlich sicherer geworden. Die Seefahrtsbehörde kann von der Einsatzzentrale aus den Kurs jedes einzelnen Schiffes verfolgen und sofort über Funk eingreifen, wenn man davon abkommt. Gut ist auch, dass bei großen Tankschiffen der Einbahnverkehr eingeführt wurde und dass besonders große Schiffe gelotst werden."
    Die Sükran ist etwa so groß wie das rumänische Tankschiff "Independenta", das am 15. November 1979 im Bosporus mit einem griechischen Frachter kollidierte und in Flammen aufging. Der brennende Rohölteppich tauchte die ufernahen Stadtviertel in tiefschwarze Nacht und ließ noch in einem Kilometer Entfernung die Bleifassungen in den Fenstern schmelzen. Nur durch ein Wunder fraßen die Flammen nicht die Sultansresidenzen am Ufer.
    Auf der Brücke der "Sükran", 20 Meter über dem Meer lassen sich auf der Wasseroberfläche Wirbel erkennen. Der Wasserstand im Schwarzen Meer ist höher als der in der Ägäis. Deshalb herrscht ständig starke Strömung in den türkischen Meerengen. Kapitän Akkova nippt an dem Teeglas, das er sich vom Schiffsmaat hat bringen lassen.

    "Dort drüben an der Landnase vor Kandilli ist die Strömung besonders stark, das ist die gefährlichste Stelle, die Strömung kann einen mit bis zu sechs Knoten Geschwindigkeit zum Ufer hin ziehen. Dann ist es am südlichen Ende, kurz vor der Einfahrt ins Marmarameer noch einmal brenzlig wegen der vielen kreuzenden Fähren. Aber wir sind gerüstet. Sehen Sie den Matrosen vorne am Bug? Der hat die Aufgabe, im Notfall sofort den Anker zu setzen."
    Die Landspitze vor dem Stadtteil Arnavutköy heißt "Kap der Strömung". Dort ist der Bosporus mit 100 Metern am tiefsten und die Strömung fließt hier mit solcher Gewalt, dass es kleineren Schiffen schwerfällt, nicht in die Gefahrenzone zu geraten. Kleinere Boots- und Schiffsunfälle geschehen fast jede Woche auf dem Bosporus. Es gibt kaum ein Uferrestaurant, dessen Terrasse nicht schon einmal gerammt wurde.
    Von der Brücke der Sükran aus lassen sich mit bloßem Auge die Getränke unterscheiden, die an den Swimmingpools vor den hochgeschossigen Luxuswohnungen getrunken werden - so gefährlich nahe kommen die 3000 Bruttoregistertonnen stellenweise dem Ufer.

    Doch jetzt bloß keine Ablenkung: Ein kleines Ausflugsboot, voll besetzt mit fröhlich winkenden Jugendlichen kommt dem Kielwasser der Sükran gefährlich nahe. Kapitän Akkova lässt über Funk eine Warnung rausgeben.
    "Schauen Sie sich das an! 70, 80 Mann an Bord, völlig überladen und garantiert keine Rettungswesten dabei. Möge Allah sie davor bewahren, aber bei der kleinsten Havarie würde die Hälfte der Passagiere umkommen."
    Die Sükran passiert die erste von zwei Brücken, die sich über dem Bosporus spannen. Von einem Öltanker aus erscheint die 60 Meter hohe Hängekonstruktion zum Greifen nahe. Kapitän Akkova ist nach draußen an Deck getreten, und für einen Augenblick genießt er die traumhafte Überfahrt:

    "Dort drüben ist das Beylerbey Schloss. Das hat der letzte Sultan Anfang des 20. Jahrhunderts noch bauen lassen - mit gepumpten Geld aus Europa! Nein, eigentlich ist es für mich auch nach all den Jahren noch ein Vergnügen durch den Bosporus zu fahren. Das werde ich doch nach meiner Pensionierung vermissen, besonders die frühen Morgenstunden."
    Die Sükran erreicht Sarayburnu, die Landspitze, auf der der Topkapipalast thront. Hier trifft der Bosporus nach 30 Kilometern und zweieinhalb Stunden Fahrt auf das Goldene Horn und das Marmarameer. Am Hafen Tophane hat ein britisches Kreuzfahrtschiff angelegt. Weiß getünchte Dieselfähren kreuzen hektisch zwischen den Ufern hin und her.
    Ein Versorgungsboot bringt den Reporter zurück an Land. Vor dem Eingang zum Bosporus ankern Dutzende Tankschiffe im Marmarameer. Sie warten auf ihre Durchfahrtgenehmigung. Die "Sükran" dreht ab Richtung offenes Meer. In fünf Tagen schon ist sie wieder zurück - zu einer schönen, aber nicht ganz ungefährlichen Tankerfahrt durch die schönste Meerenge der Welt.

    Als erster Türke hat Orhan Pamuk 2006 den Literaturnobelpreis erhalten, eine Entscheidung, die am Bosporus mit Stolz und Freude aufgenommen wurde. Dabei hatte sich der Schriftsteller nur ein Jahr zuvor mit der türkischen Obrigkeit angelegt, weil er öffentlich vom "Genozid an den Armeniern" sprach. Pamuk wurde dafür vor Gericht gestellt, auf Grundlage des umstrittenen § 201, der die "Beleidigung des Türkentums" zum Straftatbestand erklärt. Lange vor dieser politischen Fehde hat Orhan Pamuk 2003 ein autobiografisches Buch geschrieben, in dem er seiner Geburtsstadt ein Denkmal setzt - wie so oft in seinen Werken. Unter dem Titel Istanbul. Erinnerungen an eine Stadt beginnt Pamuks Zeitreise in seiner frühesten Kindheit, im Istanbul der 50er-Jahre.

    Das Wort Bosporus leitet sich ab aus den griechischen Begriffen für Kuh- oder Ochsenfurt: Dem Mythos nach hatte die Königstochter Io sich in eine Kuh verwandelt, um so die bis zu hundert Meter tiefe Furt durchqueren zu können - all das für eine Liebesnacht mit Zeus. Über die genaue Entstehung des Bosporus diskutieren die Wissenschaftler bis heute. Wahrscheinlich handelt es sich um ein Flusstal, das während der letzten Eiszeit geflutet wurde. Dazu passt, dass der türkische Name für Bosporus von dem Wort Schlund abgeleitet ist, der Schlund des Schwarzen Meeres. Die starken Strömungen in der Meerenge sind bis heute berüchtigt - wer direkt in einem der Ufergebäude lebt oder arbeitet, muss mit dem Schlimmsten rechnen, einem Schiffsbug im Swimmingpool, oder einem Ruderboot im Restaurant.

    Trotzdem gehören die ufernahen Viertel zu den besten Wohngegenden, die Istanbul zu bieten hat. Ein Haus mit Bosporusblick gilt deshalb als begehrtes Statussymbol der Besserverdienenden. Viele der schicken Sommervillen, die auf türkisch Yali heißen, sind seit der Osmanenzeit in Familienbesitz. Heute ist die Instandhaltung dieser Holzhäuser aufwändig und kostspielig. Bis in die siebziger Jahre hinein brannten zahllose Yali auf scheinbar ungeklärte Art und Weise ab, die Besitzer bauten anschließend an gleicher Stelle moderne Villen oder lukrative Appartmenthäuser. In den siebziger Jahren wurde es dem Staat und der Versicherungs-Branche schließlich zu bunt. Seit der Einführung strenger Denkmalschutzgesetze brennt kaum mehr ein Haus.

    Wie zu Sultans Zeiten: Die Bosporus-Villa des Leibarztes


    "Jetzt zeige ich Ihnen das Original-Hamam. Seit mehr als 100 Jahren verwenden wir das. Wir heizen das und - hier wird gebadet. Im Sommer brauchen wir nur zwei oder drei Stücke Holz, das reicht. Aber im Oktober müssen wir schon früh morgens heizen, damit wir uns nachmittags waschen können. Ja so ist das."
    Nein, diese Kappengewölbe mit den augenförmigen Oberlichtern, die marmornen Waschbecken und vergoldeten Armaturen gehören nicht zu einem Museum. Dieses Hamam aus dem 19. Jahrhundert ist tatsächlich das Badezimmer von Zerhan Gökpinar. Die 58jährige ist die Urenkelin eines osmanischen Paschas, und das Hamam gehört zu dessen Sommerhaus - einer stattlichen Holzvilla am anatolischen Ufer des Bosporus, unweit der mittelalterlichen Festung Anadolu Hisari. Ihr Großvater Hekimbasi Salih Efendi diente drei Sultanen als Leibarzt. Für die Sommermonate baute er für sich, seine dritte Frau und seine drei Töchter ein Yali. Heute ist die dunkelrote Hekimpascha Villa eines der größten Schmuckstücke des Bosporus. Nicht nur das Hamam, auch alles andere steht noch genau so da wie zu Zeiten des Leibarztes. Ganze drei Gegenstände im Haus - ein Fernsehapparat, eine Waschmaschine und ein Kühlschrank - stammen aus unserer Zeit, erzählt Zerhan Gökpinar stolz, während sie behende die ausgetretenen Holzstufen in den oberen Stock hinaufsteigt.
    Im oberen Stockwerk liegen die Schlaf- und Wohnzimmer. Biedermeiermahagoni, wohin man schaut, Sekretäre und Anrichten verschwenderisch mit Perlmut verziert. Die seidenen Perserteppiche, die jeden Quadratzentimeter des Holzfußbodens bedecken, verbreiten den Muff eines hohen Alters. Auf einem Tisch liegt eine geöffnete Schatulle mit dem silbernen Operationsbesteck Hekimbaschis. Ein Foto an der Wand zeigt einen ernsten Mann mit langem Bart und Fes, einem damals üblichen kegelförmigen Hut auf dem Kopf. Hekimbaschi war nicht nur Arzt, sondern auch ein über die Grenzen der Türkei bekannter Naturwissenschaftler und Botaniker. Zerhan Gökpinar geht auf einen Spiegeltisch zu:

    "Das sind seine Orden. Das sind seine osmanischen Orden, der hier ist von Franz-Joseph und der ist vom Papst ... Ja, weil er immer etwas Neues erfunden hat, für seine medizinischen Rezepte und seinen botanischen Garten. Er war im Ausland berühmt. Denn er hat auch Bücher geschrieben. Und er hat die französische Sprache einwandfrei beherrscht und hat auch Bücher auf Französisch geschrieben."
    Den großen Salon des Hauses, der sich zur Gartenseite hin erstreckt, werden die Gökpinars im Winter für ein paar Tage einer Filmproduktionsfirma überlassen. Dort soll eine Episode aus dem Leben Istanbuler Pascha-Nachkommen gedreht werden. Inhaltlich will Gökpinar damit nichts zu tun haben, weil ihre eigene großbürgerliche Jugend eigentlich unspektakulär war und für ein Drehbuch nicht taugen würde:

    "In diesem Wohnzimmer hatte jeder seinen eigenen Platz. Da saß meine Großmutter, hier saß mein Vater, hier saß ich und gegenüber meine Schwester. Wir haben Musik gehört und Zeitung gelesen, weil wir tagsüber nicht zuhause waren, ab und zu mal geplaudert ... Ich und meine Schwester spielen Klavier und besuchten das Istanbuler Konservatorium. Und meine Mutter war auch eine Pianistin und Klavierlehrerin am Konservatorium."
    Zerhan Gökpinar hat einen graumelierten Kurzhaarschnitt und trägt Jeans - einen Standesdünkel merkt man der Paschaerbin nicht an. Weit und breit ist kein Dienstpersonal zu sehen - ohnehin sind die Nachfahren der osmanischen Oberklasse heute in Istanbul längst durch die neureichen Zuwanderer verdrängt worden. Obwohl schon im gesetzlichen Rentenalter, arbeitet Gökpinar immer noch als Angestellte in der Vertretung einer deutschen Metallfirma, was ihre guten Deutschkenntnisse erklärt. Sie bleibt vor den niedrigen Holzfenstern stehen, in deren Rahmen sich die Wellen des Bosporus spiegeln. Ihre Eltern, erzählt sie, hätten sie vor Hochmut immer gewarnt:

    "Weil man Vater immer sagte, als Mensch bedeutet es nichts, dass man ein solches Haus hat oder die dritte Generation einer solchen Familie ist. Sondern du musst dich als Mensch so verhalten, dass du es wert bist, aus dieser Familie zu stammen."
    Der Garten des Hauses zieht sich von Terrasse zu Terrasse zu einer Bruchsteinmauer hoch, die das Grundstück von der Uferstraße trennt. Unter freiem Himmel serviert Zerhan Gökpinar Tee und Gebäck. Mit ihrer Schwester überlegt sie, ihr Haus künftig wenigstens stundenweise für Touristen und Sonntagsmatinees zu öffnen. Die finanzielle Belastung, die der Erhalt des Hauses erfordert, wird von Jahr zu Jahr größer, sagt sie. Vom türkischen Staat gäbe es zwar eine Menge Denkmalvorschriften, aber keine finanzielle Unterstützung. Um alles kümmern sich die beiden Schwestern persönlich, auch um die ganz spezielle, salzwasserresistente Holzfarbe:

    "Wir haben ein bestimmtes Rezept und wir machen es selbst. Es gibt bestimmte Verhältnisse, von welchen Zutaten man wie viel nehmen soll. Und dann wird es in großen Fässern zubereitet und jeden zweiten Tag gerührt. Dann zweimal gestrichen und das Holz nimmt das Ganze wie ein Schwamm auf. Aber wegen der Brücke hält die Farbe nicht mehr zehn Jahre, sondern wir müssen jetzt alle drei Jahre neu streichen. Hinten ist die Farbe noch in Ordnung, aber vorne ist sie schon ganz grau und schwarz geworden. Diese Abgase kleben einfach."
    Die in nur 500 Metern Entfernung verlaufende zweite Bosporusbrücke hat seit ihrem Bau vor zwanzig Jahren das Leben der Hekimbaschi- Nachkommen beeinträchtigt. Nicht nur, dass der botanische Garten ihres Großvaters der Brücke weichen musste. Es rauscht und vibriert 24 Stunden lang. Auch der immer dichter werdende Schiffs- und Bootsverkehr trägt zur Geräuschkulisse bei. Doch an einen Verkauf des Hauses hätten sie nie gedacht, sagt Gökpinar als sie ein paar Stufen hinunter auf den Badesteg tritt. Während sie den Winter in einer anonymen Appartmentwohnung verbringen, zieht es auch ihre erwachsenen Kinder in den Sommermonaten sehnsüchtig zurück in ihre Yali. Die rote Holzvilla, die aus drei raffiniert ineinander verschachtelten Flügeln besteht, bedeutet für Gökpinar nicht nur historische Verantwortung, sondern sie steht auch für ein bis heute glückliches Leben einer Großfamilie:

    "Am Wochenende, wenn wir aufstehen, hat jeder schon den Badeanzug an. Dann wird erst gebadet und dann gefrühstückt. Es gibt ja eine starke Strömung. Dann guckt man, ob das Wasser sauber ist, und springt einfach hinein. Als wir klein waren, hat uns unsere Mutti einfach ins Wasser geworfen. Wir mussten so schwimmen lernen."
    Weil es in der Villa von Hekimbaschi Salih Efendi keine Heizung gibt, packen seine Enkel und Urenkel jedes Jahr Ende Oktober wieder ihre Sachen und ziehen zurück in ihre Winterwohnungen. Dann gehört die leuchtend rote Ufervilla wieder allein dem Bosporus.
    660 vor Christus ließen sich die ersten Griechen auf der europäischen Seite des Bosporus nieder und gründeten die Kolonie Byzantion. Die Nähe zum Schwarzen Meer erwies sich als guter Standortfaktor, und so florierte bald schon der Handel mit gepökeltem Fleisch und Getreide. Ab 330 vor Christus wurde die Stadt in Konstantinopel umbenannt, und war von da an Jahrhunderte lang das Zentrum des Oströmischen Reiches. Nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen wurde die Stadt 1453 schließlich von den Osmanen erobert.

    Istanbuls heutige Bedeutung als Handels- und Verkehrszentrum wurzelt im 19. Jahrhundert. Damals entdeckten die europäischen Großmächte die strategische Bedeutung des Bosporus und der Dardanellen. Heute träumt der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan von einer "Seidenstraße des 21. Jahrhunderts" - eine Botschaft, die sich in Zeiten immer knapper werdender Ressourcen vor allem an die Europäische Union richtet: In Asien gibt es das Öl und Gas, das Europa so dringend braucht. Genau dazwischen liegt die Türkei, und genau an der Grenze zwischen beiden Kontinenten fließt der Bosporus. Als Drehkreuz für den globalen Rohstofftransport wird er deshalb immer wichtiger und als Knotenpunkt für Pendler und Reisende immer unübersichtlicher: Die beiden Autobahn-Brücken über dem Bosporus sind heute schon chronisch verstopft. Umso mehr richten sich die Hoffnungen der Verkehrsplaner nun auf einen Eisenbahntunnel.


    Ein Tunnel von Europa nach Asien

    Wer mit der Eisenbahn von Europa in den Orient fahren will, muss bislang am europäischen Ufer Istanbuls, im Bahnhof Sirkeci, aussteigen und mit einer Fähre zum asiatischen Ufer hinübersetzen. Vom Bahnhof Haydarpascha aus - wie Sirkeci ein von deutschen Architekten gebauter neoklassizistischer Prachtbau - geht es dann weiter Richtung Osten. Doch in wenigen Jahren sollen die beiden Sackbahnhöfe ausgedient haben.
    Abstieg in den Bosporus. Unweit der ufernahen Teegärten von Üsküdar geht es trockenen Fußes über eiserne Wendeltreppe 30 Meter einen Schacht hinab ins Meer. Am Meeresgrund angekommen blickt der Besucher in das ehrgeizigste Verkehrsprojekt in der Geschichte der modernen Türkei: zwei durch eine Betonwand getrennte haushohe Röhren - ein Bahntunnel unter dem Bosporus hindurch.
    Stolz läuft Zekirya Kapanci voran in den Untergrund - immer das spätere Gleisbett entlang. 1,4 Kilometer lang ist der Tunnel, elf Röhren wurden dafür im Meer versenkt und unter Wasser, angeleitet von japanischen Ingenieuren, zusammengesteckt. Noch sind die beiden Enden nicht mit den Ufern verbunden - der Durchstich lässt auf sich warten. Absolut erdbebensicher sei die Röhre, verspricht Kapanci, und eine Spitzenleistung zudem:

    "Es gibt längere Unterwasser-Tunnelröhren, aber nirgendwo tiefere. Der BART-Tunnel in der Bucht von San Francisco hielt bislang den Rekord mit 45 Metern Tiefe. Aber wir sind am tiefsten Punkt bei minus 60 Metern. Damit sind wir Weltspitze!"

    Der Druck, der auf dem internationalen Baukonsortium lastet, ist groß. Die Regierung in Ankara will ihr Land mit einem modernen, schnellen Schienennetz stärker an Europa anbinden. Die Istanbuler erwarten sich von dem Tunnel die Erlösung vom täglichen Verkehrschaos. Doch diesen Tunnel zu bauen ist keine leichte Sache, er stellt eine große Herausforderung an die beteiligten Ingenieure, erklärt Kapanci:

    "Beim Versenken der 15 Meter langen Röhren ist glücklicherweise nichts passiert. Aber wir mussten höllisch aufpassen. Die Strömung des Bosporus ist an dieser Stelle sehr stark. Die Bauarbeiten gingen Zentimeter für Zentimeter voran und wurden mit einem GPS-Ortungssystem gesteuert. Nachdem die Röhren halb im Meeresboden versenkt waren, mussten sie noch mit einer Betondecke versiegelt werden."
    Eigentlich sollte die neue transkontinentale Bahnstrecke im nächsten Jahr eingeweiht werden, jetzt ist von 2015 die Rede. Dass die Tunnelarbeiten nicht so schnell vorankommen wie geplant, liegt auch an Cemal Pulak. Der türkische Archäologe mit Lehrstuhl in Texas hat auf europäischer Seite die Untergrundarbeiten aufgehalten und den Bauplatz eines Bahnhofes bis auf Weiteres mit einem Archäologenteam übernommen. In Jeans und Holzfällerhemd hockt der Wissenschaftler unter einer Zeltplane und befühlt fast zärtlich die Erklärung für den Baustopp: Die hölzernen Überreste eines Segelschiffes aus der Blütezeit Byzanz.
    Vorsichtig spritzt ein Mitarbeiter Pulaks den Schlamm unter dem Wrack fort. Auf dem Bauch liegend tastet er dann mit seinen Händen den Boden unter dem Holz ab und holt ein paar Amphorenscherben hervor. Der 14 Meter lange Schiffsrumpf ist fast vollständig erhalten - eines von neun Wracks, die hier nach über eintausend Jahren wieder ans Tageslicht gebracht werden. Die schlanke Form deutet darauf hin, dass es sich um leichte und wendige Handelsschiffe für den Transport von Wein und Getreide gehandelt haben muss. Hier, im Stadtteil Yenikapi, unweit der historischen Seemauern, lag einst der Haupthafen des Byzantinischen Reiches. Cemal Pulak nennt diese Funde einen großen Glücksfall:

    "Gegen Ende des ersten Jahrtausends muss es einen großen Sturm gegeben haben, der eine Reihe von Schiffen in diesem Teil des Hafens sinken ließ. Byzanz wurde ja auch "Gebieterin der Meere" genannt. Was Byzanz, später Konstantinopel und heute Istanbul groß gemacht hat, waren der Bosporus und das Marmarameer. Byzanz war ein früher maritimer Staat. Vermutungen, dass der Hafen hier gelegen haben muss, gab es schon lange. Doch jetzt haben wir Gewissheit, und die Ausgrabungen werden uns helfen, die byzantinischen Bauwerke der Altstadt noch besser einzuordnen."
    Die wertvollsten Fundstücke aus dem byzantinischen Hafenbecken sollen später in den Untergrundbahnhöfen der neuen Bahnlinie ausgestellt werden. Museumsbahnhöfe für die Reisenden von Europa nach Asien.

    Orhan Pamuk wurde 1952 in Istanbul geboren. Sein gleichnamiges Buch ist eine Liebeserklärung an seine Heimatstadt, in der er bis heute lebt. Unter anderem erinnert Pamuk sich in seinem Buch an die Buslinie Taksim-Emirgân, deren Haltestelle früher direkt vor seinem Elternhaus lag. In den 50er-Jahren brauchte Familie Pamuk einfach nur in diesen Bus zu steigen, wenn es sie ans Wasser zog.

    Istanbul lebt seit alters her von den Meeren, die es umgeben. Die Schifffahrt hat der Stadt den wirtschaftlichen Aufstieg beschert, und der Fisch für einen reich gedeckten Tisch gesorgt. Bis heute gehört der Besuch in einem Istanbuler Fischrestaurant für jeden Besucher zum Pflichtprogramm. Für die, die ihn fangen, ist das Leben indes härter geworden. Mit dem Nebel und den kalten Wintern kommen die Fischer irgendwie zurecht. Dass der Bosporus aber in manchen Abschnitten fast leergefischt ist, dass die Preise immer niedriger und die Konkurrenz immer größer wird, das macht ihnen heute mehr denn je zu schaffen.

    Die meisten Einzelkämpfer halten sich so gerade über Wasser. Manche der Männer versuchen, ihr Einkommen zu halten, in dem sie über Monate hinweg Tag und Nacht auf dem Wasser bleiben, um keinen Fischschwarm zu verpassen. Andere haben mit einem mühsamen Kredit in ihre Kutter investiert und sie mit moderner Technik aufgerüstet: Bis zu 700 Meter sind die Schleppnetze heute lang. Viel verdienen lässt sich trotzdem nicht, aber ein Grundsatz bleibt: einmal Fischer, immer Fischer.

    Ein Bosporus-Fischer erzählt


    Der Fischmarkt an der Galatabrücke, es ist frühmorgens. In Plastikbottichen zappelt der frisch angelandete Fang. Fischhändler preisen lautstark ihre silbern glänzende Ware an. Die ersten Hausfrauen mit Einkaufstüten in der Hand mustern kritisch die Makrelen, die ordentlich aufgereiht auf den mit Folie ausgeschlagenen Holztischen liegen.
    Fischer Gökhan Kuzu, ein hagerer Mann Anfang 50, dessen schwarzer Pullover mit silbrigen Fischschuppen durchsetzt ist, will noch einmal raus fahren mit seiner "Altin Cocuk", zu deutsch "Goldkind". In der Mitte des betagten, sieben Meter langen Bootes liegt ein offener, verölter Motorblock.
    Fischer Kuzu wirft den Motor an und nimmt Kurs auf jene Stelle im Bosporus, wo die Meerenge mit Goldenem Horn und Marmarameer zusammenfließt. Misstrauisch lässt er dabei ständig den Blick schweifen, sich vergewissernd, dass er nicht einer Fähre oder einem Tanker in die Quere kommt.

    "Ich bin seit 33 Jahren Fischer. Aber eigentlich ist dieser Beruf hier am Bosporus am Ende. Die Umweltverschmutzung und die großen Fangtrawler haben die Fischbestände vernichtet. Früher gab es im Marmarameer 176 Fischarten, heute sind es nur noch 25. Ich mache das im Grunde genommen nur noch zum Vergnügen. Man ist weit weg von dem ganzen Stress und den vielen Leuten. Der Verkehr auf dem Bosporus ist für uns kleinen Fischer ein Risiko. Das geht hier manchmal zu wie auf einer Schnellstraße. Sehen Sie selbst: kreuz und quer, hin und her. Aber wenigstens die Fähren versuchen, auf uns Rücksicht zu nehmen. Wenn unser Motor streikt, helfen uns die Fährkapitäne meistens. Obwohl wir ihnen doch ständig im Weg liegen, da haben sie Recht. Aber was sollen wir machen? Den meisten Fisch finden wir nun mal im tieferen Teil des Bosporus. Ich fange jeden Tag um sechs Uhr morgens an. Mit kleinen Fischen als Köder versuche ich, als Erstes größere Raubfische zu fangen. Ich fange nicht mit einem Netz, sondern mit Schnüren und Haken - das ist das besondere. Wenn man so damit beschäftigt ist, den Fang an Land zu ziehen, vergeht die Zeit wie im Flug. Wenn man auf die Uhr sieht, denkt man: Was? Schon so spät? Aber es ist oft eine harte Arbeit. Im Winter kämpfen wir mit der Kälte, im Sommer macht uns die Sonne zu schaffen. Nach ein paar Stunden bringe ich den Fang zum Fischhändler und lasse mich bezahlen. Jeder von uns hat einen festen Händler, mit dem er zusammenarbeitet. Die Fischpreise sind in letzter Zeit verdammt gefallen. Zum Beispiel die Preise für den Lüfer, der dort vorne im Boot liegt. Den konnte ich im vergangenen Jahr noch für 20 Lira das Kilo verkaufen. Jetzt bekomme ich nur noch zehn Lira. Früher konnte ich in einer Stunde verdienen, wofür ich jetzt fünf, sechs Stunden brauche. Nein, für diesen Beruf muss man das Meer wirklich lieben."

    Bis vor wenigen Jahren machten sich allein Bildungsreisende auf den Weg nach Istanbul, neugierig auf die Schätze und Bauwerke aus vorchristlicher, byzantinischer und natürlich osmanischer Zeit. Heute erobert Istanbul sich von Jahr zu Jahr neue Liebhaber. Reporter, Schriftsteller und Reisejournalisten berauschen sich an der so genannten hippen Stadt am Bosporus, die zwischenzeitlich schon den Titel "Coolest City of the World" verliehen bekam, von der renommierten Zeitschrift Newsweek. Künstler, Filmemacher, junge Leute - immer mehr von ihnen lassen sich am Bosporus nieder. Die besondere Mischung aus europäischem und orientalischem Flair zieht sie an, das Geld ist der andere Grund: Die Wirtschaftskrise trifft die Türkei zwar empfindlich, doch wenn sich noch irgendwo im Lande etwas verdienen lässt, dann am ehesten am Bosporus. Hier wurde bis vor kurzem mehr denn je gebaut, gehandelt und investiert - sehr zum Stolz des Istanbuler Bürgermeisters.

    Selbst wenn die Stimmung in Zeiten der Rezession jetzt gedämpft ist, hält die Stadtverwaltung an einigen Großprojekten fest, unter anderem an der lange geplanten dritten Autobahnbrücke über den Bosporus. Als dieses Projekt bekannt wurde, riss manchen Bürgern in Istanbul allerdings der Geduldsfaden. Ein Besuch in Arnavutköy, einem der ältesten Stadtviertel, in dem niemand unter einer Autobahn leben will

    Die Bürgerinitiative von Arnavutköy und ihr Kampf gegen die dritte Brücke


    Die alten Holzhäuser stehen ein wenig windschief. Ihre weiße Farbe blättert ab, ein mit Holzrüschen verzierter Balkon droht abzusacken. Die Häuser stehen direkt am Wasser, nur der rauschende Verkehr der Uferstraße tobt dazwischen. In Arnavutköy, was übersetzt "Albanerdorf" heißt, ist nicht nur der Fischereihafen verschwunden. Das Dorf am europäischen Bosporus-Ufer - von albanischen Einwanderern vor 150 Jahren gegründet - ist auch schon lange kein Dorf mehr, sondern Teil der 15-Millionenmetrople Istanbul. An den sanft ansteigenden Hügeln kleben überwiegend moderne Appartmenthäuser. Erst wenn man die Nebengassen emporsteigt, tritt der alte Dorfcharakter an manchen Stellen wieder hervor. Katzen und Kinder vergnügen sich auf autofreien Wegen, Alte sitzen im Schatten von Schirmkiefern auf einer Bank.
    Mahmut Celebi, ein stämmiger Mann mit freundlichen Augen, legt einen Stapel Schwarz-Weiß-Fotografien auf die frisch gestärkte Tischdecke. Celebi ist Vorsitzender des örtlichen Heimatvereins. Wenn auf der Terrasse seines kleinen Fischrestaurants kein Hochbetrieb herrscht, dann erzählt Celebi gerne von Arnavutköy, dem von Wäldern umgebenen Dorf, in dem er vor 58 Jahren geboren wurde:

    "Früher war es hier nicht so voll. In den 50er-Jahren lebten hier nur 5000 Menschen. Hier standen fast ausschließlich Holzhäuser, aber im Laufe der Jahre verfielen sie, weil sich niemand darum kümmerte. Früher lebten hier überwiegend Griechen, aber wir Türken kamen wunderbar mit ihnen aus. Wir gingen zusammen Fisch fangen und baden. Und oberhalb des Dorfes pflückten wir Erdbeeren. Stellen Sie sich vor, im Sommer roch es im Dorf förmlich nach Erdbeeren!"
    Die meisten Griechen mussten Istanbul in den 60er-Jahren Richtung Athen verlassen - sie wurden Opfer der politischen Spannungen zwischen den beiden Ländern. Die griechische Gemeinde von Arnavutköy ist auf 80 Mitglieder geschrumpft - geblieben sind überwiegend alte Menschen. Eine alte Frau betritt kurz das Lokal und ruft dem freundlich winkenden Celebi etwas auf griechisch zu. Der Gastwirt beugt sich über den Tisch und senkt seine Stimme:

    "Die Familie dieser Nachbarin züchtete früher Tauben. Über 1000 Vögel hat sie besessen. Dann zogen die Kinder nach Griechenland, sie verkaufte die Vögel und ist seitdem alleine."
    Mahmut Celebi ist stolz auf das einstige Vielvölkergemisch der Bosporus-Dörfer. Jedes Jahr lädt er seine griechischen Jugendfreunde zurück nach Arnavutköy ein. Dann besuchen sie gemeinsam die beiden orthodoxen Kirche des Viertels und anschließend feiern sie alle zusammen in Celebis Restaurant. Vergangenes Jahr konnten alle Arnavutköyer einen besonderen Erfolg für ihren Stadtteil verbuchen: Mit ihrem beharrlichen Protest haben sie den Bau einer dritten Bosporus-Brücke mitten durch Arnavutköy verhindert.

    "Als 1999 bekannt wurde, dass die dritte Brücke mitten durch Arnavutköy gebaut werden sollte, haben wir sofort beschlossen, dagegen vorzugehen. Anfangs waren wir nur fünf Leute, aber dann wuchsen wir schnell zu einer großen Bürgerinitiative. Die Medien haben uns sehr unterstützt. Wir sind nach Ankara gefahren und haben dem Minister die alten Bilder gezeigt, damit er versteht, wieviel durch so eine Brücke zerstört würde. In Europa laufen 40 Prozent des Personen und Warentransports über die Schiene, in der Türkei leider nur sieben Prozent. Wenn nicht mehr in den öffentlichen Nahverkehr investiert wird, dann werden auch fünf Autobrücken für Istanbul nicht ausreichen."
    Mahmut Celebi grüßt einen Angler, der an der Uferstraße sein Glück versucht. Das dunkle Wasser schlägt sanft gegen die Asphaltmauer. Erinnerungen an die Kindheit kommen zurück:

    "Früher gab es hier längst nicht so viel Schiffsverkehr. Die Menschen kamen hierher, um zu baden und zu picknicken. Rund um die Landnase von Arnavutköy ist die Strömung ja ziemlich stark. Als Halbwüchsige nahmen wir uns aufgepumpte Autoschläuche, liefen damit den Bosporus aufwärts und ließen uns mit der Strömung hinab wieder nach Hause treiben."
    Celebi blickt südwärts und zeigt auf die erste Bosporus-Brücke, die seit 1973 die beiden Stadtteile Ortaköy und Üsküdar verbindet. Von Weitem erscheint sie von schlanker Eleganz, doch die Menschen in Ortaköy haben nicht nur einen Teil ihres Viertels verloren, sondern auch ihre Ruhe. Der ununterbrochene Lärm des Verkehrs, die Nerven sägenden Schwingungen der Hängekonstruktion und der herunterrieselnde Staub machen es unmöglich auf dem Balkon zu sitzen. Die Pläne für eine dritte Brücke sind zwar vorerst dank des zähen Widerstandes der Arnavutköyer auf Eis gelegt, doch ganz aufgegeben hat sie die Regierung in Ankara nicht. Mahmut Celebi bleibt darum misstrauisch:

    "Der Ministerpräsident hat doch neulich gesagt, dass sie falls erforderlich noch zwei Brücken mehr bauen wollen. Die ersten Menschen siedelten in Arnavutköy vor 1500 Jahren. Mit einer Brücke würde der Ort verloren gehen. Und mit den Häusern würden unsere Erinnerungen verschwinden."

    Das waren Gesichter Europas an diesem Samstag: Istanbul und der Bosporus. Ein Brückenschlag zwischen zwei Kontinenten. Unser Reporter war Gunnar Köhne. Die Musik hat Babette Michel ausgesucht.
    Für die Literatur-Auszüge bedanken wir uns bei der "du"-Verlags-AG in Zürich. Orhan Pamuks Erinnerungs-Buch Istanbul erscheint im Hanser Verlag München. Gelesen wurde Orhan Pamuk von Axel Gottschick. Im Namen des gesamten Teams verabschiedet sich von Ihnen Barbara Schmidt-Mattern.


    Literatur:

    Orhan Pamuk. Istanbul. Erinnerungen an eine Stadt. München: Hanser Verlag, 2006. Übersetzung: Gerhard Meier. S. 61ff.

    Orhan Veli Kanik. Ich höre Istanbul ersch. in: Poesie. Texte in zwei Sprachen. Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1966, Übersetzung: Yüksel Pazarkaya und Helmut Mader, S. 120