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Italien
Bücher lesen in der Mehrfamilienhausbibliothek

Italiens Kommunen haben immer weniger Geld für die städtische Kultur. Die städtischen Bibliotheken sind so mindestens unterfinanziert, müssen zum Teil schließen. Doch die Bürger versuchen, sich selbst zu helfen. An vielen Orten entstehen so private Bibliotheken - zum Beispiel im Kellerraum großer Mehrfamilienhäuser.

Von Thomas Migge | 20.08.2016
    Bücherstapel
    Die Privatbüchereien in Italien leben von Spenden und ehrenamtlichen Engagement. (imago stock&people)
    "Wir sind ja direkt bei der Porta Portese, im Viertel Trastevere, wo der berühmte Trödelmarkt stattfindet. Das hier ist ein sehr großes Mehrfamilienhaus. 130 Familien wohnen hier."
    Jede Familie, erklärt Lucia Pennosi, hat mindestens ein Buch zur Verfügung gestellt. Einige sogar mehrere Dutzend, so die Bewohnerin des Hauses in der römischen Via Giovanni da Castel Bolognese 30: Romane, Fach- und Sach-, Bilder- und Kunstbücher. Auf diese Weise kamen etwa 2.000 Bücher zusammen für Roms erste private "Biblioteca condominiale", zu deutsch in etwa "Mehrfamilienhausbücherei". Lucia leitet zusammen mit Antonia Danelli das Büchereiprojekt:
    "Hier hat jeder etwas dazu beigetragen. Die einen gaben Bücher, die anderen schafften Buchregale heran. Andere haben die Bücher sortiert. Das war gar nicht so einfach, denn niemand von uns wusste, wie man eine Bücherei auf die Beine stellt."
    So wurde in diesem Frühsommer aus einem großen Kellerraum, in dem bis dato die Hauseigentümerversammlungen stattfanden, eine weiß gestrichene Bücherei mit Tischen und Stühlen, zum Bücheraussuchen, zum Lesen, zum Treffen und Plaudern. Geöffnet ist die Hausbücherei von Montags bis Freitags jeden Nachmittag. Die Benutzung der Bücherei ist gratis. Kleine Spenden sind willkommen, um die laufenden Kosten zu decken. Die freiwilligen Bibliothekare wechseln sich tage- und stundenweise ab. Gioia Pieri arbeitet jeden Mittwoch in der Bücherei:
    "Bürger hier aus der Straße, aus unserem und inzwischen auch aus anderen Stadtvierteln Roms bringen uns Bücher, die sie nicht mehr gebrauchen können. Die städtischen Büchereien sind an diesen Büchern ja nicht interessiert. Wir nehmen diese Bücher gerne auf."
    Städtische Büchereien leiden unter Platz- und Geldmangel
    Roms städtische Büchereien: Im historischen Zentrum gibt es zwar noch einige, aber die leiden unter akutem Platz- und Geldmangel. Die Stadtbüchereien an den Stadträndern gehören zu den absoluten Stiefkindern städtischer Kulturpolitik: Die meisten von ihnen stehen vor dem finanziellen Aus, klagt etwa Marco Tomaselli, der einer Bürgerinitiative zum Erhalt der städtischen Biblioteca Giovenale im Norden der Stadt angehört:
    "Seit 2009 überleben wir nur noch mithilfe privater Spenden. Die Stadt Rom: Von der hören wir gar nichts mehr. Deshalb hoffen wir jetzt auf die neue Stadtregierung. Denn wozu brauchen wir ein so teures Opernhaus? Da und nicht hier muss gespart werden."
    Tomaselli und viele andere Stadtrandbewohner setzten große Hoffnungen in Roms neue Bürgermeisterin Virginia Raggi und ihren Kulturassessor Luca Bergamo, haben sie doch versprochen, mehr Finanzmittel in die, wie die Bürgermeisterin sie nennt, "Breitenkultur" zu setzen. Also in Kulturinitiativen, die möglichst viele Menschen erreichen. Weniger hingegen soll in die Hochkultur investiert werden, in das teure Opernhaus etwa, das nur verhältnismäßig wenig Bürger erreicht. Doch bis die neue Stadtverwaltung im hoch verschuldeten Rom mehr Gelder zur Rettung der Stadtbüchereien bereitstellt, organisieren sich die Bürger selbst.
    Private Bibliotheken gibt es in vielen italienischen Kommunen
    Ein Phänomen, das auch in anderen italienischen Städten, die von gravierenden finanziellen Problemen betroffen sind, anzutreffen ist. Wie etwa in der Mailänder Via Rembrandt 12. Dort hat in zwei Zimmern seiner Wohnung der pensionierte Fernsehelektriker Roberto Chiapella eine Mehrfamilienhausbücherei eingerichtet:
    "Wenn jemand den ersten Stein ins Rollen bringt, dann geht's los. Als Rentner habe ich nicht soviel Geld, mir immer neue Bücher zu kaufen. Und die Stadtbücherei ist mager bestückt, denn die hat kein Geld. Und so habe ich hier bei mir eine private Bücherei eingerichtet. Jeder gibt was und jeder spart auf diese Weise Geld für neue Bücher. Und ich habe auch genügend Zeit, diese Bücherei zu organisieren."
    Zwischen Mailand und Palermo existieren inzwischen rund 30 Mehrfamilienhausbüchereien. Sie sind vor allem in jenen Stadtrandvierteln zum kulturellen Treffpunkt Nummer eins geworden, in denen wenig Kultur stattfindet. Viertel ohne Buchhandlungen und Büchereien, ohne Theater und Kinos – vor allem aber Wohnviertel, für deren kulturelle Entwicklung die Bürgermeister der immer höher verschuldeten italienischen Kommunen keine Finanzmittel mehr zur Verfügung haben.