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Italiener protestieren gegen Raubbau im Meer

Im Meer vor der süditalienischen Küste werden Ölvorkommen vermutet. Bis zu 70 neue Plattformen sollen in den nächsten Jahren verankert werden, vor allem in der Adria und im Kanal von Sizilien. Naturschützer und Anwohner befürchten Umweltschäden und protestieren gegen die geplante Rohstoffgewinnung.

Von Karl Hoffmann | 06.05.2013
    Im Fieber der Regierungskrise der letzten Wochen nahm kaum jemand Notiz von der größten Demo, die je in der Hafenstadt Pescara an der Adria stattgefunden hat.

    No triv – keine Bohrungen mehr – stand auf den Spruchbändern der etwa 40.000 Bürger, die gegen das Riesengeschäft mit dem schwarzen Gold vor ihrer Küste auf die Straße gingen. Ein klares Nein zum Millionenprojekt der Firma Medoil, die dank einer Konzession der italienischen Regierung nur zwölf Kilometer vor der Adriaküste Erdöl fördern und in einer riesigen schwimmenden Raffinerie an Ort und Stelle zu Treibstoff verarbeiten will. Die Operation verspricht Milliardengewinne. Doch für Fausto Stante, den Bürgermeister des nächstgelegenen Adria-Badeortes Fossacesia ist das eine Horrorvorstellung; nicht nur wegen der möglicher Wasserverschmutzung.

    "Es ist Schweröl von miserabler Qualität und muss erst mal entschwefelt werden, ein Prozess, bei dem eine Menge Substanzen frei werden, die dann auf unseren Köpfen landen."

    Clemente Senni, Sprecher von Medoil bestreitet die Gefahr von Luftverschmutzung aus der Raffinerie vor der Urlauberküste:

    "Es gibt keine Gesundheitsgefahren für die Menschen. Die einzigen Emissionen werden die von einem Schiff vor der Küste sein, und die werden die gesetzlichen Grenzwerte nicht überschreiten."

    Nach der verheerenden Explosion der Bohrinsel Deepwater Horizon im Golf von Mexico vor drei Jahren, hatte Italiens Regierung bereits beantragte Bohr-Konzessionen in der Adria und im Kanal von Sizilien erst einmal gestoppt. Kurz vor seinem Abschied hatte der scheidende Regierungschef Mario Monti dieses Moratorium wieder aufgehoben. Bis zu 70 neue Bohrinseln könnten nun in den nächsten Jahren rund um den Stiefel entstehen. Doch die Bürger gehen auf die Barrikaden. Von Nord bis Süd.

    "Wir wollen ganz Italien zeigen, dass wir hier diese Form wirtschaftlicher Entwicklung, solch einen Raubbau, der uns von oben herab aufgezwungen wird, nicht wollen. Wir wollen Fortschritt, aber nur wenn er umweltverträglich ist und von den Bewohnern akzeptiert wird, für jetzt und die Zukunft."

    So Luciano di Torno, Sprecher der Umweltorganisation WWF in der Region Abruzzen. Diskutiert wird auch in der Poebene, wo vor fast genau einem Jahr ein schlimmes Erdbeben stattfand und seit Jahren ein dichtes Netz von Erdgasbohrstellen existiert. Die Betreiber bestreiten einen Zusammenhang zwischen Erdbeben und Gasgewinnung. Die Physikerin Maria Rita D’Orsogna dagegen warnte, und zwar schon drei Jahre vor dem Erdbeben:

    "Die Förderung von Gas und Erdöl führt zu erheblichen Veränderungen im Untergrund. Dessen morphologische Beschaffenheit allerdings niemand genau kennt. Was wie gesagt zu Verschiebungen führt, die sich dann sogar in Erdbeben bemerkbar machen."

    Experten vermuten mehr als 200 Milliarden Kubikmeter Gas und mindestens 100 Millionen Tonnen Erdöl entlang der Küsten und in der Tiefe des italienischen Festlandes. In den nächsten Jahren soll die Produktion, auch gegen den Widerstand der Bevölkerung, verdoppelt werden, um Geld in die leeren Haushaltskassen zu füllen: eher bescheidene 200 Millionen Euro für die Bohrrechte, ein Vielfaches an Steuern. Den großen Reibach machen aber die Energieunternehmen, sagt der Wirtschaftsexperte Andrea.

    "Das Geschäft mit Öl und Gas ist ausgesprochen attraktiv. Alle Unternehmen in diesem Sektor verzeichnen steigende Gewinne. Vielleicht haben sie die Konzessionen zu billig bekommen. Ich wünsche mir nicht, dass Italien für die Einnahmen aus Konzessionen einen viel größeren Reichtum riskiert, nämlich seine Meere und die wunderbaren Küsten."