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Jeder kriegt sein Fett weg

Seit Jahrhunderten schlägt am Silvesterabend auf der Nordseeinsel Föhr die Stunde der Kenkner. Trinkfreudige Sängergruppen ziehen von Tür zu Tür und teilen in derben Darbietungen zum Teil kräftig aus. Und nicht nur die Urlauber freuen sich über das kostenlose Unterhaltungsprogramm.

Von Jörn Freyenhagen | 30.12.2012
    "Salzsturm auf Föhr, ja Nieblum hat 'ne Wüste, der Radweg wurde schnell verrannt, jeder spielt Golf und er meint, er ist der Größte, nun gibt uns Platz, wir brauchen noch mehr Land."

    In der Kluft der amtlichen Ausrufer von einst nimmt ein Männerchor die Kommunalpolitik der Insel Föhr aufs Korn, mit einem Refrain, der alle zum Mitsingen animieren soll.

    "Grün ist die Insel und weiß ist der Strand, geheim bleibt nichts, man macht alles bekannt."

    Insgesamt 26 Stationen laufen sie am Silvesterabend ab, die Sänger unter Leitung von Ralph Brodersen. Mit dem Kenknern pflegen sie einen alten Brauch:

    "Das ist glaub‘ ich vom Rummelpottlaufen abgekupfert, aber das hat hier auf Föhr ganz anders als auf dem Festland so eine feste Tradition, dass es hier nicht bloß die Kinder am Nachmittag des Silvestertages machen, sondern auch die Erwachsenen am Abend. Es sind nahezu hier in den Dörfern Utersum, Süderende und Oldsum über 30 Gruppen unterwegs."

    Im Gasthof "Zur Post" in Utersum geht es Schlag auf Schlag. Kaum ist die Männergruppe nach Süderende weitergezogen, trifft die Frauengruppe aus Oldsum ein, mit einem neuen Text für einen alten Schlager:

    "Eine neue Nase ist wie ein neues Leben … schana, na, na, na … was einmal war, ist vorbei und vergessen und zählt nicht mehr, heute fängt ein neues Leben an, meine Nase, die ist schuld daran, alles ist so wunderbar, dass man es kaum verstehen kann."

    Von Schönheitsoperationen handelt dieses Lied, das die Sängerinnen mit aufgepolsterter Oberweite vortragen. Die nächste weibliche Gruppe karikiert die Fernsehserie "Bauer sucht Frau":

    "Wir melken seine Küh, das macht uns keine Müh, wir haben dann auch abends frei und sind bei jedem Fest dabei. Männer, Männer, Männer sind am besten, wenn sie Bauern sind. Guten Rutsch."

    Als Belohnung für die Darbietungen gibt es für jeden einen Schnaps oder eine Eigenkreation des Wirtes:

    "Cognac-Bowle ist das, ja mit Limo oder so."

    "Erst eben hat man das für Süßigkeiten gemacht, und seitdem man konfirmiert ist, für’n Schnaps."

    "Ich nenne das immer ein Getränk der Erfrischung."

    "Die kriegen ja überall einen, wo sie was vortragen, gibt’s einen. Also die haben runde Schuhe nachher."

    "Schenk ein, schein, schenk ein, fertig."

    Auf vielen Silvesterpartys ist das Kenknern ein kostenloses Unterhaltungsprogramm, an dem die Gäste ihr Vergnügen haben:

    "Sehr abwechslungsreich und sehr interessant."

    "Mit vorgerückter Stunde wird’s etwas derber."

    "Ist immer wieder was Neues, ist nie, dass man sagt, das kennen wir schon."

    "Wunderbar, sehr gut, die ganze Atmosphäre."

    "Sowas findet man in der Großstadt nicht."

    Die Kenkner ziehen auf Föhr von Tür zu Tür, von Lokal zu Lokal. Sogar Urlauber sind schon mitgelaufen:

    "Man hat so eine Gummimaske aufgezogen und hat auch ein Kostüm. Hat sehr viel Spaß gemacht, ja."

    "Männer sind doch schließlich zum Vergnügen da."
    Jeder kriegt sein Fett weg, Männer singen über Frauen und Frauen über Männer. Doch kein Kenkner verabschiedet sich ohne die guten Wünsche für das neue Jahr:

    "Wir wünschen allen viel Glück und bleibt fit, klatscht in die Hände und singt einfach mit, mit. …"