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Jesusmarsch der brasilianischen Pfingstler

Brasiliens politisch einflussreiche evangelikale Pfingstkirchen veranstalten alljährlich in Sao Paulo einen sogenannten Jesusmarsch, mit dem die wachsende Stärke dieser religiösen Bewegungen demonstriert werden soll. Nach Angaben der Veranstalter sollen am vergangenen Sonntag sogar fünf Millionen Anhänger der Pfingstkirchen am diesjährigen Marsch teilgenommen haben.

Von Klaus Hart | 18.07.2012
    "Estevam Hernandes, selbst ernannter Apostel und Führer der Wunderheilerkirche 'Renascer em Cristo', Wiedergeburt in Christus","

    erklärt in Sao Paulo vor den Massen und auch den anwesenden Reportern scheinbar tief überzeugt:

    ""Das war der größte Jesusmarsch aller Zeiten. Schon ab 2020 werden die Evangelikalen in Brasilien in der Mehrheit sein - und die Katholiken in der Minderheit. Brasilien wird das größte evangelikale Land der Erde."

    Seine Kirche Renascer em Cristo hatte zuvor bereits weit über fünf Millionen Marschteilnehmer angekündigt - und diese Zahl später als korrekt eingestuft.

    Brasiliens Reporter wissen indessen, dass es sich bei Apostel Hernandes um einen früher sehr erfolgreichen Marketingexperten multinationaler Unternehmen handelt, der weiß, wie man ordentlich die Werbetrommel rührt, selbst wenn es um die Firma keineswegs zum Besten steht. Die größte Qualitätszeitung des Landes, Folha de Sao Paulo, schickte daher 71 Statistik- und Umfrageexperten los, um zu ermitteln, wie viele Gläubige tatsächlich bei jenem Jesusmarsch mitmachten: Statt der angeblich weit über fünf Millionen waren es nur 335.000, die mit Abstand geringste Teilnehmerzahl seit Jahren.

    34 Prozent der Marschierer kamen danach von Renascer em Cristo, 16 Prozent von der sogenannten Gottesversammlung, der Assembleia de Deus - und erstaunlicherweise nur ein einziges Prozent von der Universalkirche vom Reich Gottes, der immerhin Brasiliens zweitgrößte TV-Anstalt gehört. Die Richtigstellung der absurd überhöhten Teilnehmerzahlen überraschte keineswegs - schließlich weiß man längst aus Studien, dass die Sekten auch bei ihren Anhängerzahlen grotesk übertreiben. Zudem ist bekannt, dass just die Kirche von Apostel Hernandes seit Jahren tief in der Krise steckt, Gläubige geradezu massenhaft davonlaufen, von den landesweit über 1.100 Tempeln mehr als 800 geschlossen werden mussten. Des Apostels Ehefrau, die selbst ernannte Bischöfin Sonia, legt sich daher ebenfalls heftig ins Zeug, um zu retten, was zu retten ist.

    "Jetzt geschehen Wunder, wir werden alle geheilt und befreit. Die Kirche Christi kann unglaubliche Dinge realisieren. Wir erhalten sogar die Freiheit, in die Hölle zu gehen und alles herauszuholen, was uns der Satan geraubt hat. So oft attackiert uns der Teufel, fügt uns Schmerzen zu, damit wir fliehen vor Gott."

    Seit der Apostel und die Bischöfin in den USA wegen Geldwäsche und Devisenschmuggel im Gefängnis saßen, das Millionärsehepaar in Brasilien zudem wegen Betrügereien und Steuerhinterziehung unter Anklage steht, hapert es indessen mit der Glaubwürdigkeit, machen sich immer mehr Brasilianer nicht nur über Renascer em Cristo, sondern auch über die anderen, ähnlich gelagerten Sektenkirchen lustig, sind diese Zielscheiben der nationalen Kabarettisten. Denn die Evangelikalen des größten katholischen Landes sind in über zehntausend Richtungen aufgespalten, bekämpfen sich erbittert, jagen sich gegenseitig mit den perfidesten Methoden die Anhänger ab, funktionieren im Grunde wie Wirtschaftsunternehmen.

    Dass Wunderheilungen am laufenden Band sowie Teufelsaustreibung bei Millionen von Brasilianern weiterhin so gut ankommen, hat für die Theologen vor allem folgenden Grund: Extrem niedrige Bildung, dazu Misere und Armut, machen besonders anfällig für Heilsversprechen, Scharlatanerie, erleichtern Massenmanipulation. Für den früheren Staatspräsidenten Lula und die jetzige Präsidentin Dilma Rousseff waren die evangelikalen Sektenkirchen wichtige Wahlhelfer. Zum jüngsten Jesusmarsch von Sao Paulo entsandte Dilma Rousseff als ihren Vertreter den Fischereiminister und Gospelsänger Marcelo Crivella, der zur Universalkirche vom Reich Gottes gehört. Crivella erklärte vor den Gläubigen, dass die Präsidentin für die Evangelikalen eine besonders innige Zuneigung empfinde.