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Justiz
NRW-Richter auf der Anklagebank

Richter Jan Robert von Renesse ist für Holocaust-Überlebende ein Retter, für den NRW-Justizminister Thomas Kutschaty ein Rufschädiger. Nun sitzt Renesse auf der Anklagebank, weil sein Dienstherr Kutschaty ihn verklagt hat.

Von Julia Smilga | 14.04.2016
    Sozialrichter Robert von Renesse in einer Verhandlungspause vor dem Düsseldorfer Landgericht.
    Sozialrichter Robert von Renesse in einer Verhandlungspause vor dem Düsseldorfer Landgericht. Der NRW-Justizminister klagt gegen ihn, weil er das Ansehen der NRW-Justiz beschädigt haben soll. (dpa/ picture-alliance/ David Young)
    "Das Schlimmste war, dass man sie nicht persönlich angehört hat. Als ich Richter wurde, sagte mir mein Präsident: Machen Sie Ihre Gerichtsverfahren so, als wäre die Klägerin Ihre eigene Großmutter".
    Jan Robert von Renesse kämpft seit Jahren für angemessene Entschädigungen der Getto-Opfer – und wird jetzt selbst angeklagt. Es ist der Höhepunkt eines über Jahre schwelenden Konflikts zwischen Richter Renesse und dem nordrhein-westfälischen Justizministerium. Bis zum kommenden Dienstag soll sich entscheiden, ob beide Seiten sich in dem Disziplinarstreit nun einigen können. Einem Streit, dessen Grund die Auslegung des sogenannten Getto-Renten-Gesetzes war.
    Renesse, Richter am Landessozialgericht NRW, hat einiges dafür getan, das dieses 2002 verabschiedete Gesetz geändert wurde
    "Wenn ich mir vorstellen würde, meine Großmutter klagt auf Rente und kriegt höchstens einen Fragebogen zugeschickt und kann sich nie persönlich, direkt von Angesicht zu Angesicht, äußern und ihr Leid klagen - dann würde ich sagen, das ist ein schreiendes Unrecht."
    Ein Unrecht, das - so Renesses Meinung - hausgemacht ist. Denn das Gesetz aus dem Jahr 2002 besagte, dass nur diejenigen diese Rente erhielten, die auch wirklich beweisen konnten, freiwillig im Getto gearbeitet zu haben und dafür eine Entlohnung bekamen. Doch von den 88.000 Holocaustüberlebenden, die die Rente beantragt hatten, konnten nur die wenigsten solch einen Beweis erbringen. Besonders schwer hatten es die israelischen Antragsteller, in dem für sie zuständigen Land Nordrhein-Westfalen. Ihre Anträge wurden zu über 90 Prozent abgelehnt. Eine Klage vor Gericht hatte kaum Erfolg. Denn die zuständigen Richter urteilten meist ausschließlich nach Aktenlage.
    Jan Robert von Renesse allerdings wollte auf dieser Grundlage kein Recht sprechen, sondern mit den Betroffenen persönlich reden - und fuhr dafür nach Israel.
    Renesse erwirkt Wiederaufnahme von Antragsüberprüfungen
    "Wenn Deutschland ihre Heimat nicht überfallen hätte, würden sie heute noch in Frieden in Polen leben oder in der Tschechischen Republik. Und der Aufwand ist groß, ja. Andererseits treiben wir auch in jedem normalen Rentenfall einen erheblichen Aufwand."
    Renesses Anerkennungsquote lag deutlich höher als bei seinen Richterkollegen: Während bei ihm jeder sechste Antragssteller seine Rente durchbekam, war das bei den anderen nur bei jedem zehnten der Fall. Renesses Alleingänge stießen bei ihnen schnell auf Unverständnis, doch der Sozialrichter ließ sich nicht irritieren. Mit Erfolg: 2009 entschied das Bundessozialgericht in Kassel in seinem Sinne, dass nämlich fortan jede Beschäftigung als freiwillige Arbeit eingestuft werden sollte, bei der ein Antragsteller zwischen Arbeit und Hungertod entscheiden musste. Und zum "Entgelt" gehörten eben auch Brot oder Suppe. Die Folge: Alle abgelehnten Anträge sollten überprüft werden. Aber der Richterspruch blieb auch für Renesse nicht folgenlos.
    Sieben Jahre später. 10 März 2016. Vor dem Landgericht Düsseldorf warten mehrere Kamerateams auf Jan Robert von Renesse. Der international gefeierte Richter sitzt an diesem Tag selbst auf der Anklagebank. Sein Dienstherr - das NRW-Justizministerium, wirft dem Richter in einer Disziplinarklage vor, schlecht über die nordrhein-westfälische Justiz geredet und ihr Ansehen geschädigt zu haben. Justizminister Thomas Kutschaty, SPD, beantragt zudem eine Geldbuße von 5.000 Euro. Der Anlass liegt vier Jahre zurück: Damals reichte Renesse eine Petition an den Deutschen Bundestag ein, in der er Erleichterungen bei der Rentenzahlung für ehemalige Getto-Arbeiter forderte und zudem die Arbeit der Sozialgerichte in NRW scharf kritisiert haben soll.
    Renesse:
    "In der Petition hab ich die Verletzung fundamentaler Rechtssaatprinzipien im Getto-Renten-Verfahren als Missstand bezeichnet. Da gab es ein Treffen zwischen der Gerichtsverwaltung und der Rentenverwaltung, das meines Erachtens die Gewaltenteilung verletzt, da gab es Beweisanordnungen von mir als Richter, die aufgehoben wurden, dann gab es Kostenbeschlüsse, die aufgehoben wurden, das sind im Kern die Punkte, um die es geht."
    Äußerungen, die nicht der Wahrheit entsprächen und dadurch den Ruf der Sozialgerichtsbarkeit in NRW ruinierten, erklärt der stellvertretende Pressesprecher des Justizministeriums Marcus Strunk:
    Gütliche Einigung bis 19. April
    "Ein Richter muss bei der Wahrheit bleiben. Und wir werfen ihm vor, dass er das nicht getan haben soll, in dem er der nordrhein-westfälischen Justiz vorgeworfen hat, dass sie Absprachen und Anordnungen trifft, die zum Nachteil von Holocaustüberlebenden gewirkt haben und insofern den Richtern Rechtsbruch vorwirft. Das ist so nicht richtig, das kann die Justiz so nicht stehen lassen."
    Nach knapp 40 Minuten schon wurde die Verhandlung Mitte März unterbrochen. Man solle sich doch lieber gütlich einigen, schlug einer der beisitzenden Richter vor. Noch bis zum 19. April dauert nun die Frist – wenn sich bis dahin beide Seiten nicht einigen können, könnte Renesse schlimmstenfalls sogar seinen Richterposten verlieren. Wie weit ist der Richter also bereit, dem Justizministerium entgegen zu kommen? Der Druck des jahrelangen Disziplinarverfahrens zwinge ihn zu Zugeständnissen, sagt er:
    "Das muss einfach mal zu Ende gehen. Ich bin bereit zu Schweigen in dem Sinne, dass ich sage, ich werde diese Dinge nicht wiederholen, die Vorwürfe. Ich werde nicht sagen können, dass das, was ich gesagt habe, falsch war. Es war einfach nicht falsch, ich kann es nicht widerrufen. Dann kann man sich nicht mehr selber in den Spiegel schauen."