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Kahrs: Es "ist so, dass wir unsere Mitglieder mitnehmen müssen"

Die Koalitionsverhandlungen müssten auf Augenhöhe stattfinden, sagt Johannes Kahrs, Sprecher des rechten Seeheimer Kreises der SPD. Dazu gehöre, dass man auch der Union zugestehe, Punkte durchzusetzen. Dennoch verhandle man ergebnisoffen.

Johannes Kahrs im Gespräch mit Bettina Klein | 21.10.2013
    Bettina Klein: Die Entscheidung ist gefallen. Mit 85 Prozent hat der SPD-Konvent, eine Art kleiner Parteitag, gestern grünes Licht dafür gegeben, mit der Union Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Schon mal ein beachtlicher Erfolg des Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel nach Ansicht der Beobachter gestern. Doch der eher linke Flügel der Sozialdemokraten kann sein Unwohlsein nicht verbergen, und so werden Selbstverständlichkeiten in dieser Situation zur Nachricht, wie diese: Die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen würde noch nicht festschreiben, dass am Ende auch eine Koalition steht, so hört man.

    Mitgehört hat der SPD-Politiker Johannes Kahrs, er ist Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD, gehört also dem anderen politischen Spektrum an. Ich grüße Sie, Herr Kahrs.

    Johannes Kahrs: Morgen, Frau Klein!

    Klein: Wir haben es gerade gehört, auch ein paar Beispiele: Betreuungsgeld, Steuererhöhungen, das alles war nicht mehr in dem Zehn-Punkte-Katalog vertreten. Was bedeuten denn diese unglücklichen Stimmen im Augenblick, die wir noch aus dem linken Flügel der SPD hören?

    Kahrs: Im Kern ist es so, dass wir unsere Mitglieder mitnehmen müssen, und wir glauben auch, dass Koalitionsverhandlungen auf Augenhöhe stattfinden müssen. Das heißt, jeder muss Punkte durchsetzen können, sowohl die CDU als auch wir. Wir haben aufgeschrieben, was für uns wesentlich und wichtig ist, und es gibt eben Punkte, die sind da noch nicht bei. Das macht natürlich Leute unglücklich.

    Klein: Das heißt, sie werden noch mal ergänzt werden? Werden wir dann 15 Punkte haben von der SPD in Wahrheit?

    Kahrs: Nein, die Punkte gibt es jetzt, alles, was da auf dem Konvent beschlossen worden ist, aber wir werden jetzt ja Koalitionsverhandlungen haben und in diesen Koalitionsverhandlungen wird ja jeder einzelne Bereich durchdekliniert. Und wir halten es für richtig, wenn man ganze Punkte übernimmt und nicht alles durch Kompromisse so verwässert, dass nachher nichts passiert - so haben wir es ja die letzten vier Jahre mit der FDP erlebt; nachher war das nur eine Koalition des Missvergnügens -, sondern es muss bestimmte Punkte auf beiden Seiten geben, die einfach, glatt und sauber durchgehen, zum Beispiel bei uns der Mindestlohn, 8,50 Euro in Ost und West, und da wollen wir auch keine Abstriche haben. Wir sind aber natürlich bereit, der CDU das Gleiche in anderen Punkten auch zuzugestehen.

    Klein: Wir sprechen hier über die Bedenken derer in der SPD, die das offenbar nicht für eine richtige Entscheidung gehalten haben, Steuererhöhungen vom Tisch zu nehmen in diesem Zehn-Punkte-Katalog und auch die Abschaffung des Betreuungsgeldes. Ist denn davon auszugehen, dass die SPD im Interesse ihrer linken Politiker da noch mal nachlegen wird in den Verhandlungen?

    Kahrs: Na ja, da hat Frau Mattheis ja recht: In dem Papier steht ja auch drin, wir diskutieren jetzt Inhalte, aber am Ende muss man gucken, wie die Wünsche, die die CDU hat und die die SPD hat – die gibt es ja auf beiden Seiten -, finanziert werden können. Ich bin selber Haushälter und ich kann Ihnen sagen, man kann nicht einfach strukturelle Mehrkosten durch gewünschte Mehreinnahmen bei guter Wirtschaftslage finanzieren. Die Wirtschaftslage ist auch mal weniger gut, die strukturellen Mehrausgaben haben Sie dann trotzdem, das ist unsolide finanziert. Das heißt, wenn Sie jetzt neue Ausgaben beschließen, muss man strukturell auch gucken, dass man entsprechende Einnahmen hat. Ansonsten lügen Sie sich was vor.

    Klein: Das heißt, Ihr Signal wäre an diese Politiker in Ihrer eigenen Partei, die jetzt Bedenken äußern: Liebe Leute, es könnte sein, wenn wir sehen, mit den Finanzen kommen wir nicht hin, dass wir auch noch einmal die Forderung nach Steuererhöhungen und zum Beispiel die Abschaffung des Betreuungsgeldes, um bei diesen beiden Punkten mal zu bleiben, mit reinbringen werden in die Verhandlungen?

    Kahrs: Das ist ja das, was Sigmar Gabriel selber auch gesagt hat, der übrigens seinen Job hervorragend macht, die ganze Partei auch beieinander hält. Wir diskutieren erst mal die Inhalte, die Fragen, die wir umsetzen wollen, sowohl von CDU als auch von SPD.

    Klein: Aber das sind doch Inhalte, Herr Kahrs.

    Kahrs: Bitte?

    Klein: Auch Steuererhöhungen und Betreuungsgeld sind Inhalte.

    Kahrs: Ja klar! Und die werden ja auch alle diskutiert. Die CDU wird ja auch über unsere Punkte diskutieren und uns die nicht gleich sofort geben, sondern die Punkte werden diskutiert, und ich kann Ihnen sagen, natürlich wird auch die Gleichstellung von Lesben und Schwulen diskutiert werden müssen. Ich persönlich habe große Probleme damit, dass die Kanzlerin und Herr Kauder sich jetzt wieder hinstellen und sagen, sie wollen weiterhin Lesben und Schwule diskriminieren und das wäre für sie eine Voraussetzung für diesen Koalitionsvertrag. Ehrlich gesagt, das verstehe ich nicht.

    Klein: Inwiefern wollen Sie das?

    Kahrs: Herr Kauder und Frau Merkel haben ja gesagt, es wird keine Gleichstellung von Lesben und Schwulen geben. Das heißt, die CDU möchte die Politik der letzten Jahre weiter fortführen, Lesben und Schwule zu diskriminieren, und das halte ich für unmöglich.

    Klein: Sie haben gesagt, keine Gleichstellung mit der Ehe, aber gleiche Rechte und Pflichten. So habe ich Herrn Kauder gestern Abend jedenfalls verstanden.

    Kahrs: Na ja, das klang heute Morgen alles anders. Eine rechtliche Gleichstellung von Lesben und Schwulen muss sein. Und ehrlich gesagt, wir haben ja erlebt, wie die FDP da gescheitert ist die letzten vier Jahre. Wir haben es in der letzten Großen Koalition probiert. Und wenn ich mir angucke, was Frau Merkel da im Wahlkampf alles so erzählt hat, das halte ich schon für grenzwertig und unanständig, sich hinzustellen und weiterhin dafür zu kämpfen, dass Lesben und Schwule diskriminiert werden. Da habe ich ein Problem mit und das wird auch Teil dieser Koalitionsverhandlungen sein müssen. Das hat ja der Konvent gestern auch beschlossen.

    Klein: Herr Kahrs, wir sprechen heute Mittag mit Ihnen unter anderem auch, um herauszufinden, welchen Stellenwert diese kritischen Stimmen in Ihrer Partei im Augenblick genießen. Sie haben gerade einen Punkt noch mal angesprochen, der Ihnen selbst offenbar da auch sehr wichtig ist an der Stelle. Aber muss man davon ausgehen, diese Stimmen werden jetzt kommen über Wochen und Wochen, bis in den Dezember hinein vielleicht, als eine Art Hintergrundgeräusch und man wird ungeachtet dessen eigentlich unbeirrt weiter verhandeln und im Grunde genommen wird das Ziel Koalition festgeschrieben, auch wenn es die eine oder andere kritische Stimme noch geben wird in der Partei?

    Kahrs: Natürlich ist es richtig, was Sigmar Gabriel gesagt hat: Wenn man in Verhandlungen geht, will man abschließen. Aber am Ende hängt es auch davon ab, ob das die CDU auf Augenhöhe mit Respekt macht, dass man ein vernünftiges Ergebnis hat, und am Ende müssen beide damit leben. Ich persönlich halte es für besser, wir diskutieren jetzt auch sehr kontrovers und auch energisch auf beiden Seiten einige Wochen diesen Koalitionsvertrag, aber nachher ist er dann auch sehr konkret und kann sauber abgearbeitet werden, man flüchtet sich nicht in Formelkompromisse, in irgendwelche diffusen Arbeitsgruppen. Dann lieber jetzt die klaren Ansagen, dann weiß man, woran man ist, aber das ist dann auch eine solide Grundlage, auf der man vier Jahre lang vernünftig miteinander arbeiten kann und nicht vier Jahre Dauerkrach hat wie in der letzten Koalition.

    Klein: Das werden wir dann alles sehen. – Unter dem Strich, Herr Kahrs: 85 Prozent haben gestern zugestimmt auf dem Parteikonvent. Das heißt, die Mahner und Warner in der SPD sind eine eher unbedeutende Minderheit?

    Kahrs: Das glaube ich nicht. Die 85 Prozent haben zugestimmt, dass man Verhandlungen aufnimmt, und ich finde, verhandeln muss man immer. Das ist richtig. Aber sie haben nicht zugestimmt, dass man zu jedem Preis abschließt, sondern jetzt kommt es darauf an, wie die SPD sich wiederfindet, und ich gehe mal davon aus, auch für die CDU wird es darauf ankommen, wie sie sich wiederfindet. Und am Ende muss man sich dann angucken, ob das klappt. Ich glaube, das ist ein Vorgang mit offenem Ergebnis und das hängt jetzt davon ab, wie sich die CDU bewegt und wie sich die SPD bewegt.

    Klein: Abschließend, Herr Kahrs: Der Mitgliederentscheid am Ende dieses Prozesses – wir haben es gerade im Bericht von Klaus Remme aus Berlin auch gehört -, der hängt natürlich auch als eine Art Damoklesschwert über allem, über diesen Verhandlungen, auch über der Partei, denn damit wäre eine Koalitionsvereinbarung am Ende natürlich immer noch zu kippen. Inwiefern fließt dieser Druck schon jetzt in die Verhandlungen ein?

    Kahrs: Ich glaube, dass eine Partei wie die SPD ihre Mitglieder fragt, ist ein sehr demokratischer Vorgang. Den hat es noch nirgendwo in Deutschland bisher gegeben. Ich halte das für großartig, auch übrigens ein guter Grund, in der SPD Mitglied zu werden. Und natürlich baut das Druck auf, auch bei uns, keine Formelkompromisse zu machen, sondern klare Ansagen, klares Deutsch, damit man auch genau weiß, was man da nachher beschließt, damit die Mitglieder genau wissen, worüber sie abstimmen. Ich glaube, das ist ein hervorragender Vorgang. Bei der CDU wurde das Wahlprogramm ja nicht mal auf einem Parteitag beschlossen. Jetzt soll das Ergebnis auch nur irgendwo abgenickt werden. Ich stelle mir Demokratie anders vor, wir machen das vor, Sigmar Gabriel macht das gut.

    Klein: …, sagt Johannes Kahrs heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk. Er ist der Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Kahrs.

    Kahrs: Immer gern!


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