Archiv

Kammermusik
Ein weiter Weg bis Russland

Die französischen Musiker vom Trio Wanderer beschäftigten sich zuletzt mit russischer Kammermusik. Für eine neue CD haben sie Peter Tschaikowskys einziges Klaviertrio und Anton Arensky Klaviertrio Nummer 1 schwungvoll und abwechslungsreich aufgenommen.

Von Maja Ellmenreich |
    Der romantische Wanderer. Rast- und ruhelos ist er unterwegs, bildungshungrig und entdeckungsfreudig. Wenn ihn das Fernweh forttreibt, quält ihn auf halber Strecke schon wieder das Heimweh. Und ans Ziel kommt er garantiert nicht - weder geografisch noch seelisch.
    Diesen armen Kerl haben drei Franzosen zu ihrem Namensgeber auserkoren, die Musiker vom Trio Wanderer. Doch uneingeschränkt eifern sie ihm nicht nach, alle seine Eigenschaften finden die drei nicht erstrebenswert. Sie teilen Neugier und Tatkraft mit ihm; nimmermüde und allem Neuen gegenüber aufgeschlossen durchwandern sie kammermusikalische Landschaften. Zuletzt führte sie ihr Weg nach Russland, zu Peter Tschaikowsky und Anton Arensky.
    Track 4 (Ausschnitt)
    Anton Arensky: IV. Finale. Allegro non troppo
    aus: Klaviertrio Nr. 1 d-Moll, op. 32
    Zwei musikalische Gedenksteine hat das Trio Wanderer für seine neue CD bei dem Label harmonia mundi zusammengetragen: Anton Arenskys Klaviertrio Nr. 1 und Peter Tschaikowskys einziges Klaviertrio überhaupt. "A la mémoire d'un grand artiste" steht darüber - "Zur Erinnerung an einen großen Künstler". Und das gilt in gleichem Maße für Arenskys Trio. Denn beide, Arensky und Tschaikowsky, haben ihre Werke verstorbenen Musikerkollegen gewidmet. Arensky dem Cellisten Karl Dawidow und Tschaikowsky seinem Freund und Mentor Nikolai Rubinstein.
    "A la mémoire d'un grand artiste" – Tschaikowskys Worte sind keine Gefälligkeitsfloskel, sondern Ausdruck eines tief empfundenen Verlustes. "Er kümmerte sich um mich, als ob er mein Kindermädchen wäre", hatte Tschaikowsky an seine Familie in Sankt Petersburg geschrieben, nachdem ihn Rubinstein 1866 als Lehrer ans Moskauer Konservatorium geholt hatte. Musikalisch und gesellschaftlich nahm ihn der Pianist, Dirigent und Komponist Rubinstein unter seine Fittiche. Somit war Tschaikowsky schwer getroffen, als er 1881 vom plötzlichen Tod Rubinsteins erfuhr. Nur wenige Monate später fasste er den Entschluss, eine Art instrumentales Requiem für seinen Freund und Förderer zu schreiben. Zuvor geäußerte Entschlüsse und althergebrachte Konventionen ließ er dabei außer Acht: Er komponierte im Andenken an Rubinstein ein Klaviertrio, obwohl er vorher behauptet hatte, er könne für diese Dreierbesetzung allein aus akustischen Gründen nicht komponieren. Die Beschaffenheit seiner Hörorgane, so Tschaikowsky wörtlich, erlaube es ihm nicht.
    "Wissen Sie noch" – schrieb er dann nach Rubinsteins Tod an seine Mäzenin Nadeschda von Meck – "Wissen Sie noch, Sie haben mir einmal geraten, ein Trio für Klavier, Violine und Cello zu schreiben, und können Sie sich auch noch an meine Antwort erinnern? Ich gab zu, dass ich eine Abneigung gegen diese Kombination von Instrumenten hege. Doch trotz dieser Abneigung empfinde ich jetzt plötzlich das Bedürfnis, mich mit dieser Art von Musik zu prüfen."
    Track 5 (Ausschnitt)
    Peter Tschaikowsky: I. Pezzo elegiaco. Moderato assai
    aus: Klaviertrio a-Moll, op. 50
    Hatte er sich zuvor auch geziert, so brauchte Peter Tschaikowsky am Ende nicht lang für sein erstes Klaviertrio, das auch sein Einziges bleiben sollte. Wenige Wochen nur komponierte er, bis das gewaltige Werk fertig war. Streng genommen umfasst es bloß zwei Sätze, doch die haben es in sich. Klanglich, zeitlich – es ist immerhin über 40 Minuten lang - und formal sprengt Tschaikowsky mit seinem Opus 50 die bisher üblichen kammermusikalischen Grenzen.
    Den drei Instrumenten verlangt er eine geradezu orchestrale Klangwucht ab, besonders dem Klavier, was kein Wunder ist, schließlich war Nikolai Rubinstein ein großer Künstler an den Tasten. Ein ihm gewidmetes Trio also darf den Pianisten nicht unterfordern – und tut es auch nicht.
    Gemeinsam mit den beiden Streichern führt Tschaikowsky den Hörer durch emotionale Höhen und Tiefen, angefangen mit der zu Herze gehenden Elegie, die an ein slawisches Thema erinnert. Der zweite Satz ist eine Variationenfolge. Und darin entfernt sich Tschaikowsky dann weit weg vom Trauergesang der Elegie.
    Tracks 7 und 8
    Peter
    Tschaikowsky: Variationen I und II
    aus: Klaviertrio a-Moll, op. 50
    Leicht und verspielt, schwungvoll und abwechslungsreich. Das Trio Wanderer musiziert auch bei den Variationen des Tschaikowsky-Trios mit der ihm eigenen Lässigkeit, nicht mit Nachlässigkeit wohlgemerkt. So wie die drei französischen Musiker es mit dem Pathos im ersten Satz nicht übertreiben, so zügeln sie sich auch im zweiten. Und trotzdem spielen sie intensiv. Der Trio-Pianist Vincent Coq hat es einmal in einem Interview auf den Punkt gebracht:
    "Unsere Aufgabe ist es, einen Text zu vermitteln, ihn in Gefühle zu fassen und zu übersetzen. Das ist die Magie des Interpretierens. Die Gefahr dabei ist, dass man die eigenen Interessen höher bewertet als die des Komponisten. Das aber wäre fatal."
    Und in diese fatale Falle tappen die Wanderer-Musiker nicht. Aber die Aufnahmetechnik schubst sie beinahe hinein. Der Klavierklang gerät nämlich gelegentlich leicht ins Hintertreffen; Geige und Cello sind präsent und strahlend, das Klavier aber bisweilen etwas matt und entfernt. Meckern auf hohem Niveau und dennoch ein kleiner Wermutstropfen.
    Track 3 (Ausschnitt)
    Anton Arensky: III. Elegia. Adagio
    aus: Klaviertrio Nr. 1 d-Moll, op. 32
    Wie in Tschaikowskys Trio findet sich auch bei Arensky eine Elegie. Zwölf Jahre später komponiert, also 1894, hat Anton Arensky das a-Moll-Trio seines Freundes Tschaikowsky eindeutig zum Vorbild gehabt. Klarer und konventioneller die Form, wird auch dieses Trio getragen von wehmütigen Melodien, von schwelgerischen Gedanken und nahezu ekstatischen Höhepunkten.
    Bis heute hängt Anton Stepanowitsch Arensky nach, dass er den gut 20 Jahre älteren Peter Tschaikowsky deutlich hörbar bewunderte. Doch das mindert die Qualität seiner Musik nicht. Am Petersburger Konservatorium hatte Arensky bei Nikolai Rimski-Korsakow studiert und dort auch Karl Dawidow kennengelernt, der der Lehranstalt zeitweise als Direktor vorstand, sich für die russische Kammermusik starkmachte und als gefeierter Cellist bekannt war. Fünf Jahre nach Dawidows Tod setzte ihm Arensky ein musikalisches Denkmal, das zu Unrecht bis heute vergleichsweise wenig gespielt wird.
    Track 1 (Ausschnitt)
    Anton Arensky: I. Allegro moderato
    aus: Klaviertrio Nr. 1 d-Moll, op. 32
    Jean-Marc Phillips-Varjabédian, Violine, Raphaёl Pidoux, Violoncello, und Vincent Coq am Klavier: Das Trio Wanderer hat das Programm für seine jüngste CD klug zusammengestellt. Anton Arenskys Klaviertrio Nr. 1 d-Moll, op. 32, gefolgt von seinem Vorbild, dem monumentalen, über 40-minütigen Klaviertrio a-Moll, op. 50, von Peter Tschaikowsky. Erschienen bei dem Label harmonia mundi.
    Vorgestellte CD:
    Trio Wanderer
    Arensky – Tschaikovsky – Piano Trios
    harmonia mundi HMC 902161
    EAN 3149020216125
    LC 07045