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Kampf gegen islamistischen Terror
"Es ist nicht nur eine muslimische Angelegenheit"

Anschläge wie in Manchester und London hätten mit dem Islamverständnis der allermeisten Muslime nichts zu tun, sagte Lamya Kaddor im Dlf. Es sei deshalb wichtig, sich von solchen Gewälttätern abzugrenzen und dies auch sichtbar zu machen, so die Vorsitzende des Liberal-Islamischen-Bundes in Deutschland.

Lamya Kaddor im Gespräch mit Susanne Schrammar | 09.06.2017
    Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor
    Lamya Kaddor organisiert einen Friedensmarsch von Muslimen und Nicht-Muslimen, der am 17. Juni in Köln stattfinden soll. (pa/dpa/Schindler)
    Susanne Schrammar: Die Wutrede des Konzertveranstalters Marek Lieberberg machte nicht nur im Internet schnell die Runde. Nachdem das Konzert-Festival Rock am Ring heute vor einer Woche wegen des Verdachts eines geplanten Terroraktes kurzzeitig unterbrochen wurde, echauffierte sich Lieberberg, er habe bisher noch keine Muslime gesehen, die zu Zehntausenden gegen den Terror auf die Straße gingen und sagten: Was macht ihr da eigentlich?
    Jetzt ist Marek Lieberberg eingeladen, an genau einer solchen Demonstration teilzunehmen, eingeladen von Lamya Kaddor. Sie ist Vorsitzende des Liberal-Islamischen-Bundes in Deutschland und organisiert einen Friedensmarsch von Muslimen und Nicht-Muslimen, der am 17. Juni in Köln stattfinden soll. Ich habe Lamya Kaddor vor der Sendung gefragt, worauf sie mit diesem Friedensmarsch reagiert - auf die Kritik Lieberbergs oder auf die jüngsten Attentate?
    Lamya Kaddor: Ich glaube, auf alles zusammen. Vor allen Dingen auf die jüngsten Attentate und auch die in der Vergangenheit, glauben Sie mir, dass oft der Impuls und nicht nur von mir da war, von vielen anderen muslimischen Freunden, dass wir vielleicht doch jetzt mal was machen müssten, einerseits, und dann kommt immer sofort dann doch eine Zurückhaltung, weil man denkt, ja, wenn wir jetzt auf die Straße gehen, dann heißt es ja, dass wir dann doch vielleicht was damit zu tun haben.
    Und dieses Hin-und-her-Abwägen, das war ich jetzt leid und ich fand diese furchtbaren Anschläge sowohl in Manchester auf junge Menschen ganz furchtbar als auch in London ganz furchtbar, aber auch die ganzen letzten Anschläge im Nahen Osten. Und dann kam noch mal Herr Lieberberg dazu, da habe ich gedacht, jetzt müssen wir aber! Und so ist das Ganze entstanden tatsächlich.
    Schrammar: Welche Resonanz erwarten Sie jetzt für den 17. Juni in Köln?
    Kaddor: Also, ich weiß, dass eine hohe Presseresonanz da ist, auch von inzwischen doch einigen Musliminnen und Muslimen, die sich bei mir privat gemeldet haben, die versuchen, noch mal in ihrem Kontext dafür zu werben und auch Busse und so weiter zu organisieren, aber ich versuche, meine Erwartungshaltung nicht allzu hoch zu schrauben, weil ich das überhaupt nicht einschätzen kann, wie viele tatsächlich wirklich kommen. Vielleicht 2.000, vielleicht aber auch 20, ich habe keine Ahnung.
    Schrammar: In Hannover hat der Moscheenbund für heute Nachmittag zu einem Schweigemarsch aufgerufen, dort werden bis zu 500 Personen erwartet. Sie, Frau Kaddor, repräsentieren mit dem liberal-islamischen Anteil eine Minderheit der schätzungsweise bis zu 4,7 Millionen Muslime in Deutschland. Warum bleibt der Massenprotest der Muslime bislang aus?
    Kaddor: Na ja, vielleicht gerade weil wir Muslime zu stark gespalten sind und uns auch zu sehr an dieser Spaltung aufhalten, das möchte ich auch gerne mal innerislamisch einwenden. Manchmal habe ich das Gefühl, dass uns diese Differenzen gefallen und dass wir uns zu lange damit aufhalten, statt in den wirklich wichtigen Dingen dann doch mal zusammenzukommen. Das ist für mich ein ganz wichtiger innerislamischer Kritikpunkt. Deshalb habe ich diese Demonstration gemeinsam mit meinem Bekannten Tarek Mohamad als Privatperson angemeldet, gerade um dieser Sichtweise entgegenzukommen, ja, die steht ja für den Liberal-Islamischen Bund. Das mache ich als Privatperson und ich habe auch die großen islamischen Verbände zum Teil schon eingeladen und die werde ich auch weiter einladen, in der Hoffnung, dass sie den Aufruf unterzeichnen und dann auch fleißig trommeln.
    "Natürlich kann man, wenn man bösartig ist, so was aus dem Islam schöpfen"
    Schrammar: Wie ist die Reaktion bislang?
    Kaddor: Bisher positiv, muss ich sagen. Also, ich habe jetzt mit ein, zwei Vertretern bereits gesprochen, die sind in der Sache ganz offen, die Kölner Muslime scheinbar auch. Und dann werden wir schauen, wer wirklich unterzeichnet. Also, bis nächste Woche wissen wir das alles.
    Schrammar: Die grüne Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt, jahrelang auch an der Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat sich eine deutlichere Haltung der Islamverbände gewünscht. Jetzt sagen ja viele Muslime, die Taten hätten mit Religion eigentlich nichts zu tun. Warum sind solche Bekenntnisse vielleicht trotzdem wichtig?
    Kaddor: Einerseits stimmt das, einerseits. Diese Taten, diese furchtbaren Anschläge haben natürlich mit dem Islamverständnis der meisten, der allerallermeisten Muslime nicht nur in diesem Land, sondern weltweit tatsächlich nichts zu tun, und trotzdem berufen sie sich natürlich auf den Islam und trotzdem sind das Menschen, die islamisch sozialisiert worden sind. Das heißt, wir können, auch wenn man Bezüge herstellen kann und sagt, na ja, der Islam kennt natürlich Gewaltanwendung, zwar unter sehr bestimmten Voraussetzungen und nicht maßlos und wahllos und schon gar nicht so, wie wir es jetzt sehen, das ist überhaupt kein Verhalten. Aber natürlich kann man, wenn man bösartig ist, so was aus dem Islam schöpfen.
    Was wichtig ist, was mir ganz wichtig ist, dass wir es schaffen, solche Menschen stärker zu ächten, stärker auszugrenzen, uns auch stärker selbst von ihnen abzugrenzen und das auch sichtbarer zu machen. Und das war eben tatsächlich auch der Anlass zu sagen, wir rufen zur Demo auf. Vielleicht müssen wir wirklich mal auf die Straße, in der Hoffnung, dass viele dem Aufruf folgen. Aber eben auch viele Nicht-Muslime. Es ist nicht nur eine islamische oder eine muslimische Angelegenheit.
    "Ich habe das Gefühl, dass sehr viel Misstrauen auch gerade Muslimen gegenüber aufgekommen ist"
    Schrammar: Nach den Anschlägen von Manchester und London haben in Großbritannien rund 130 Imame erklärt, sie würden Attentätern das Totengebet verweigern. Das ist schon auch ein sehr, sehr starkes Signal. Wäre das etwas, was Sie sich auch in Deutschland wünschen würden?
    Kaddor: Es ist auch wichtig, hier zu unterscheiden. Die haben das Totengebet untersagt, also, haben sich geweigert, das zu tun, das ist richtig. Aber man weigert sich natürlich nicht, solche Menschen zu bestatten. Also, ich meine, den letzten Rest dieser Menschenwürde, und diesen Menschen muss man den natürlich, auch diese letzte Würde sozusagen behalten. Bestattet werden die mit Sicherheit. Ich glaube, es ist ein wichtiges Zeichen, dass man sagt, auch noch öffentlich zeigt, dass man sich damit sehr schwer tut und dass man sich vielleicht auch sogar weigert, das zu tun. Ich glaube, das ist wichtig auch, um eine gewisse Glaubwürdigkeit ein Stück weit, ja, vielleicht auch zurückzugewinnen.
    Ich habe das Gefühl, dass sehr viel Misstrauen auch gerade Muslimen gegenüber aufgekommen ist, gerade wegen der letzten Anschläge immer wieder in den letzten Jahren und zum Teil Jahrzehnten ja schon. Aber ich glaube, dass es auch jetzt endlich an der Zeit ist, auch mal deutlich zu sagen, womit wir Muslime uns aber auch schwer tun, eben genau solchen Menschen dann noch beispielsweise das islamische Totengebet zu absolvieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.