Archiv

Kapitalismus
Kunststudent verzichtet auf Konsum

Der Münchner Marius Diab studiert und ist seit anderthalb Jahren im Konsumstreik. Er schläft auf der Wiese vor der Universität, wäscht sich im Bach und lebt von dem, was andere wegwerfen. Das klappt ganz gut, verzichten muss der 25-Jährige auf kaum etwas.

Von Burkhard Schäfers |
    Die Initiative Foodsharing sammelt in vielen deutschen Städten Lebensmittel ein, die andere in die Mülltonne schmeißen, und verteilt sie weiter.
    Die Initiative Foodsharing sammelt in vielen deutschen Städten Lebensmittel ein, die andere in die Mülltonne schmeißen, und verteilt sie weiter. (dpa/picture alliance/Patrick Seeger)
    Es ist Mittag, vor den Restaurants an der Münchner Leopoldstraße sitzen viele Leute draußen und machen Pause. Bei einem indischen Lokal trägt ein Kellner gerade zwei halbleere Teller weg. Marius Diab zeigt auf das restliche Essen.
    "Die Frage ist, ob ich das vielleicht essen darf? – Hier? – Genau diesen Teller, ja. – Aber das ist Rest von jemand. – Ja genau, aber es würde ja jetzt weggeschmissen werden wahrscheinlich."
    Der Kellner ist erst völlig überrascht, dann versucht er abzuwehren. Was, wenn der Chef Probleme macht? Oder sich andere Kunden beschweren? Aber so schnell lässt sich Marius Diab nicht abwimmeln. Er fragt das junge Pärchen, das die Essensreste hat zurückgehen lassen. Die sagen ja, und nach einigem Hin und Her sind auch die beiden Kellner einverstanden. Der 25-Jährige kann die zwei halben Portionen indisches Curry mitnehmen.
    Reste essen statt wegwerfen
    "Zum einen bin ich satt geworden. Zum anderen hab ich mit vier Menschen über Essen gesprochen und über Verschwendung. Auch die beiden, die nicht aufgegessen haben, werden vielleicht so ein bisschen ins Grübeln kommen. Das war eine ganz schöne, kleine Alltagsaktion."
    Vor anderthalb Jahren hat Marius Diab beschlossen, dass er nichts mehr einkauft. Der Kunststudent isst nur das, was sonst in der Tonne landen würde. 82 Kilo Lebensmittel wirft jeder Deutsche im Schnitt jährlich weg.
    "Ich möchte darauf aufmerksam machen, wie viel eigentlich in unserer Gesellschaft verschwendet wird, wie viele Produkte im Müll landen. Ich möchte da einfach nicht weiter zuschauen."
    Der junge Mann mit den langen dunklen Haaren fing an, bio, regional und fair einzukaufen. Erst wurde er zum Vegetarier, dann aß Marius Diab nur noch vegan. Aber selbst im Biomarkt musste der 25-Jährige Kompromisse eingehen: In etlichen Produkten ist Palmöl, und um das herzustellen werden Regenwälder gerodet.
    "Ich finde unsere Gesellschaft insgesamt leichtsinnig, weil wir unsere Umwelt zerstören, weil wir Menschen verhungern lassen, weil wir Tiere quälen, weil wir den nachfolgenden Generationen Ressourcen wegnehmen, indem wir sie verschwenden im Übermaß."
    So kam die Idee mit dem Konsumstreik. Inzwischen wohnt Marius Diab in einer selbstgebauten Jurte mitten in München. Geld gibt er nur noch für die Krankenversicherung und den Semesterbeitrag an der Uni aus. Bisher klappt das – auch wenn er einmal, als die Bremsen am Fahrrad kaputt waren, fast aufgeben musste. Aber dann bekam er in einer Werkstatt gebrauchte Ersatzteile umsonst. Fahrrad und Anhänger sind nötig, wenn er Containern geht. Auf den verlassenen Hinterhof eines Supermarktes brennt die Sonne.
    Einzige Ausgaben: Semesterbeitrag und Krankenversicherung
    "Man sieht schon von außen, dass da Tonnen stehen die überfüllt sind. Und die wollt ich mir jetzt mal näher angucken."
    Die Sachen sind originalverpackt, nichts ist aufgerissen, das Haltbarkeitsdatum läuft erst in einigen Tagen ab.
    "Hier sind jetzt sehr viele Packungen Grill- und Pfannenkartoffeln. Die stehen mitten in der Sonne, die wären wahrscheinlich noch super genießbar gewesen, wenn ich die hätte abholen dürfen. Sojamilch, Orange-Erdbeer-Smoothies, Butter. Und hier ganz viele Schnittblumen, die wahrscheinlich in Afrika angebaut worden sind und dann die weite Reise über Holland nach Deutschland gefunden haben um hier in der Mülltonne zu landen."
    Containern – Lebensmittel aus dem Müll von Supermärkten holen – ist natürlich verboten. Aber weil Leute wie Marius Diab solche Aktionen vor allem als politisches Statement verstanden wissen wollen, sprechen sie einfach von „Lebensmittel retten." Vor zweieinhalb Jahren hat Marius Diab die bundesweite Aktion Foodsharing mitgegründet.
    "Foodsharing ist eine Initiative gegen Lebensmittelverschwendung. Es sind schon viele tausend Leute, die Lebensmittel bei Betrieben abholen, die nichts mehr wegschmeißen wollen, sondern die Sachen der Gesellschaft zur Verfügung stellen."
    Die Foodsaver bringen überflüssige Sachen etwa zu so genannten Fair-Teilern – offen zugänglichen Kühlschränken, bei denen jeder etwas reinlegen oder rausholen kann. In München machen rund 500 Leute mit. Das sei mehr als ein Einzelphänomen, sagt Christoph Knill, Politikwissenschaftler an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität.
    Foodsharing: Essen vor der Mülltonne retten
    "Wir beobachten eine zunehmende Veränderung von gesellschaftlichen Einstellungen im Hinblick auf Konsumverzicht. Ressourcenschonende Einstellungen beim Konsum, wo man über die letzte Jahren Zunahmen sehen kann. Auch wenn man schaut, Verkaufszahlen von Produkten, vegane Ernährung, biologische Produkte, wo man steigende Absatzzahlen sieht. Also es gibt ganz klar einen gesellschaftlichen Trend."
    Foodsharing sei politisches Engagement, erklärt Professor Knill. Aber die Initiative hat keine komplizierte Gremienstruktur und Ausschussarbeit, lange theoretische Traktate spart sie sich. Für die klassische Politik ist die Bewegung kaum greifbar.
    "Es ist sicherlich ein Phänomen, das man vor allem bei jüngeren Menschen beobachten kann, also möglicherweise so ein generationenbezogener Wandel. Der aber – das ist interessant – selbstgesteuert verläuft und politisch schwer zu beeinflussen ist."
    Marius Diab will niemanden davon überzeugen, selbst in den Konsumstreik zu treten. Aber zum Nachdenken bringen will er die Menschen schon.
    "Ich glaube, dass ich Teil einer Bewegung bin. Ich beobachte einen gewissen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft. Noch im Kleinen und ich hoffe, dass es ein bisschen größer wird."