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Katalonien
Der Fall Puigdemont und sein historischer Vorläufer

Die Inhaftierung von Carles Puigdemont in Deutschland ist rechtlich sauber, diplomatisch aber ein heikler Vorgang. Und ein Blick in die Geschichte zeigt: Es gibt eine unrühmliche Parallele aus der Zeit der spanischen Diktatur, an die sich Deutschland nur ungern erinnert.

Von Eberhard Spreng |
    Das Bild zeigt ein Porträt des ehemaligen katalanischen Präsidenten Lluis Companys an der Fassade des Palau de la Generalitat in Barcelona, aufgenommen am 9. September 2015.
    Ein Porträt des ehemaligen katalanischen Präsidenten Lluis Companys, im September 2015 auf die Fassade des Palau de la Generalitat in Barcelona projiziert. (AFP / Lluis Gen)
    An das Gitter der Justizvollzugsanstalt in Neumünster haben Aktivisten ein Plakat angebracht: Es zeigt die Fahne der katalanischen Nationalisten, ein Farbporträt von Carles Puigdemont mit der Jahreszahl 2018 und ein Schwarz-Weiß-Porträt von Lluis Companys mit der Jahreszahl 1940. Und da steht dann auch noch "Einmal reicht" und "Freiheit für Puigdemont". In diesem Plakat steckt gewaltiger historischer Zündstoff, denn sollte es so kommen, wäre Puigdemont nicht der erste katalanische Ministerpräsident, der im Verlaufe seines Einsatzes für die katalanische Unabhängigkeit von Deutschland an Madrid ausgeliefert würde. 1940 wurde der ehemalige katalanische Regionalpräsident Lluis Companys in seinem französischen Exil in der Nähe von Nantes von der Gestapo festgenommen, an Franco-Spanien ausgeliefert, dort gefoltert und nach einem Schnellverfahren hingerichtet.
    Katalanischer Widerstand gegen Franco
    Companys hatte bereits vor dem Beginn des Spanischen Bürgerkrieges die eigenständige Republik Katalonien ausgerufen und war zusammen mit seinen Regierungsmitgliedern verhaftet worden, dann aber nach der Wahl der Volksfrontregierung 1936 wieder frei gekommen. Anschließend hatte er von Barcelona aus den Widerstand gegen den Militärputsch organisiert, bis ihn der Vormarsch der Franco-Truppen zur Flucht nach Frankreich zwang. Auf die Auslieferung von dort zurück nach Spanien spielen die Aktivisten in Neumünster an.
    Historisch noch schwerwiegender als diese Auslieferung ist allerdings die Tatsache, dass Nazi-Deutschland mit einer geheimen Großoperation im Sommer 1936 erst die Voraussetzung für Francos Militärintervention im Spanischen Bürgerkrieg schuf: Ab dem 27. Juli 1936 ließ Hermann Göring mit der Operation Feuerzauber eine Luftbrücke zwischen Marokko und Spanien errichten, auf der in 800 Flügen 14.000 Fremdenlegionäre und 500 Tonnen Kriegsmaterial nach Spanien gebracht wurden. In der deutschen Erinnerungskultur spielt diese Intervention fast keine Rolle. Auch das Ausmaß der Kriegshandlungen der deutschen Legion Condor mit ihren 20.000 Soldaten ist kaum bekannt. Guerníca ist dank Picassos berühmtem Gemälde nahezu das einzige, woran man sich hierzulande erinnert: Ein Massaker, in dem ein baskisches Städtchen zum Testgebiet für neue Flugbombentypen gemacht wurde, ein Pilotprojekt der Zerstörung für die Schlachten der Zukunft.
    Deutsche Flugzeuge sicherten Francos Sieg
    Als Francos Armee schließlich nach der Ebro-Schlacht in den spanischen Nordosten einmarschierte, löste das eine Massenflucht von republikanischen Spaniern aus. Katalonien war ihr letztes Rückzugsgebiet und Kernland auch eines vorübergehenden, in der Geschichte Europas einzigartigen anarchistischen Gesellschaftsexperiments. Vielen Katalanen ist in Erinnerung, dass der Kriegsausgang 1939 nicht ohne italienische und deutsche Flugzeuge möglich gewesen wäre: Franco wäre ohne die Deutschen chancenlos geblieben. Es gibt gute Gründe, den Beginn des 2. Weltkriegs also nicht 1939 und an der deutsch-polnischen Grenze zu verorten, sondern an der marokkanisch-spanischen Meerenge im Sommer 1936.
    Gut möglich, dass Carles Puigdemont, als er sich, statt für einen Flug Helsinki-Brüssel, für die weitaus gefährlichere Autofahrt durch vier europäische Länder entschied, auf eine Wendung spekulierte, die ihm nun mit der Inhaftierung in Deutschland Märtyrerstatus mit historischer Aufladung verspricht. Egal, wie die Gerichte hierzulande entscheiden: Deutschland muss ein Interesse daran haben, zu erkennen, dass es tief in die spanische Geschichte des 20. Jahrhundert eingegriffen hat und, ob es will oder nicht, gerade im katalanischen Selbstverständnis eine prominente, unrühmliche Rolle spielte. Und vielleicht nicht zum zweiten Mal spielen sollte.