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Katholische Sexual-Ethik
"Christus verurteilt nicht"

Papst Franziskus hat eine Umfrage unter allen Katholiken veranlasst. Mit dem Ergebnis, dass beim Thema Sexualität die kirchliche Lehre von der Realität der deutschen Katholiken weit entfernt ist. Das wisse die Kirche schon lange, sagte im DLF der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke. Die Menschen sollten nicht mit Verboten belastet werden.

Hans-Jochen Jaschke im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 05.02.2014
    Weihbischof Hans-Jochen Jaschke
    Weihbischof Hans-Jochen Jaschke: "Kirche ohne Menschen und Kirche ohne das Urteil und die Lebenserfahrung der Menschen ist nicht Kirche." (dpa / picture-alliance / Maja Hitij)
    Dirk-Oliver Heckmann: Noch ist es zu früh zu beurteilen, wie tief die Veränderungen, die Papst Franziskus für die katholische Kirche angekündigt hat, wirklich gehen werden, oder ob sich vieles mehr auf theoretischer Ebene bewegen wird. Fakt ist: Allein schon, dass die Katholiken in aller Welt zu ihrer Meinung befragt wurden, ist schon eine kleine Sensation. Es ging bei dieser Befragung um die Ehe, Familien- und Sexual-Ethik des Vatikan. Für Deutschland ist das Ergebnis seit Montag bekannt, und das lautet wenig überraschend: Die von der katholischen Kirche vertretene Ethik ist von der Realität auch der Katholiken hier in Deutschland meilenweit entfernt. – Telefonisch zugeschaltet ist uns dazu jetzt Hans-Jochen Jaschke, Weihbischof in Hamburg. Schönen guten Morgen, Herr Jaschke.
    Hans-Jochen Jaschke: Guten Morgen!
    Heckmann: Bisher war der Papst ja für den Kurs der Kirche zuständig, für die Glaubenssätze, und er genoss sogar das Privileg der Unfehlbarkeit. Damit hat Papst Franziskus ja Schluss gemacht. Wird die katholische Kirche jetzt eine demokratische Einrichtung, in der die Mehrheit bestimmt, wie die Bibel zu interpretieren ist, und gibt die Kirche damit ihren Wesenskern nicht auf?
    Jaschke: Natürlich wird die Mehrheit nicht bestimmen können, aber Kirche ohne Menschen und Kirche ohne das Urteil und die Lebenserfahrung der Menschen ist nicht Kirche. Es geht ja auch nicht darum, dass der Papst aufgrund seiner Unfehlbarkeit irgendwelche gescheiten Sätze verkündet, oder dass der Papst sagt, er ist unfehlbar, wenn es um zentrale Wahrheiten des Glaubens geht, und dann ist er mit der ganzen Kirche zusammen unfehlbar, und von daher halte ich es für eine ganz wichtige und kluge Entscheidung, dass jetzt mit Blick auf die Bischofssynode weltweit die Kirche aufgerufen ist, sagt doch, wie lebt ihr mit der Sexual-Ethik, wie lebt ihr mit Sexualität, mit all den Möglichkeiten, aber auch mit den Schwierigkeiten, die das konkrete Leben dann natürlich mit sich bringt.
    Heckmann: Herr Jaschke, wieder verheiratete Geschiedene sind vom Abendmahl ausgeschlossen. Das Kondom ist verboten, weil es nicht nur vor HIV schützt, sondern auch die Empfängnis verhütet. Gelebte Homosexualität ist Sünde, die Lebenspartnerschaft von gleichgeschlechtlichen Paaren wird nicht akzeptiert. Eine Mehrheit der Katholiken in Deutschland stört sich an diesen Positionen. Waren Sie davon überrascht?
    Jaschke: Nein. Wir wissen das natürlich seit Langem und wir wissen auch, dass man nicht einfach von Verboten reden kann. Das Kondom ist nicht verboten, aber die katholische Kirche hat immer gesagt, Sexualität hat mit Verantwortung zu tun und mit Bindung und mit Treue, und wenn man einander treu ist, dann braucht man auch keine Kondome. Aber dass es verboten ist, das kann man nie sagen, und ich habe oft genug auch in Interviews und in Artikeln gesagt, natürlich kann das Kondom der Anfang von Moralität sein und man muss je nach Situation auch den Menschen einen guten Rat geben und ihnen dabei helfen. Aber dass der Papst jetzt noch einmal so deutlich einlädt und dass so klar und ungeschminkt gesagt wird, wie die Menschen leben können, mit den Regeln der Kirche, das halte ich für eine ganz, ganz wichtige Sache.
    "Sexualität muss eine humane Sexualität sein"
    Heckmann: Die Frage ist allerdings: Was folgt daraus praktisch? Ist denn damit zu rechnen, dass der Vatikan seine ethischen Vorstellungen über den Haufen wirft?
    Jaschke: Papst Benedikt hat schon vor ein paar Jahren in einem Interview gesagt, das Kondom kann der Anfang von Moralität sein, der Anfang von Moralität. Natürlich wird es immer bei der Grundrichtung bleiben, Sexualität muss eine humane Sexualität sein, wenn sie dem Willen Christi entsprechen soll. Aber Christus verurteilt nicht, Christus hat Geduld mit den Menschen und wir müssen sehen, dass wir nicht mit Geboten und Verboten Menschen belasten, sondern ihnen in den ganz eigenen Lebenssituationen nahe sind und aufmerksam mit ihnen schauen, was könnt ihr, was entspricht euren Möglichkeiten und was ist in der ganz konkreten Situation richtig.
    Heckmann: In der Zusammenfassung, die die deutschen Bischöfe an den Vatikan geschickt haben, die Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Befragung hier in Deutschland, ist von einem Neuansatz die Rede, von einem Ende der Verbotsmoral. Sie haben es gerade auch schon angedeutet. Heißt das im Endeffekt, everything goes?
    Jaschke: Nein, das darf natürlich nicht so heißen. Sehen Sie, wir haben ja seit 1967, als die Enzyklika Humanae Vitae erschienen ist, in Deutschland immer schon die Entscheidung der einzelnen Gläubigen angemahnt und ermöglicht und gesagt, da müsst ihr selber euren Weg finden. Wir haben beim Thema Homosexualität auch da schon sehr offene Äußerungen im Weltkatechismus, dass man keinen homosexuellen Menschen verurteilen darf, und bei all den Fragen, wie geht Jugend mit Sexualität um, sind wir natürlich auch im Gespräch mit jungen Leuten und sehen, dass eine starre Regel von ihnen nicht befolgt wird. Sie wollen selber in die Verantwortung genommen werden und selber das, was richtig ist, tun. Also wir sind auf einem Weg und diesen Weg gehen wir weiter, aber der Weg heißt nicht, dass wir sagen, es gibt keine Regeln mehr, es gibt keinen biblischen Grund mehr, keine Weisung Jesu. Sexualität muss eine humane, verantwortliche Sexualität bleiben.
    Respekt gegenüber homosexuellen Lebenspartnerschaften
    Heckmann: Man darf wieder verheiratete Geschiedene nicht verurteilen und auch Homosexuelle nicht. Aber viele fühlen sich ja trotzdem diskriminiert. Können Sie sich denn vorstellen, dass Sie eines Tages Geschiedene in einer Kirche trauen, oder gar ein gleichgeschlechtliches Paar?
    Jaschke: Ich habe auch wiederholt gesagt, dass wir gerade bei Gleichgeschlechtlichen auch Regelungen brauchen, die verlässlich sind. Die Öffentlichkeit soll Partnerschaften anerkennen und das muss auch staatlich geregelt sein. Ich denke, dass die Kirche auch Respekt vor solchen Bindungen hat und haben muss. Dass die Homosexualität die eigentliche Form der Sexualität ist und der Ehe gleich kommt, so weit wird die katholische Kirche nicht gehen. Aber Respekt, Anerkennung, Achtung und Hilfe in allem, was möglich ist, das ist der richtige christliche Weg.
    Heckmann: Respekt gegenüber homosexuellen Lebenspartnerschaften, auch Respekt gegenüber wieder verheirateten Geschiedenen, aber keine weitere Ehe, keine von der Kirche jedenfalls geschlossene weitere Ehe?
    Jaschke: Bei den wieder verheirateten Geschiedenen sind wir dabei zu überlegen, auch theologisch zu überlegen, kann man Wege finden, dass man eben doch eine zweite Segnung, eine zweite Eheschließung unter bestimmten Bedingungen ermöglicht. Die Orthodoxie geht ja diesen Weg, den Weg der Barmherzigkeit, wenn eine Ehe gescheitert ist. Also ich denke auch, dass da die katholische Kirche Lösungen findet. Aber es wird nicht so einfach sein, dass man sagt, ihr könnt mehrmals hintereinander sagen, bis der Tod uns scheidet, wollen wir einander treu bleiben. Die Grundrichtung christlicher Einladungen zu einer verantworteten Moral und Ethik, die muss bleiben.
    "Sexualität ist eine menschliche Grundgegebenheit, schön, aber auch bedrohend und immer wieder gefährdet"
    Heckmann: Es dürfte allerdings auch klar sein, Herr Jaschke, dass die Haltung der Katholiken in Deutschland sich unterscheidet zu denen, die in Afrika leben, in Asien, in Südamerika. Sitzen wir hier in Deutschland nicht dem Irrglauben auf, dass sich die Meinung in Deutschland auf die gesamte katholische Kirche übertragen lässt?
    Jaschke: Ja, da müssen wir immer drauf achten, dass nicht am deutschen Wesen da die Welt genesen kann. Aber ich bin auch wiederholt in Lateinamerika gewesen, ich kenne die Situation in Afrika ein wenig, ich war in Korea. Menschen sind überall Menschen und Sexualität ist eine menschliche Grundgegebenheit, schön, aber auch bedrohend und immer wieder gefährdet. Ich bin schon der festen Meinung, dass überall auf der Welt ähnliche Fragen anstehen. Aber die lösen sich nicht damit, dass wir sagen, alles ist egal, wir passen uns einfach an, sondern sie werden nur dann eine Lösung finden, wenn Menschen selber eine verantwortliche Lösung finden können und eigene Wege gehen dürfen aufgrund ihres Gewissens, aufgrund ihrer persönlichen Möglichkeiten.
    "Natürlich ist Steuerhinterziehung ein Vergehen"
    Heckmann: Ich will schließlich noch ein ganz aktuelles Thema ansprechen: das Thema Steuerhinterziehung. Herr Jaschke, die Fälle Alice Schwarzer und André Schmitz, die haben ja eine lebhafte Debatte wieder ausgelöst. Wie ist die einzuordnen? Werden da möglicherweise auch Grenzen überschritten?
    Jaschke: Meiner Meinung nach und auch ein ethisches Urteil: Natürlich ist Steuerhinterziehung ein Vergehen, theologisch gesehen eine Sünde, wenn sie bewusst gemacht wird, vorsätzlich betrieben wird, und ich halte es für gut, dass auch große und bekannte Namen gerade besonders ans Licht geholt werden und dass wir sagen, bitte, was macht ihr. Ihr tretet auf als moralische Autoritäten, als Vorbilder, und wenn ihr dann so versagt, so eklatant versagt, nicht in kleinen Umfängen, sondern mit diesen Riesensummen, die jetzt bekannt werden, dann braucht das alle Kritik und Verurteilung.
    Heckmann: Der Weihbischof in Hamburg, Hans-Jochen Jaschke, war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Jaschke, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Interview und einen schönen Tag.
    Jaschke: Ja danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.