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"Keine FARC mehr!"

Vor sechs Jahren wurde die kolumbianische Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt entführt. Die ehemalige Kandidatin der Grünen geriet während des Wahlkampfs in die Hände der linken Guerillabewegung FARC. Die FARC führen seit nunmehr 40 Jahren eine Guerilla-Kampf. Zu Beginn kämpften noch Bauern für eine Landreform, doch schon lange versucht die Guerilliabewegung mit Geiselnahmen Lösegelder zu erpressen.

Von Peter B. Schumann |
    "In Calí nahmen 500.000 Personen an einer der größten Manifestationen gegen die FARC teil" - so berichtet Radio Caracol. "Der Demonstrationszug ging quer durch die Stadt. Eine riesige, 500m lange Nationalfahne Kolumbiens führten die Demonstranten mit sich. In Florida Valle, einem Bezirk, den die FARC für Verhandlungen entmilitarisiert haben will, demonstrierten mehr als 10.000 Personen, angeführt von den wichtigsten Politikern der Region." / In einer anderen Gegend konzentrierten sich die Demonstrationen um die szenische Darstellung eines KZs der FARC - "um der Welt die Lebensbedingungen der Entführten vor Augen zu halten".

    Keine FARC mehr! - so hieß das Motto der Massendemonstrationen, die Millionen von Kolumbianer mobilisierten und als die gewaltigste Manifestation in der Geschichte Kolumbiens gelten. Gleichzeitig protestierten weitere Hunderttausende in 130 Städten der Welt.

    "Wir haben die FARC satt. Sie sollen endlich und bedingungslos die Entführten gehen lassen. Ich fordere die FARC auf, meinen Vater freizugeben, denn es ist für uns alle sehr schwer, das ständig zu erleiden. Es muss endlich Schluss gemacht werden mit den schrecklichen Verbrechen in Kolumbien."

    Eine Gruppe von Kolumbianern - "abseits jeder politischen Couleur" - hatte zunächst nur im Internet zu einer Unterschriftenaktion gegen die FARC aufgerufen: "Kolumbianer, Freunde in aller Welt, lasst uns gemeinsam schreien: Keine Entführungen mehr! Keine Lügen mehr! Keine Morde mehr! Keine FARC mehr!"
    In kurzer Zeit hatte sie eine Viertelmillion Stimmen gesammelt und entschloss sich zu dieser einzigartigen weltweiten Protestaktion. Ein Erfolg der modernen Kommunikationstechnik - aber vor allem einer partei-unabhängigen Bürgerbewegung, die auch bei zwei Kommentatorinnen im kolumbianischen Rundfunk Anerkennung fand.

    "Hier hat zweifellos die Zivilgesellschaft gewonnen mit ihrer völligen Ablehnung der Gewalt und dieser großartigen Solidarität mit den Freigelassenen und den Freizulassenden. Das kolumbianische Volk hat den FARC eine Lektion vor der ganzen Welt erteilt. Was jetzt noch fehlt, sind politische Entscheidungen zwischen der Regierung und den FARC, die eine baldige Freilassung der Entführten ermöglichen. Das ist der Auftrag, den die Bürger erteilten."

    Es ist nicht die erste politische Niederlage, die den FARC bereitet wurde, aber es ist ihre schlimmste, denn sie war diesmal nicht von Parteiinteressen bestimmt. Sie zeigte, dass die FARC kaum noch Rückhalt in der Bevölkerung finden und dass sie ihre internationale Reputation endgültig ruiniert haben. Und zwar in einem Augenblick, da der venezolanische Präsident Hugo Chávez sie politisch salonfähig zu machen versucht.

    "Die FARC und die ELN sind keine Terroristen, sondern aufständische Streitkräfte mit einem politischen, bolivarianischen Projekt, das hier in Venezuela respektiert wird." So erklärte er im Parlament vor versammeltem diplomatischem Corps unter dem Beifall seiner Parteigänger. "Ich fordere der Regierungen der Welt auf, die FARC und die ELN von der Liste der Terroristen zu streichen."

    Doch die Welt wollte diesem Aufruf nicht folgen. Zu oft sind die internationalen Verhandlungskommissionen und die kolumbianische Regierung von diesen beiden Guerrilla-Organisationen an der Nase herumgeführt worden, vor allem von der größten, der gewalttätigsten der beiden, den FARC. Ihre von Chávez groß angekündigte Aktion zur Freilassung von zwei ihrer Opfer am 10. Januar war nur ein politisches Manöver, und keine humanitäre Hilfe. Denn unter den Entführten, die sich noch immer in ihrer Gewalt befinden, ist nicht nur Ingrid Betancourt, die prominenteste von ihnen, sondern befinden sich zahlreiche inzwischen schwer kranke Personen, die dringend intensive medizinische Betreuung benötigen. Aber sie wird ihnen von den FARC verweigert. Keiner dieser Kranken steht auf der neuen Liste von lediglich 3 Namen, welche die Terroristen vor kurzem über den kolumbianischen Rundfunk verbreitet haben.

    "Im Kommuniqué der FARC heißt es wörtlich: Als Anerkennung der fortdauernden Versuche, eine humanitäre Übereinkunft herbeizuführen, bitten wir Präsident Hugo Chávez und die Senatorin Piedad Córdoba, persönlich oder durch Delegierte auf kolumbianischem Gebiet folgende Parlamentarier in Empfang zu nehmen, die wir einseitig freilassen werden: Gloria Polanco de Lozada, Luis Eladio Pérez und Orlando Beltrán Quella."

    Mit dieser bescheidenen Geste wollen die FARC die Vermittlerrolle von Chávez stärken, dem einzigen Politiker, der sie ihrem Ziel der Anerkennung als politische Streitmacht näherbringen könnte. Das ist für sie von entscheidender Bedeutung, weil dann viele ihrer Gewalttaten später nur noch als Aktionen in einem Befreiungskrieg gewertet würden wie zum Beispiel ihre sog. Volksgefängnisse. Darin verbrachte Consuelo González, eine der beiden im Januar freigelassenen Frauen, viele Jahre.

    "Ich hatte das Glück, mit Soldaten und Polizisten in einem dieser Gefangenenlager, die sie Volksgefängnisse nennen, leben zu können. Sie waren ausgebildet dafür, mit solchen Situationen realistisch umzugehen, und haben uns dies gelehrt. Das war nicht immer einfach, denn wir fielen oft in tiefe Depressionen, weil wir nicht wussten, wie es weitergeht, wie lange man dem täglichen Elend, dem Hunger, den Grausamkeiten von Seiten der Guerrilla widerstehen könnte. Wir besaßen keinerlei Intimsphäre, wir waren von Stacheldraht umgeben. Deshalb mussten wir einfache existentielle Mechanismen entwickeln, um uns ein bisschen abzulenken. "

    Niemand überlebt das ohne Folgeschäden, die ein Leben lang bleiben. Consuelo González musste in der Gefangenschaft der FARC auch noch mit dem Tod ihres Mannes fertig werden.

    ""Als ich diese Nachricht erhielt, hatte ich das Gefühl, als würde alles zusammenbrechen, als hätte mein Leben keinen Sinn mehr. Was sollte ohne ihn aus meiner Familie werden? Ich habe geistige Kräfte mobilisieren können, habe viel gebetet, dadurch habe ich wieder zu innerer Ruhe gefunden, das Gefühl von Trauer, von Schmerz, von Angst allmählich überwinden können. / Manchmal habe ich mich selbst gewundert, wie ich sie ausgehalten habe, diese höllische Situation einer Entführung."

    Mehr als 700 Menschen hält die Terrororganisation seit Jahren unter solchen Bedingungen fest. An ihrer Lage werden die Demonstrationen der Millionen Kolumbianer so schnell nichts ändern. Aber sie haben den FARC bewiesen, dass der Widerstand gegen ihre Menschen verachtenden Methoden gewaltig angewachsen ist. Und sie haben der Regierung Uribe deutlich gemacht, dass auch von ihr unkonventionelle Entscheidungen erwartet werden, die endlich zum Ziel führen: zur Befreiung der Geiseln und dem Frieden in Kolumbien.