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Keine Große Koalition in Sicht

Die schwarz-gelbe Koalition habe in den vergangenen drei Jahren zahlreiche Konflikte erlebt. Deshalb sei das Auftreten dieser Regierung nicht unbedingt überzeugend gewesen, meint der Politikwissenschaftler Wichard Woyke. Eine deutliche Zuwendung der CDU in Richtung SPD sehe er aber nicht.

Fragen von Sandra Schulz an Wichard Woyke | 20.09.2012
    Sandra Schulz: Ist das ein Testlabor für die Große Koalition im Bund? So sieht es jedenfalls die Zeitung "Die Welt", die heute Morgen die Geschichte als erste kannte. Und das Testlabor wäre demnach der Bundesrat. Da wollen morgen neben den SPD-Ländern auch Sachsen-Anhalt und das Saarland für eine Gesetzesinitiative für die Frauenquote stimmen. Das ist eine Ankündigung mit ganz erheblichem Konfliktpotenzial für die schwarz-gelbe Koalition in Berlin, denn in beiden Ländern regieren Große Koalitionen mit CDU-Ministerpräsidentinnen. Und das ist nicht das einzige Thema: auch das Reizthema Mindestlohn packt der Bundesrat morgen an, auch da mit Abweichlern aus der Union.

    Absetzungstendenzen in der schwarz-gelben Koalition, die sind heute noch bei einem anderen Thema zu erkennen. Anfang der Woche hat uns der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung beschäftigt. Der war bekannt geworden, oder besser gesagt der Entwurf. Danach ist das Vermögen der Deutschen in den vergangenen Jahren im Schnitt gestiegen, aber vor allem die Wohlhabenden konnten den Abstand nach unten noch vergrößern. Zu diesen Erkenntnissen geht jetzt der Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) auf Distanz.

    Mitgehört hat der Politikwissenschaftler Professor Wichard Woyke. Er ist jetzt am Telefon. Guten Tag!

    Wichard Woyke: Guten Tag.

    Schulz: Wenn wir beide Themen zusammen anschauen, wie schätzen Sie das ein? Ist da wirklich eine Große Koalition in Vorbereitung?

    Woyke: Nein, das denke ich nicht, denn die CDU/CSU hat ja über die Legislaturperiode hinaus schon mit der SPD zusammengearbeitet – denken Sie mal an die gesamte Europapolitik, an den Europäischen Rettungsschirm, an den Stabilitätsmechanismus. Also da ist Kooperation schon immer da gewesen. Aber das sind schon erste Anläufe für den beginnenden Wahlkampf, und von daher ist das auch ich möchte es nicht gerade eine Drohung nennen, aber auch eine Ankündigung an den Koalitionspartner nach dem Motto, wenn's nicht reicht, können wir auch mit jemand anders regieren.

    Schulz: Aber wenn die Kooperation, so wie Sie es nennen, so gut klappt, warum ist das dann ein Gegenargument gegen die Neuauflage der Großen Koalition?

    Woyke: Na ja, Große Koalitionen sind für ein politisches System eigentlich nur dann erforderlich und auch politisch sinnvoll, wenn es große Herausforderungen gibt, das heißt also, wenn wir es mit politischen Problemen von einer Extraklasse zu tun hatten, so wie das 66 und 69 im vorigen Jahrhundert der Fall war und 2005, 2009, als wir keine andere Möglichkeit politisch hatten, um eine handlungsfähige Regierung zu bekommen. Aber es wird natürlich alles davon abhängen, inwieweit das Wahlergebnis überhaupt andere Koalitionsbildungen ermöglicht.

    Und ein zweiter Grund, weshalb Große Koalitionen auch nur notfalls gemacht werden sollen, ist die Entscheidungsunfähigkeit oder mangelnde Entscheidungsfähigkeit des Wählers, denn wenn es sowieso klar ist, dass es zu einer Großen Koalition nach einer Wahl kommt, dann hat er ja wesentlich weniger Handlungsoptionen als vorher.

    Schulz: Jetzt kommt die Kritik aus der FDP, aber die Union selbst ist da ja auch umstritten, tatsächlich mit dem Vorwurf, die CDU oder Teile setzten sich in Richtung SPD ab. Frauenquote, Mindestlohn, gerade gehört, sind die aktuellen Themen. Dieser widersprüchliche Kurs, schadet der der Union nicht auch?

    Woyke: Aber diese Themen sind ja keine neuen Themen und die Haltung der Union ist ja auch nicht neu, jedenfalls von Teilen der Union zu diesen Fragen. Nur jetzt kommt das stärker auf die Tagesordnung, weil es politisch in Form von Eingaben jetzt wirksam werden wird. Nein, ich würde nicht sagen, dass das der Union bisher geschadet hat. Zumindest nicht, wenn Sie es anhand der Unterstützung in den Umfragen sehen wollen.

    Schulz: Heißt das dann nicht, dass die schwarz-gelbe Koalition, so wie es die Opposition ja von Anfang an unterstellt, dann tatsächlich nur eine sehr dünne Basis hatte?

    Woyke: Wenn Sie sich die bisher verlaufenen drei Jahre anschauen, dann hatte die Koalition aus Christdemokraten und aus Liberalen tatsächlich eine große zahlenmäßige Mehrheit. Aber all die Konflikte, die in diesen drei Jahren zwischen den drei Partnern verlaufen sind, zeigen ja, dass alles, was im Koalitionsvertrag niedergeschrieben worden war, nicht unbedingt von beiden Seiten immer gleich bewertet worden war, sondern zu Konflikten geführt hat, und deswegen ist die Performance, die diese Regierung in diesen drei Jahren hingelegt hat, auch nicht die überzeugendste gewesen.

    Schulz: Und ist es auch so, wenn wir die Rolle von Ursula von der Leyen uns anschauen, dass sich da tatsächlich jemand warm läuft für die Rolle der Kanzlerin in einer neuen Großen Koalition?

    Woyke: Das würde ich nicht so sehen. Das ist schon etwas weit interpretiert. Aber sagen wir mal so: Es wäre zumindest eine Alternative, mal gedacht, wenn die SPD, die nicht unbedingt in eine Große Koalition eintreten möchte, schon gar nicht unter einer Kanzlerin Merkel, dann vielleicht die Möglichkeit sehen würde, in einer Koalition, in einer Großen Koalition unter einer Kanzlerin von der Leyen das vielleicht zu versuchen. Herr Steinbrück hat ja jetzt am Wochenende kategorisch ausgeschlossen, dass er in ein Kabinett Merkel nach der nächsten Bundestagswahl nicht eintreten würde. Das heißt aber nicht, dass er nicht in ein Kabinett von der Leyen eintreten könnte.

    Schulz: Weil wir gerade bei der Kandidatenfrage bei der SPD wären, die ja auch noch offen ist. Da müssen wir uns vertagen. – Der Politikwissenschaftler Wichard Woyke war das heute hier in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank dafür.

    Woyke: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.