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Kirchen in Polen
Orthodoxe Christen im katholischen Epizentrum

Die orthodoxe Kirche bildet die größte konfessionelle Minderheit in Polen. Schätzungen zufolge gibt es 600.000 orthodoxe Christen - Tendenz steigend. Denn viele Ukrainer ziehen gen Westen. Auch darum entsteht in Warschau gerade der erste orthodoxe Sakralbau seit mehr als 100 Jahren.

Von Holger Lühmann | 21.03.2017
    Die Metropolitenkirche der St. Maria Magdalena in Warschau.
    Die "Orthodoxe Metropolitenkirche der St. Maria Magdalena" in Warschau (imago / BE&W)
    So wird es klingen, wenn bald die neue orthodoxe Kirche in Warschau eingeweiht wird und Priester und Gemeinde ihren Kirchenbau umkreisen. Eine Prozession mit Weihrauchduft und orthodoxem Gesang. Der Neubau in Warschau soll die drei orthodoxen Kirchen der Hauptstadt ergänzen. Die Planer setzen architektonisch auf eine symbolische Rückkehr zu den Ursprüngen der Ostkirche in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, erklärt Religionswissenschaftler Konrad Kuczara.
    "Dieser Sakralbau in Warschau hat architektonisch eindeutig die Hagia Sofia zum Vorbild. Die Kirche erhält eine große Kuppel und wird im byzantinischen Baustil errichtet. Sie wird die größte der vier orthodoxen Kirchen in Warschau sein."
    Orthodoxer Zuzug aus dem Ausland
    Mit dem Neubau reagiert die Gemeinde auf den Zuzug aus dem Ausland. Warschau hat zuletzt als Handelsplatz zwischen Ost und West stark an Bedeutung gewonnen. Das zieht Zuwanderer aus den slawischsprachigen Teilen der EU an. Hinzu kommen Kriegsflüchtlinge aus der Ostukraine. Die Hauptstadt-Gemeinde wächst: 30.000 orthodoxe Christen leben inzwischen in Warschau. Konrad Kuczara:
    "Die orthodoxe Kirche in Polen ist geprägt von einer Vielzahl von Ethnien. Nicht nur im Schmelztiegel Warschau. Es gibt in ganz Polen ein richtiges Mosaik unterschiedlicher Sprachen. In den Karpaten spricht man eher Ukrainisch, im Nordosten Weißrussisch. Und manchmal mischt sich das. Dann stellt sich die Frage: In welcher Sprache feiern wir die Liturgie?"
    Traditionell in Altkirchenslawisch, der christlich-orthodoxen Ursprache. Sie wurde durch den griechischen Missionar Kyrill geprägt, auf den auch das kyrillische Alphabet zurückgeht.
    Doch gerade in Polen hat sich in Protokollfragen der Pragmatismus durchgesetzt, sagt Priester Grzegorz Cebulski aus Breslau.
    "Die Gemeinden halten ihre Liturgie zwar in erster Linie in Altkirchenslawisch ab. Die Predigten und Fürbitten sind dann aber meist auf Polnisch oder in ortsüblichen Dialekten. Und bei uns in Breslau, wo es auch Griechen, Rumänen und Georgier gibt, wird der Gottesdienst gelegentlich durch diese Sprachen ergänzt."
    "Orthodoxe Kirchen als Filialen des russischen Imperiums"
    Die heterogene Struktur der orthodoxen Kirche in Polen ist historisch bedingt. Bereits im 10. Jahrhundert haben byzantinische Wanderprediger im Weichselgebiet missioniert. Im weiteren Verlauf des Mittelalters hat sich der katholische Glaube durchgesetzt. Erst im 19. Jahrhundert, als Ostpolen vom Russischen Zarenreich verwaltet wurde, erlebte die Orthodoxie einen Aufschwung. Bis zum Ersten Weltkrieg. Grzegorz Cebulski:
    "Dann gewann Polen 1918 seine Unabhängigkeit zurück. Die polnische Führung wollte mit der orthodoxen Kirche nun nichts mehr zu tun haben. Man sah in den Kirchen Filialen des russischen Imperiums. Etwa 160 orthodoxe Kirchen wurden zerstört und Dutzende weitere den Katholiken übertragen. Das war keine leichte Zeit für unsere Kirche."
    Die damaligen Ereignisse wirken bis heute nach. Noch immer streiten katholische und orthodoxe Diözesen um Liegenschaften.
    "Die katholische Kirche und der Staat geben uns nach und nach Grundstücke zurück, auf denen früher unsere Kirchen, Krankenhäuser, Schulen oder Klöster standen. Es ist eine Art Wiedergutmachung für die Zerstörung und Enteignung vor nach dem Zweiten Weltkrieg."
    Polnische Version der Hagia Sofia
    Auf der Alltagsebene scheint das Verhältnis zwischen orthodoxer und katholischer Kirche jedoch weitaus versöhnlicher zu sein. Immer mehr Menschen heiraten über konfessionelle Grenzen hinweg, beobachtet Grzegorz Cebulski.
    "Und das Interessante dabei ist, dass sich gemischt-konfessionelle Paare meist für die Zeremonie bei uns entscheiden. Und nicht nur, weil orthodoxe Kirchen so bunt wirken. Nein, meist konvertiert der katholische Partner zum orthodoxen Glauben."
    Der orthodoxe Geistliche kann seine Beobachtungen nicht mit Zahlen belegen. Denn wie es um die orthodox-katholischen Beziehungen an der Basis bestellt ist, darüber ist nur wenig bekannt. Konrad Kuczara von der Universität Warschau:
    "Das ist das größte Problem für die Ökumene. Die meisten Katholiken wissen so gut wie nichts über den orthodoxen Glauben und dessen Ritus. Das ändert sich natürlich dort, wo die orthodoxen Gemeinden zahlenmäßig besonders stark sind, zum Beispiel nahe der Grenze zu Weißrussland. Aber ansonsten ist das Wissen sehr gering."
    Und das obwohl die orthodoxe Kirche einiges zur polnischen Kulturgeschichte beigetragen habe, gibt Grzegorz Cebulski, orthodoxer Priester in Breslau, zu bedenken:
    "In Polen hat sich durch uns eine ganz eigene Architektur herausgebildet: der sogenannte Vilnaer Barock, also ein litauisch geprägter Baustil. Vor allem im Südosten Polens manifestiert er sich in wunderschönen Holzkirchen. Die kommen - bis auf wenige Ausnahmen - in dieser Form nur in Polen vor."
    Im Gegensatz zu den Holzkirchen im Osten entsteht in Warschau nun das Fundament für ein stabileres Gotteshaus. Die polnische Version der Hagia Sofia - aus Stein, Stahl und Beton. Vielleicht sorgt sie als eine der größten orthodoxen Sakralbauten Polens dafür, die Präsenz der Ostkirche stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rufen.