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Klage gegen VW in Braunschweig
5.000 Euro Entschädigung für Fahrzeughalter in Aussicht gestellt

Die amerikanische Hausfeld-Kanzlei hat - über ihr Berliner Büro - Klage gegen Volkswagen eingereicht. Obwohl in Europa rund acht Millionen Fahrzeughalter betroffen sind, ziehen nur wenige mit Gewährleistungsansprüchen vor Gericht. Doch das Vorgehen der Kanzlei ruft Verbraucherschützer auf den Plan.

Von Alexander Budde | 03.01.2017
    Ein Auspuff eines Volkswagen auf einem Mitarbeiterparkplatz, aufgenommen am 11.05.2016 mit dem Verwaltungshochhaus vom VW Werk in Wolfsburg (Niedersachsen).
    Wer im Abgasskandal Täter ist, wer Opfer, das ist für die US-Kanzlei Hausfeld klar: der Weltkonzern. Für die US-Kanzlei ist die Sammelklage gegen VW der Einstieg in den deutschen Markt. (dpa)
    Christopher Rother leuchtet nicht ein, dass Volkswagen den rund 500.000 Haltern manipulierter Dieselautos in den USA eine erhebliche Entschädigung zahlt, sich die mehr als zwei Millionen Geschädigten in Deutschland hingegen mit einer schlichten Nachrüstung begnügen sollen. Rother leitet das Berliner Büro der US-Kanzlei um Michael Hausfeld, die schon in den US-Verhandlungen eine tragende Rolle spielte und nun mit Einreichung einer ersten Klage in Braunschweig auch auf den hiesigen Markt drängt. Dass sich das Geschäftsmodell nicht so ohne Weiteres übertragen lässt, ist Rother bewusst. Denn in den USA gibt es Sammelklagen, wo es genügt, wenn ein geschädigter Kunde Klage erhebt. Dann gilt das Ergebnis des Verfahrens automatisch für alle Geschädigten. Im deutschen Recht muss jeder Einzelfall gesondert behandelt werden.
    Rechtlicher Dreh für eine Art Musterklage
    Die Hausfeld-Anwälte wollen aber einen rechtlichen Dreh gefunden haben, der letztlich eine Art Musterklage vor den Europäischen Gerichtshof begründen könnte. In den EU-Normen für die Zulassung von Kraftfahrzeugen sieht Rother einen handfesten juristischen Hebel gegen Volkswagen.
    "Das Bundesverkehrsministerium geht davon aus, dass die von Volkswagen ausgestellte Übereinstimmungsbescheinigung, das ist also eine Bescheinigung, in der drinsteht, dass das Fahrzeug in jeder Hinsicht mit den geltenden Rechtsvorschriften in Europa übereinstimmt, diese Bescheinigung war falsch. Wird die Übereinstimmungsbescheinigung als ungültig qualifiziert, dann können die betroffenen Fahrzeughalter hier in Europa ihre Fahrzeuge zurückgeben und den Neupreis von Volkswagen erstattet bekommen."
    In Europa sind rund acht Millionen Fahrzeughalter betroffen. Sie alle sind mit Dieselautos unterwegs, die niemals hätten verkauft werden dürfen, argumentiert Rother - und der Anwalt beruft sich unter anderem auf ein Gutachten des Rechtsprofessors Remo Klinger von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE). Zu einem ähnlichen Ergebnis kam bereits eine Expertise des Darmstädter Umweltrechtlers Martin Führ, die dieser für den Bundestags-Untersuchungsausschuss zum Abgasskandal erstellte. Der Tenor auch hier: VW habe die Abgasreinigung manipuliert, deshalb sei die Typengenehmigung für das Fahrzeug erloschen. Der VW-Konzern und seine Töchter Audi, Seat und Škoda müssten deshalb die betroffenen Dieselautos zurücknehmen.
    Versuch, Verbraucher mit Kleinstbeträgen abzuspeisen
    Im Fall VW versuchen bislang nur wenige Fahrzeughalter, ihre Gewährleistungsansprüche vor Gericht durchzusetzen – gegen den Hersteller VW und die Händler, die die Autos verkauft haben. Hier setzen die Amerikaner mit ihren Partnern vom Anwaltsportal MyRight an: Über ihre Website sammelt die Plattform VW-Kunden ein und lässt sich deren Ansprüche abtreten. Die Anwälte werben mit einer Entschädigung von je 5.000 Euro, die man erstreiten will. Den Vorwurf, die Verbraucher mit Kleinstbeträgen abzuspeisen und selbst beim Deal den großen Reibach zu machen, weist MyRight-Gründer Jan-Eike Andresen zurück:
    "Ich glaube, dem VW-Konzern ist alles das zuzumuten, was in einer vernünftigen Relation zum angerichteten Schaden steht. Ich glaube, man muss sich immer wieder vor Augen führen, wer ist hier eigentlich Opfer, wer ist Täter? Der Täter ist der VW-Konzern, der Täter sitzt in Wolfsburg!"
    VW hat unter dem Druck der US-Behörden den widerrechtlichen Einbau einer Abschalteinrichtung zugegeben. Gegen geltendes EU-Recht aber, so argumentiert der Konzern vor Gericht, verstoße die Software nicht. Im Labor alle gesetzlichen Vorgaben erfüllt zu haben, genüge hier. Eine Manipulation liege nicht vor.
    Politik müsse endlich Farbe bekennen
    Für den Verbraucher ist das Risiko einer Zivilklage auf eigene Faust kaum zu durchschauen, sagt Marion Jungbluth vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Die Politik sieht sie in der Pflicht, endlich Farbe zu bekennen. Denn seit der Forderung von Justizminister Heiko Maas nach einer Musterklage und seinem zwischenzeitlichen Vorschlag, eine Art Schlichtungsstelle für VW-Streitigkeiten einzurichten, ist wenig geschehen.
    Zwar sieht der jüngste Referentenentwurf zur Einführung einer Musterfeststellungsklage ein geordnetes Verfahren zwischen Verbänden, Kammern und beklagten Unternehmen vor, das verhindern könnte, dass eine Klagindustrie wie in den USA entsteht. Dies aber bringe wenig, so klagen Kritiker wie Jungbluth, wenn Verbände und Kammern nicht über die nötige finanzielle und personelle Ausstattung verfügen, um Fälle bis zum bitteren Ende durchzufechten.