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KLAK-Verlag
Ein polnisches Literaturprogramm

Der KLAK-Verlag aus Berlin-Neukölln sucht in der Nische seinen Erfolg. Bücher aus und über Polen bilden seinen Schwerpunkt, so zum Beispiel das Debüt von Ruth Fruchtman, einer in England aufgewachsenen Autorin deutscher Sprache mit jüdisch-mittelosteuropäischen Wurzeln.

Von Martin Sander | 21.11.2013
    "Jeder kleine Verlag hat das Problem, erst einmal eine gewisse Öffentlichkeit herzustellen. Große Verlage haben eine ganz andere Präsenz im Buchhandel und in den Medien. Die können sich ganz anders durchsetzen und das mit Geld unterfüttern, mit Werbekampagnen. Das steht natürlich einem kleinen Verlag wie unserem noch nicht zur Verfügung."
    Bilanziert Jörg Becken seine Lage. Vor über einem Jahr hat er mit einem befreundeten Grafiker den KLAK-Verlag in Berlin-Neukölln ins Leben gerufen. Beckens Hoffnung:
    "Es gibt Nischen."
    Eine dieser Nischen bilden für Becken Bücher aus und über Polen. Der Verleger wuchs in der DDR auf und bereiste von dort immer wieder das Nachbarland, lernte auch die Sprache. Aktuell steht ein Buch über Polen im Mittelpunkt der literarischen KLAK-Reihe "Leselust": "Krakowiak", der erste Roman aus der Feder von Ruth Fruchtman, einer in England aufgewachsenen Autorin deutscher Sprache mit jüdisch-mittelosteuropäischen Wurzeln. Becken traf sie zufällig auf der Lesung einer anderen Autorin.
    "Dann sagte die Organisatorin der Veranstaltung, dass Ruth Fruchtman auch ein Manuskript in der Schublade hat und schon seit langer Zeit einen Verlag sucht. Ich habe sofort verstanden, was das für ein Buch ist. Ich konnte mich in die Personen hineinversetzen und in die verschiedenen Konfliktsituationen. Und ich dachte, das ist ein sehr gutes Buch. Ruth Fruchtman ist ja auch als Essayistin bekannt, auch im Rundfunk. Und dann habe ich gedacht, diese Chance muss man ergreifen."
    Esther Blu, die Heldin des Romans "Krakowiak", ist eine alleinstehende Frau mit scharfem Beobachtungssinn, unklarem Beruf und wechselndem Lebensmittelpunkt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kam sie in Großbritannien zur Welt. In den 1980er-Jahren beginnt sie von Westberlin aus, in die Stadt K. zu reisen. K., das ist unverkennbar die alte polnische Königsstadt Krakau, mit dem Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz beinahe in der Nachbarschaft. In K. taucht Esther in die polnisch-jüdische Geschichte ein, während sie nach Spuren ihres Großvaters sucht. Dieser Großvater hatte vor dem Ersten Weltkrieg seinen ostgalizischen Heimatort gen Westeuropa verlassen und war dabei wohl auch durch K. gekommen.
    Was Esther zugleich bewegt: Die politische Wende von 1989 bringt in Polen auch ein neues Verhältnis zur Vergangenheit hervor. Das jüdische Viertel von K., lange Nachkriegsjahrzehnte ein kaum beachtetes Armenquartier der Stadt, wird auf einmal zur Attraktion. Festivals finden statt, jüdische Geistliche aus fernen Ländern wollen das religiöse Leben erneuern, so wie Abraham, der ein altes Gebetshaus wiederherstellt. Esther reagiert auf diesen Mann, der sich zu ihrem Gegenspieler entwickelt, von Beginn an mit Aversion:
    Der blasse junge Chassid aus New York – er musste aus New York sein – schwankte weiterhin auf den Absätzen vorwärts, rückwärts, hin und her, tat manchmal, leicht federnd, einen Schwung zur Seite, achtete nicht auf die Betenden hinter sich. Diese amerikanischen Juden regieren die Welt, die jüdische Welt, fügte Esther hastig hinzu, obwohl keiner ihre Gedanken lesen konnte, sie kommen hierher, ergießen sich. Warum denn nicht, musste sie widerwillig zugeben. Vermutlich stammten seine Vorfahren auch aus dieser Gegend. Trotzdem nicht auszuhalten, setzte sie ihr Selbstgespräch fort. Esther, du wirst eine ganz schöne Antisemitin, wenn du nicht aufpasst. Muss nicht jeden Juden lieben, nur weil ich selber einer bin – schmunzelnd.
    Esther sieht ihre Rolle in K., wie sie es ausdrückt, als Historikerin der Gefühle. Sie möchte Zugang zum Selbstverständnis ihrer Vorfahren finden. Mehr noch beschäftigten sie die Empfindungen, welche Faschismus, Holocaust und Kommunismus bei ihren polnischen, jüdischen oder deutschen Zeitgenossen auslösen. Eine herausragende Rolle im Romanort K. nehmen die Jaworzyńskis ein, Bildungsbürger mit nationalkatholischer Tradition. Sie nehmen die Reisende bei sich auf und öffnen ihr die Tür zu Polen. Die antipolnischen Reflexe, die sie aus ihrer jüdischen Familie und von vielen Deutschen kennt, sind Esthers Sache nicht. Sie will die Polen verstehen, ihre kollektive Seele durchdringen. Zwar befremdet sie etwa die nationalkatholische Mystik am polnischen Nationalfeiertag des 3. Mai. Zugleich fühlt sie sich aber so ins Geschehen gezogen, dass sie sich unversehens vom Bischof eine Oblate auf die Zunge legen lässt.
    Der Trompetenschall läutet diesmal weiß gekleidete, Weihrauch spendende Jugendliche herein; nach ihnen kommt die Entourage, die Bischöfe in ihren purpurnen Gewändern. Esther atmet den Weihrauch ein, er steigt ihr in den Kopf, in die Sinne. Idiotisch, diese Pracht, dieser Pomp, ganz oberflächlich nur, redet sie sich ein, nichts als Theatralik. All das, was man immer am Katholizismus gerügt hatte. Aber sie liebt das Theater, noch dazu die Musik. Sie liebt dieses Sinnliche, etwas ganz anderes als im Judentum. Kein Wunder, so viele hatten sich bekehrt, besonders im Mittelalter, als der Druck gewaltsam wurde. Hätte sie, die Tochter von Joschua Blu, Enkelin von Isaak Blaublat, das damals auch getan, und wäre in eines der Häuser eingezogen, in die Straße, die zwischen den Juden- und Christenstraßen den przechrzcy, den Konvertiten, Getauften überlassen wurde?
    Im Laufe der Zeit werden Esthers K.-Aufenthalte länger, ihre Sprachkenntnisse besser. Sie begibt sich auf Wohnungssuche und dringt tiefer in die polnische Zwischenkriegsgeschichte vor, bis hin zu den damaligen Antipathien der Nationaldemokraten um Roman Dmowski gegen die nationalen Minderheiten, besonders gegen die Juden. Diese Mentalität, die auch heute noch Schatten wirft, erzeugt bei Esther jedoch keine Berührungsängste; sie steigert nur ihre Neugier auf die Polen.
    Deutsche haben im emotionalen Geschichtskosmos Esthers einen weniger günstigen Status. Wenigstens sieht es Klaus Müller-Weidt so, der den Roman seinerseits als Polenreisender durchgeistert. Klaus hat seine ersten Lebensjahre als Sohn eines Wehrmachtsoffiziers in K. verbracht. Nun ist er ein erfolgreicher westdeutscher Geschäftsmann und kehrt in Gutmenschenpose zurück, will mit seinem Geld helfen, den alten, stark zerstörten Familiensitz, das Schloss der Jaworzyńskis in ein Kulturzentrum zu verwandeln. Als die Gäste und der Gewinn aus dem Unternehmen ausbleiben, reißt er sich die Immobilie kurzerhand unter den Nagel. Esther erträgt die Auftritte von Klaus nur schwer.
    "Damals war ich ein Kind, ein Kleinkind. Kein Mörder. Ich muss sagen, manchmal fühle ich mich von dir ungerecht behandelt. Natürlich will ich nicht übertreiben, du meinst es wahrscheinlich gar nicht so", fügt er hastig hinzu, "aber -˝
    "Aber du erlebst es so?"
    Ein peinliches Lächeln. Esther fühlt sich in die Ecke gedrängt. Auch ich bin ein Opfer, sagen die Gesten, das Mienenspiel von Klaus Müller-Weidt, die auf einmal leicht gebeugten Schultern, seine Blicke, höhnisch-traurig. Er ist vor allem ihr Opfer, das Opfer von Esther Blaublat-Blu, einem jüdischen Teufelsweib.
    Ruth Fruchtman erweist sich als genaue und eigenwillige Beobachterin. Es ist lesenswert, wie sie ihre Heldin Esther durch Geschichte und Gegenwart der Stadt K. wandern lässt – wissbegierig und im Widerspruch zu vielen üblicherweise formulierten Ansichten oder herrschenden Korrektheiten im Verhältnis zwischen Juden, Polen und Deutschen.
    Über Ruth Fruchtmans gelungenes Roman-Debüt hinaus: Das Programm des KLAK-Verlags ist weit gefächert. Dort findet sich auch "Felix' Revolution", der weitgehend authentische Lebens- und Überlebensbericht eines sauerländischen Fabrikantensohns, welcher im Umfeld des deutschen Herbstes grundlos auf die Fahndungsliste der RAF geriet – oder die skurrilen Alltagsbetrachtungen des ungefähr in dieser Zeit aus der DDR geflohenen Wahlberliners Salli Sallmann.
    Im kommenden Winter präsentiert KLAK unter anderem einen polnischen Autor mit seinen Erkundungen in Stettin. In seinem Reportageband erzählt Andrzej Kraśnicki jr. vom Untergrund und allen möglichen geheimnisvollen Orten in der früher deutschen Stadt. Wird sich der kleine KLAK-Verlag über Wasser halten? Jörg Becken gibt sich als abgeklärter Glücksspieler:
    "Jeder hofft auf den Zufallstreffer, der ihm eines schönen Tages über den Weg läuft. Man hat natürlich auch einen Riecher und hofft, dass die Dinge dann auch an den Mann kommen oder man denkt, dass bestimmte Themen eine breite Öffentlichkeit interessieren könnten. Und so macht man sich an die Arbeit, so gut man kann."