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Klimaforscher: Weltweite Emissionen bis zum Jahr 2050 halbieren

Angesichts der am Montag in Montreal stattfindenden Weltklimakonferenz hat der Klimafolgenforscher Stefan Rahmstorf gefordert, die CO2-Reduzierungen voranzutreiben. Die im Kyoto-Protokoll von 1997 festgelegten Minderungen reichten nicht aus. Bis zum Jahr 2050 müssten die weltweiten Emissionen halbiert werden.

Moderation: Michael Köhler | 27.11.2005
    Köhler: Morgen beginnt in Montreal die Weltklimakonferenz nach In-Kraft-Treten des Kyoto-Protokolls von 1997. Und nach "Wilma", "Katrina" und "Rita", nach den amerikanischen Hurrikans, nach deutscher Elbe-Flut, Hochwasser, Erdrutsch, Waldbrände, Hitze, Flutwellen, die sich in den letzten Jahren häufen, muss man auch der Letzte wohl eingestehen: Der Klimawandel ist inzwischen handgreiflich geworden, er ist vor unserer Türe. Die Erderwärmung ist objektiv; sie hat Folgen. Deswegen habe ich den Potsdamer Klimafolgenforscher Professor Stefan Rahmstorf, Spezialist für die Physik der Ozeane, einmal gefragt: Über die Ursachen ist man sich doch inzwischen einig, das ist unstrittig; aber nicht einig ist man über die Lösung, nicht wahr?

    Rahmstorf: Das ist in der Tat in der Wissenschaft seit Jahren unumstritten. Und es ist ja auch in zahlreichen Bereichen, zum Beispiel des Intergovernmental Panel on Climate Change oder der Weltmeteorologischen Organisation und vielen anderen, festgehalten worden. Der Mensch erwärmt das Klima durch seinen Ausstoß von Treibhausgasen, vor allem Kohlendioxid, das bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen entsteht und teilweise auch bei der Entwaldung freigesetzt wird.

    Köhler: Also Abgase?

    Rahmstorf: Genau, es handelt sich um Abgase, durch die wir die Konzentration von Kohlendioxid inzwischen weit über das hinaus erhöht haben, was jemals in den letzten, knapp eine Million Jahren auf der Erde geherrscht hat.

    Köhler: Warum ist das in den letzten, ja, fünf, sechs, sieben Jahren so extrem angestiegen? Ich meine, vorher haben wir doch auch ordentlich verbrannt, mal sozusagen.

    Rahmstorf: Ja, dieser Erwärmungstrend hält auch bereits seit 100 Jahren an. Und bereits seit 30 Jahren läuft es etwa konstant mit 0,17 Grad pro Jahrzehnt, dass die globale Mitteltemperatur bergauf geht.

    Köhler: Ist unsere Lebensweise daran schuld? Ist diese moderne Welt daran schuld, in der die Lebenserwartung gestiegen ist, in der jeder ein bis zwei Autos hat, et cetera? Ist das also ein rein quantitatives Problem?

    Rahmstorf: Es ist einerseits ein quantitatives Problem. Wir verbrauchen einfach zu viel - und das übrigens überwiegend in den Industrieländern, die zu 80 Prozent für das Problem verantwortlich sind, obwohl ja andere Länder auch größere Bevölkerungen haben. Das Problem ist eher der verschwenderische Lebensstil und die Technologie, die wir dafür verwenden: Nämlich dass unser Wohlstand auf der Verbrennung fossiler Brennstoffe beruht. Und da müssen wir dringend eine technologische Wende einleiten, die zu einer, was man "Dekarbonisierung des Energiesystems" nennt, führt. Also, weg vom Kohlenstoff und damit den CO2-Emissionen, hin zu erneuerbaren, sauberen Energiequellen.

    Köhler: Bevor wir über dieses Thema - man nennt es allgemein "Energiewende" - sprechen, lassen Sie uns noch eine Sekunde bei dem Problem bleiben. Erklären Sie doch mal, wie das funktioniert, dass in den letzten Jahren, Stichwort: Elbe-Flut vor drei Jahren, Stichwort: Trockenheiten und Brände im Mittelmeerraum, Stichwort: Niederschlagsrekord im Alpenraum, dass sich das so häuft.

    Rahmstorf: Ja, die globale Erwärmung hat nun verschiedene Auswirkungen und gerade auch Auswirkungen auf Extremereignisse. Was Überflutungen angeht, ist es so, dass warme Luft einfach mehr Wasser enthalten kann. Für jedes Grad wärmer etwa sieben Prozent mehr Wasser, so dass bei bestimmten Wetterlagen, die zu solchen Extremniederschlägen führen, bei einem wärmeren Klima eben noch mehr Niederschlag drin ist, noch mehr Wasser, ...

    Köhler: Also da ist jetzt einfach mehr Wasser im Himmel, um es mal ganz kindisch naiv zu sagen?

    Rahmstorf: Richtig, da ist mehr Wasser im Himmel. Und wenn sich das abregnet bei einer bestimmten Wettersituation, treten Extreme auf wie in diesem Sommer, wo der Schweizer Wetterdienst von einem "Jahrhundertereignis" sprach bei diesen Niederschlägen im Alpenraum, wo an vielen Stationen die bisherigen Rekorde gebrochen wurden. Und wir hatten ja Ähnliches in Deutschland mit der Elbe-Flut 2002, wo auch der deutsche Niederschlagsrekord für die Niederschlagssumme in 24 Stunden gebrochen worden ist.

    Köhler: Nun ist es ja nicht so, dass das von heute auf morgen aufhört, wenn wir alle anders heizen und weniger Auto fahren, sondern das Problem muss ja weltweit angegangen werden. Politik und Parlamente sind ja nicht taub für dieses Problem. Was haben die Klimaschutzgipfel, Stichwort: Kyoto '97, gebracht? Und sind das Alleingänge? Gibt es einen Schulterschluss? Wie wird da weltweit reagiert?

    Rahmstorf: In der Tat haben die Politiker zwar im Prinzip das Problem erkannt, aber ich glaube, noch nicht wirklich die Dringlichkeit dieses Problems. Es gibt ein weltweites Klimaschutzabkommen und es gibt das Kyoto-Protokoll, was die Industriestaaten zu Emissionsminderungen verpflichtet. Aber leider muss man sagen, dass erstens natürlich die Minderungen, die im Kyoto-Protokoll drin stehen, noch viel zu schwach sind - die waren ein Kompromiss in den Verhandlungen und reichen auf jeden Fall nicht aus. Und zweitens werden nicht mal diese Verpflichtungen eingehalten und einige Staaten - oder genau genommen zwei der Industriestaaten, USA und Australien - haben das Kyoto-Protokoll auch gar nicht ratifiziert und machen gar nicht mit bei den internationalen Bemühungen zum Klimaschutz.

    Köhler: Weil sich die Nationen sagen: Wachstum geht vor Umweltschutz?

    Rahmstorf: Die drei pro Kopf am meisten emittierenden Staaten sind eben USA, Australien und Kanada und deswegen wollen sie nicht die Verantwortung übernehmen, weil sie gewissermaßen die schlimmsten Sünder sind.

    Köhler: Was ist nötig zu tun, Herr Rahmstorf? Die Energiewende - haben wir eben angesprochen - ist sicherlich das eine. Aber das funktioniert ja nur im politischen Einklang?

    Rahmstorf: Das ist in der Tat ein globales Problem und muss auch auf der internationalen Ebene durch verbindliche Abkommen gelöst werden - und darum geht es ja jetzt bei dem Gipfel in Montreal, nämlich um die Fortschreibung des Kyoto-Protokolls über das Ende seiner Ende ersten Phase 2012 hinaus. Die Frage, die sich in Montreal stellt, ist: Wie geht es dann weiter und wie kann man die Emissionsreduktion verstärken und wie kann man zum Beispiel auch Sanktionsmöglichkeiten einbauen, damit auch alle Staaten ihre Verpflichtung einhalten?

    Köhler: Es gibt ja so was wie ein Klimaschutzziel der EU, also ein gemeinsames politisches Ziel. Wie ist das in Einklang zu bringen mit dem Kyoto-Protokoll? Oder anders gefragt: Gibt es da Unterschiede?

    Rahmstorf: Im Grunde genommen nicht. Das Klimaschutzziel der EU besteht darin, dass man die globale Erwärmung auf 2 Grad über das vorindustrielle Temperaturniveau hinaus begrenzen will. Wenn wir keine Klimaschutzmaßnahmen ergreifen, könnte die Erwärmung bis zum Jahr 2100 auch 3, 4, 5 oder gar 6 Grad betragen und die EU will das - wie gesagt - das auf 2 Grad begrenzen. Das ist ein Langzeitziel, das durchaus im Einklang steht mit der Klimarahmenkonvention. Und das Kyoto-Protokoll, was jetzt bis 2012 erst mal existiert, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Um aber dieses EU-Klimaschutzziel noch zu erreichen, müssen wir da wesentlich darüber hinausgehen, nämlich die weltweiten Emissionen bis zum Jahr 2050 etwa halbieren.

    Köhler: Was vermuten Sie denn: Wenn die wachsende Volkswirtschaft China noch hinzukommt, wird das auch nicht gerade besser, oder?

    Rahmstorf: Viele Leute zeigen jetzt auf China und es ist natürlich vollkommen berechtigt, sich über China Gedanken zu machen. Allerdings haben die pro Kopf nach wie vor viel niedrigere Emissionen als wir. Deswegen ist es schlecht, auf China zu zeigen. Und zweitens ist auch die chinesische Führung wesentlich aufgeschlossener für dieses Problem als zum Beispiel die Vereinigten Staaten. Die chinesische Führung hat sich ehrgeizige Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energien gesetzt und gerade vor zwei Wochen auch die große Konferenz zu erneuerbaren Energien in Nachfolge zu der ersten in Bonn, im letzten Jahr, in Peking abgehalten, unter Beteiligung der höchsten Regierungsebene.

    Köhler: Wenn vor Ihnen, sagen wir mal, die europäischen Umweltminister säßen und die Gehör fänden bei ihren Regierungschefs, was würden Sie sich von denen wünschen oder was würden Sie denen raten?

    Rahmstorf: Zunächst mal brauchen wir in der Tat eine Fortschreibung des Kyoto-Protokolls mit stärkeren Zielen und ...

    Köhler: Mit Zielen? Oder auch Sanktionen? Das geht wohl kaum, nicht?

    Rahmstorf: Mit Zielen und auch Sanktionen. Wir brauchen ein Emissionshandelsystem, was die EU ja intern schon eingeführt hat seit Beginn dieses Jahres. Das funktioniert ganz einfach so: Man legt fest, wie viel Kohlendioxid darf emittiert werden und dann wird dieser Kuchen verteilt, und wer mehr braucht, als er zugeteilt bekommen hat, muss es zukaufen, und wer weniger Emissionsrechte braucht, als er bekommen hat, kann sie verkaufen. In dem Moment kann ich also, wenn ich eine Idee habe, wie ich CO2-Emissionen einsparen kann, damit Geld verdienen, weil ich dann meine Emissionsrechte an jemand anders verkaufen kann.

    CO2-Emissionen haben dann einen Wert und werden an der Börse gehandelt - das ist jetzt schon der Fall: Man kann an der Londoner Energiebörse auf die Internetseite gehen und gucken, was gerade ein CO2-Emissionsrecht kostet - das ist etwa so um 20 Euro pro Tonne. Und das führt dazu, dass ich erst mal die Gesamtmenge festlegen kann, wie viel emittiert wird. Da wird das Umweltschutzziel auf diese Weise praktisch garantiert. Und dann garantiert der Handel, dass es auf die preisgünstigste mögliche Weise realisiert wird.

    Das heißt, wir schreiben nicht vor, wie das gemacht werden muss, mit welcher Technologie zum Beispiel, sondern wo es eben am billigsten Reduktionsmöglichkeiten gibt, werden die realisiert, weil man damit dann Geld machen kann.

    Köhler: Kann man nicht auch umgekehrt, sagen wir mal, technische Innovationen prämieren?

    Rahmstorf: Das muss man auch flankierend tun, weil es gibt natürlich Technologien, die heute noch nicht wirtschaftlich sind, die aber die Zukunftstechnologien sind. Und ...

    Köhler: An welche denken Sie da?

    Rahmstorf: Also die Windtechnologie ist noch in dieser Kategorie, obwohl sie gerade jetzt im Übergang ist dazu, schon wirtschaftlich zu sein, so dass die Förderung da allmählich in den nächsten Jahren runtergefahren werden kann. Die nächste Technologie, die noch relativ weit entfernt von der Wirtschaftlichkeit ist, ist die Photovoltaik zum Beispiel.

    Köhler: Das ist was, was auch die privaten Haushalte betreffen könnte, wenn es um Eigenheimbau geht etwa? Oder ist das noch zu teuer?

    Rahmstorf: Also Photovoltaik wäre im Moment nicht wirtschaftlich, aber es wird ja von der Bundesregierung gefördert. Es gibt die Einspeisevergütungen und das ist der Grund, warum viele Leute sich Photovoltaik auf den Dächern montieren. Was aber schon durchaus wirtschaftlich ist, ist thermische Solarenergie. Also einfach, indem man sein Warmwasser und einen Teil der Heizung mit einem Sonnenkollektor auf dem Dach unterstützt - das habe ich auch auf meinem Haus.

    Köhler: Die Minderungen von Kyoto, sie reichen nicht aus, sagt der Potsdamer Klimafolgenforscher Stefan Rahmstorf, die globale Erwärmung muss gesenkt, gestoppt werden. Und so verrückt es ist, man muss ja nur aus dem Fenster schauen, um den Zusammenhang von Erwärmung und großen Niederschlägen zu erleben.