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Klimaschutz
"Deutschland hat seine Führungsrolle aufgegeben"

Deutschland habe einen Deckel für den Ausbau der erneuerbaren Energien erlassen, kritisiert der Grünen-Politiker Anton Hofreiter. Dadurch seien Arbeitsplätze aus Deutschland weggewandert. Wenn man diese erhalten wolle, müsse man auf modernste Technologie setzen, sagte Hofreiter im Dlf.

Anton Hofreiter im Gespräch mit Mario Dobovisek | 06.11.2017
    Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender Buendnis 90/Die Gruenen, aufgenommen im Bundestag, 23.10.2017, Berlin.
    "Wir haben keinen Kohleausstieg", sagte der Fraktionsvorsitzende der Grünen Anton Hofreiter im Dlf (imago stock&people)
    eigenen Klimazielen wurde es ruhig um ihre Klimapläne. Inzwischen heißt es gar, die Ziele könnten nicht mehr erreicht werden. Heute beginnt in Bonn die Weltklimakonferenz. Entscheidender Faktor bei den Verhandlungen ist China. Zwar ist klimaschädliche Kohle immer noch der mit Abstand wichtigste Energieträger des Landes, aber die chinesische Staatsführung kommt beim Ausbau der erneuerbaren Energien voran. China erreicht die Klimaschutzziele schneller als gedacht.
    Am Telefon begrüße ich Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag. Guten Morgen, Herr Hofreiter.
    Anton Hofreiter: Guten Morgen.
    "Wir haben keinen Kohleausstieg"
    Dobovisek: Wir haben gerade gehört, wie erfolgreich China in Sachen Klimaschutz inzwischen geworden ist, trotz der Kohle. Deutschland dagegen wird die selbstgesteckten Ziele wohl verfehlen. Was macht China besser als Deutschland?
    Hofreiter: Na ja. Was in Deutschland falsch gemacht worden ist über die ganzen letzten Jahre: Man hat sich im Kern auf die Erfolge der rot-grünen Bundesregierung ausgeruht. Man hat sich darauf ausgeruht, auf ein Erneuerbare-Energien-Gesetz, hat das nicht besser gemacht, sondern eher etwas schlechter, …
    Dobovisek: Aber was macht China besser?
    Hofreiter: Was China besser macht? - Es hat zum Beispiel keinen Deckel für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Deutschland hat in der letzten Legislaturperiode einen Deckel für den Ausbau der erneuerbaren Energien erlassen. Die Kohleverstromung in Deutschland läuft munter weiter. Wir haben keinen Kohleausstieg. Die Folge davon ist, dass Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien aus Deutschland weggewandert sind, der CO2-Ausstoß in Deutschland hoch ist und wir mit den großen Braunkohlekraftwerken inzwischen die größten CO2-Quellen Europas in Deutschland haben.
    "Die hohen Kosten stammen aus der Vergangenheit"
    Dobovisek: Der Deckel für den Ausbau der erneuerbaren Energien kommt ja nicht von Ungefähr. Der hat mit den enorm gestiegenen Kosten zu tun, die auf alle Stromabnehmer, Stromverbraucher umgelegt werden müssen. Wie wollen Sie das in den Griff bekommen, wenn nicht durch einen Deckel?
    Hofreiter: Der Deckel hat nichts mit den Kosten zu tun. Nämlich die Kosten entstehen durch die Anlagen aus der Vergangenheit. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz funktioniert so, dass Sie 20 Jahre einen garantierten Einspeisepreis bekommen. Insbesondere in den Jahren 2006, 2007, 2008 sind sehr viele Photovoltaik-Anlagen zu einem relativ hohen Preis an das Netz gegangen, weil die damalige Große Koalition zu langsam reagiert hat. Dadurch entstehen die hohen Kosten.
    Wenn Sie jetzt eine Erneuerbare-Energien-Anlage bauen, zum Beispiel eine Windkraftanlage, dann bekommen die Betreiber 4,6 Cent, 4,8 Cent die Kilowattstunde. Jetzt neu gebaute Erneuerbare-Energien-Anlagen sind extrem kostengünstig. In Großbritannien wird gerade ein Atomkraftwerk neu gebaut, da wird von mindestens elf Cent die Kilowattstunde ausgegangen. Das heißt, die hohen Kosten stammen aus der Vergangenheit, als Deutschland die wirklich bewundernswerte Aufgabe auf sich genommen hat, die erneuerbaren Energien fortzuentwickeln und günstig zu machen. Jetzt, wo sie günstig sind, hat man den Deckel erlassen. Das macht jetzt überhaupt keinen Sinn, nämlich anstatt die Früchte der Arbeit der Vergangenheit zu ernten, hat man jetzt die Arbeitsplätze aus Deutschland vertrieben und verfehlt noch die Klimaschutzziele.
    "Wir müssen uns um die 15.000 Arbeitsplätze kümmern"
    Dobovisek: Hat damit Deutschland seine Führungsrolle im Klimaschutz verwirkt?
    Hofreiter: Deutschland hat damit leider seine Führungsrolle aufgegeben. Es hat seine Führungsrolle bei der Innovation teilweise verwirkt und es sind deshalb in der Vergangenheit bereits viele Arbeitsplätze verloren gegangen. Wir hatten mal 400.000 Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien. Die letzten Jahre sind dort 70.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Im Bereich der Kohle haben wir noch, wenn man großzügig rechnet, 15.000 Arbeitsplätze. Ich will die 15.000 Arbeitsplätze in der Kohle nicht klein reden, aber allein in den erneuerbaren Energien sind 70.000 verloren gegangen. Wir müssen uns um die 15.000 Arbeitsplätze kümmern. Wir brauchen da in unseren Augen einen Fonds für die betroffenen Regionen, insbesondere in Ostdeutschland. Aber das heißt ja nicht, dass es deshalb sinnvoll ist, jetzt, wo die erneuerbaren Energien so günstig geworden sind, die Führungsrolle aufzugeben und sowohl Klimaschutz als auch Arbeitsplätze in dem Bereich aufzugeben.
    Dobovisek: Sie sprechen viel, Herr Hofreiter, über Arbeitsplätze. Das hat der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff gestern bei uns im "Interview der Woche" auch gemacht. Er kritisiert die selbstgesteckten Klimaziele der Bundesregierung. Sie seien schädlich für die Wirtschaft. Hören wir da mal kurz rein:
    Alexander Graf Lambsdorff: "Die Ziele von 2020 kann niemand erreichen, ohne dass wir derartig massiv Betriebe in Deutschland stilllegen, und zwar nicht nur Energie erzeugende Betriebe, sondern auch Industriebetriebe, dass das einem industriellen Selbstmord gleich käme."
    Das komplette "Interview der Woche" mit Alexander Graf Lambsdorff können Sie hier nachhören und -lesen.
    "Weiß nicht, ob in der Industrie die Ängste wirklich da sind"
    Dobovisek: Industrieller Selbstmord. - Wollen die Grünen der Industrie schaden?
    Hofreiter: Es sind im Grunde die ganz alten Kamellen - keine Ahnung, ob aus den 80er-Jahren. Da, muss man leider sagen, ist China weiter als Herr Lambsdorff, nämlich es ist natürlich so, dass Sie eine Industrie nur dann retten, wenn Sie auf modernste Technologie setzen. Und der Glaube, Industrie ist nur alte Kohlekraft, und der Bau von modernen Windkraftanlagen, von modernster Fotovoltaik, von modernen Energieversorgungssystemen, die mit den schwankenden erneuerbaren Energien klar kommen, von Speichern, von in dem Zusammenhang, was immer Sektorkoppelung genannt wird, das heißt, dass man die erneuerbaren Energien dann auch zum Heizen unserer Häuser einsetzt, dass man die erneuerbaren Energien auch für die Mobilität einsetzt - es gibt ja Bereiche, wo das schon lang passiert, bei der elektrifizierten Eisenbahn…
    Dobovisek: Und dennoch, Herr Hofreiter, sind die Ängste da in der Industrie. Man sorgt sich da um die Wettbewerbsfähigkeit, auch darum, dass Energie bezahlbar bleiben müsse. Wie wollen Sie der Industrie denn diese Ängste nehmen, wenn das für Sie so klar ist?
    Hofreiter: Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, ob in der Industrie die Ängste wirklich da sind. Das wird gerne behauptet. Ich habe vor ein paar Tagen ein Papier von Siemens gelesen und ich würde sagen, Siemens ist einer unserer wichtigsten Hersteller von Industrie. Da fordert Siemens einen sehr schnellen Kohleausstieg. Ich würde mal sagen, man sollte da nicht immer irgendwelche Verbände-Äußerungen zurate ziehen, sondern die Industriebetriebe selbst fragen. Wenn Sie mit Teilen mindestens der Autoindustrie sprechen, insbesondere mit den Forschungsabteilungen, dann ist denen voll und ganz bewusst, dass sie auf modernste Technologie setzen.
    "Man muss auf modernste Technologie setzen"
    Dobovisek: Aber gerade in der Autoindustrie gibt es Ängste auch davor, dass bei einer Umstellung weg vom Verbrennungsmotor, hin zur Elektromobilität, deutlich weniger Arbeitsplätze vorhanden sein würden, um zum Beispiel Elektromotoren zusammenzubauen.
    Hofreiter: Ja, Sie brauchen weniger Arbeitsplätze, um einen Elektromotor zusammenzubauen. Dafür brauchen Sie mehr Arbeitsplätze für die Batterie und für die ganze Leistungselektronik und all diese Dinge. Aber wie viele Arbeitsplätze sind noch vorhanden, wenn die Autoindustrie in Deutschland mehr oder weniger zusammenbricht, weil die modernste Technik aus den USA kommt, aus China kommt und aus Japan kommt.
    Es ist ja nicht die Frage, wenn Deutschland nicht auf die moderne Technologie verzichtet, dass dann die ganze Welt auf die moderne Technologie verzichtet. Glauben Sie denn, oder glaubt denn irgendjemand ernsthaft, dass dann China sagen wird, die gerade Milliarden in Elektromobilität setzen, ach ja, stimmt, Deutschland setzt weiter auf die alte Technologie, ich glaube, wir setzen auch weiter auf die alte Technologie. - Ich halte, ehrlich gesagt, diese Überlegungen für krass naiv! Wenn man Arbeitsplätze erhalten will, dann muss man auf modernste Technologie setzen, so wie es nahezu die ganze Welt tut.
    "Verhandeln, ob Klimaschutzziele der Großen Koalition gelten"
    Dobovisek: Ist denn ein fixes Enddatum, Herr Hofreiter, für den Verbrennungsmotor, wie die Grünen es wollen, eine Bedingung für die Jamaika-Koalition? Denn die FDP lehnt das kategorisch ab.
    Hofreiter: Wir sind ja nicht die einzigen, die ein fixes Enddatum fordern beziehungsweise schon beschlossen haben. Wenn Sie sich das weltweit anschauen, was in Frankreich beschlossen worden ist, …
    Dobovisek: Wir blicken ja jetzt nicht in die Welt; wir blicken erst mal nach Deutschland und an den Verhandlungstisch der Jamaika-Koalition. Noch mal die Frage: Ist das für Sie eine Bedingung für die Koalition?
    Hofreiter: Wir halten es für sehr bedeutsam. Aber ich führe nie Verhandlungen über die Öffentlichkeit und deshalb kann ich nur sagen, weltweit ist das etwas, was überall beschlossen wird, und deswegen wäre es auch für Deutschland klug, wenn man dafür sorgt, dass bei der Autoindustrie da was vorangeht, nämlich sonst gehen Unmengen Arbeitsplätze verloren, wenn man da nicht auf moderne Technologie setzt. Und seien Sie mir nicht böse: Was wir dann am Ende aushandeln - wenn es gelingt und wenn nicht die andere Seite weiter völlig auf Stur schaltet, nämlich diese Klimaschutzziele. Ich meine, das sind die Klimaschutzziele der Großen Koalition …
    Dobovisek: Wird es denn gelingen bis Weihnachten?
    Hofreiter: Das weiß ich nicht, ob es gelingen wird. Aber bleiben wir beim Klimaschutz. Ich meine, das sind ja nicht einmal die grünen Klimaschutzziele. Wenn es nach uns Grünen ging, bräuchten wir deutlich mehr Klimaschutz noch. Nein, wir verhandeln jetzt darum, ob die Klimaschutzziele, die die Große Koalition und die Schwarz-Gelb beschlossen hat, ob die gelten, und dafür müssen wir Grüne verhandeln. Das kommt mir zum Teil schon seltsam vor.
    Dobovisek: Anton Hofreiter ist geschäftsführender Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Hofreiter: Ich danke Ihnen!