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Koalitionsvertrag
Staatsleistungen an Kirchen nicht thematisiert

Während Religionsgemeinschaften in Deutschland Aussagen im Koalitionsvertrag zur Islam-Konferenz oder zum Flüchtlingsschutz überwiegend begrüßen, vermissen sie die Thematisierung der millionenschweren Staatsleistungen an die Kirchen. Die Frage nach einer Ablöse bleibt weiterhin offen.

Von Matthias Bertsch |
    "Wir werden den Dialog mit den christlichen Kirchen, Religionsgemeinschaften und religiösen Vereinigungen sowie den freien Weltanschauungsgemeinschaften intensiv pflegen. Sie bereichern das gesellschaftliche Leben und vermitteln Werte, die zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft beitragen."
    Mit diesen Worten beginnt im Koalitionsvertrag das Kapitel über die Kirchen und Religionsgemeinschaften. Im Anschluss geht der Text zunächst auf die zentrale Rolle der christlichen Kirchen und Wohlfahrtsverbände im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich ein. Doch auch die anderen monotheistischen Religionen werden dezidiert erwähnt, betont die Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion, Kerstin Griese:
    "Es ist ja zum ersten Mal so, dass in einem Koalitionsvertrag ausdrücklich begrüßt wird, dass wir das Erstarken der jüdischen Gemeinden in unserem Land feststellen, das finde ich sehr positiv, dass das ausdrücklich drinsteht. Und es steht auch ausdrücklich drin, dass wir die vielfältigen Beträge muslimischer Vereine und Verbände zu unserem Gemeinwesen, dass wir die sehr wertschätzen und diese unterstützen, und auch in diesem Sinne die Deutsche Islam-Konferenz fortsetzen wollen."
    Auch der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, freut sich, dass die Muslime im Koalitionsvertrag als wichtiger Teil der Gesellschaft angesehen werden, und doch hätte er sich eine andere Formulierung gewünscht:
    "Wir nennen uns nicht muslimische Verbände, weil wir es de facto nicht sind. Der Tatbestand der Religionsgemeinschaft ist ja offenkundig. Die Politik scheut sich vor dem Wort, weil sie die Konsequenzen ein Stück weit fürchtet. Religionsgemeinschaft, das heißt durchaus auch, dass dort von der Verfassung her Rechtsansprüche zu formulieren sind und anderes mehr, und da haben wir durchaus sehr interessante Gespräche in den Ländern, in verschiedenen Ländern in Deutschland, die auf diesen Weg hinweisen, und wo es in der Tat darum geht, am Ende diesen Status auch festzustellen."
    Nächste Islamkonferenz soll stärkeren Fokus auf Integration legen
    Und auch der im Koalitionsvertrag angekündigten Fortsetzung der Islam-Konferenz steht er mit gemischten Gefühlen gegenüber:
    "Zwiegespalten deswegen, weil die Islam-Konferenz 2, also die letzte jetzt, einen sehr starken sicherheitspolitischen Schwerpunkt hatte, und das hat der Islam-Konferenz nicht gut getan, auch dem Innenministerium selber. Ich hab die Hoffnung durchaus, dass das im Ministerium so registriert worden ist und dass wir jetzt in der neuen Tranche, wenn ich das mal so bezeichnen darf, Themen mit den Muslimen zusammen abstimmen, das heißt also, das Agenda-Setting nicht allein vom Ministerium ausgeht, sondern mit den Betroffenen gestaltet wird.
    Da hätte ich mir auch gewünscht, dass man etwas deutlicher sagt, dass sich die Deutsche Islam-Konferenz weniger mit Fragen der Gefahren des Islam und der Sicherheitsprobleme beschäftigt, sondern stärker ihren Fokus auf Integration, auf gelingendes muslimisches Leben in Deutschland richtet und dort eben auch die positiven Aspekte in den Mittelpunkt stellt."
    Letztlich, so Mazyek und Griese, liefen die Debatten in Deutschland aber auf eine Anerkennung des Islams als gleichberechtigte Religionsgemeinschaft hinaus. Schließlich ende das Kapitel über die Kirchen und Religionsgemeinschaften mit der Aussage, dass die geeignete Grundlage für die Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften das Staatskirchenrecht sei.
    Doch der Passus über Kirchen und Religionsgemeinschaften ist keineswegs der einzige im Koalitionsvertrag, in dem sich Themen finden, die den Religionsgemeinschaften wichtig sind. Auch der Schutz von Flüchtlingen sei eine genuine Angelegenheit der Kirche, betont der Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik und der EU, Martin Dutzmann:
    Evangelische Kirche unzufrieden mit einigen Aussagen zur Flüchtlingspolitik
    "Es gibt Dinge, die wir sehr begrüßen, gerade im Bereich Flüchtlingsschutz. Es ist in Aussicht gestellt: eine Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete, eine gesetzliche Regelung ohne Stichtag und ohne Altersbegrenzung, die Asylanträge sollen insgesamt schneller bearbeitet werden, was für betroffene Menschen unumgänglich ist, weil die Asylverfahren, wenn die jahrelang dauern, belasten die natürlich die Menschen enorm. Flüchtlinge sollen frühzeitig Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen und zu Sprachkursen, also an diesen Stellen gibt es eine ganze Menge Bewegung."
    Allerdings gibt im Koalitionsvertrag auch Aussagen zur Flüchtlingspolitik, die deutlich hinter den Erwartungen der evangelischen Kirche zurückbleiben.
    "Hier sind drei Staaten, nämlich Mazedonien, Bosnien und Serbien zu sicheren Drittstaaten erklärt, wo man Flüchtlinge zurückbringen kann, hier sind wir anderer Meinung als die Koalitionsparteien, wir sind nämlich der Meinung, dass dort Menschen in einer Weise unter Druck gesetzt werden, dass es gute Gründe gibt, hier Asyl zu beantragen und zu gewähren."
    Koalitionsvertrag spart Staatsleistungen an Kirchen aus
    Ein Thema allerdings, das in der Öffentlichkeit zuletzt für heftige Debatten gesorgt hat, spart der Koalitionsvertrag aus: die sogenannten Staatsleistungen, in deren Rahmen Bund, Länder und Kommunen jährlich rund 480 Millionen Euro an die beiden christlichen Kirchen zahlen. Martin Dutzmann:
    "Es handelt sich bei den Staatsleistungen ja um Schadenersatzleistungen für eingezogenes Kirchengut Anfang des 19. Jahrhunderts, das mag man unterschiedlich beurteilen, wir sind der Meinung, dass wir auf diese Leistungen nicht verzichten dürfen, allerdings sieht das Grundgesetz eine Ablösung dieser Leistungen durch eine Einmalzahlung vor, die aber dann auskömmlich sein muss."
    Auskömmlich aber hieße, nach Ansicht von Juristen, das zwanzigfache der derzeit jährlich bezogenen Summe. Das wären immerhin knapp zehn Milliarden Euro, gibt SPD-Politikerin Kerstin Griese zu Bedenken:
    "Jeder, der denkt, das sei mit einem Federstrich getan, irrt sich, denn wir haben eine Schuldenbremse im Grundgesetz, die Länder haben das auch, und alle wissen, dass sehr hohe Summen dann schwerer zu bezahlen sind als jährliche Leistungen. Und deshalb gibt es darüber durchaus eine Debatte, auch in einigen Bundesländern, die aber immer damit geendet ist, dass man mit dem momentanen System sehr zufrieden ist.
    Es wird ja auch im Koalitionsvertrag ausdrücklich gewürdigt, welche Arbeit die Kirchen mit dem Geld, das sie einnehmen, machen. Und insofern bin ich da recht entspannt, weil ich weiß, dass wir diese Gespräche in den nächsten Jahren führen werden, dass es aber nicht von heute auf morgen entschieden werden kann."