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Kobane und die Türkei
Koenigs: Ohne UNO-Mandat keine Rolle für die Bundeswehr

Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt hat einen Bundeswehreinsatz gegen den IS ins Spiel gebracht - ein UNO-Mandat vorausgesetzt. Im DLF sagte der menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen, Tom Koenigs, dass auch er ohne das Mandat derzeit keine Rolle für die Bundeswehr erkenne. Vielmehr müsse deutlicher diplomatisch auf die Türkei zugegangen werden.

Tom Koenigs im Gespräch mit Sandra Schulz | 13.10.2014
    Tom Koenigs war als Sonderbeauftragter der UNO in Afghanistan, Guatemala und dem Kosovo.
    Tom Koenigs war als Sonderbeauftragter der UNO in Afghanistan, Guatemala und dem Kosovo. (picture alliance / dpa / Marius Becker)
    "Denn viele der Schlüssel zum Ende des Konfliktes hat die Türkei in der Hand." Er stimme Göring-Eckardt zu, dass man auf die UNO zugehen solle und dieses Instrument des Friedenschaffens viel stärker in die Debatte einbringen müsse.
    Er gab sich überzeugt, dass in seiner Partei weiter über dieses Thema diskutiert werde. Man sei sich auch nicht ganz einig, denn den "goldenen Schlüssel zur Lösung dieses Konfliktes" habe keiner. "Wir diskutieren das nur sehr offen."
    "Gegenwärtig ist der Vorschlag vor allem, die Vereinten Nationen ins Spiel zu bringen." Das sei nach wie vor richtig. Die Kraft der Vereinten Nationen, Frieden zu schaffen, auch in Sicherheitszonen, auch in neutralisierten Zonen, dürfe man nicht unterschätzen. Das würde er unterstützen und einem bilateralen Einsatz, wie es ihn derzeit gibt, bevorzugen.
    Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien hatten am Wochenende die Türkei aufgefordert, dem Vormarsch der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) nicht länger tatenlos zuzusehen.

    Das Interview mit Tom Koenigs in voller Länge:
    Sandra Schulz: Bodentruppen nach Syrien - ein Szenario, das wohl weder Washington, noch Paris, London oder Berlin den Bürgern, den potenziellen Wählern vermitteln kann. Denn wer Truppen in ein Land schickt, der braucht auch einen Plan, um wieder rauszukommen: eine Exit-Strategie - siehe Irak, siehe Afghanistan. Und die hat derzeit wohl keine Regierung. Aber gestern gab es jetzt eine Meldung: Erstmalig zeigen offenbar doch auch die Luftangriffe auf den IS bei Kobane Wirkung. Und aus der Türkei kommt die Information, auf die die internationale Allianz schon gedrängt hatte: Die Türkei erlaubt den USA und ihren Verbündeten jetzt doch, auch Stützpunkte in der Türkei zu nutzen.
    Mitgehört hat ein Mann, der sehr erfahren ist in Krisen- und Kriegsgebieten, der für die UN in Afghanistan und im Kosovo gearbeitet und vermittelt hat: der menschenrechtspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Tom Koenigs. Guten Morgen.
    Tom Koenigs: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Ihre Fraktionschefin im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, die bringt jetzt einen Bundeswehreinsatz gegen den IS ins Spiel, vorausgesetzt es gibt ein UN-Mandat. Das ist natürlich ein Unterschied zu 1999, als Joschka Fischer auf dem Sonderparteitag zum Einsatz im Kosovo einen Farbbeutel abbekommen hat. Aber trotzdem: Holen die Pazifisten bei den Grünen jetzt wieder die Farbbeutel raus?
    Koenigs: Das kann ich mir nicht vorstellen, denn dass wir darüber reden, dass man mit einem UN-Mandat dort unter Umständen Frieden schaffen könnte, das ist ja offensichtlich. Das ist nur sehr weit fern. Und dass an einem UN-Mandat sich alle, mindestens alle der Anti-IS-Koalition beteiligen, ist richtig. Aber ich sehe gegenwärtig ohne dieses UN-Mandat und bei der gegenwärtigen Konfliktklage keine Rolle für die Bundeswehr. Ich glaube vielmehr, dass man sehr viel deutlicher diplomatisch auf die Türkei zugehen muss, denn viele der Schlüssel zum Ende dieses Konfliktes hat die Türkei in der Hand.
    Keine Rolle für die Bundeswehr
    Schulz: Das heißt, was Göring-Eckardt vorschlägt ist falsch?
    Koenigs: Nein! Sie sagt ja nur, wenn es ein UN-Mandat gibt, und damit ist impliziert, dass man sich auch bemühen muss, dass die UN ins Spiel kommt, dass die UN als internationale Organisation, die jeden einzelnen Mitgliedsstaat verpflichten kann, zu einem Beschluss kommt. Das ist nur sehr fern. Ich stimme ihr völlig zu, dass man auf die UN zugehen soll und dieses Instrument des Friedenschaffens viel stärker in die Debatte bringen muss als Koalitionen der Willigen.
    Schulz: Kannten Sie den Vorschlag denn schon, oder haben Sie davon heute aus der Zeitung erfahren?
    Koenigs: Wir haben sehr vieles diskutiert in der Partei und werden auch weiter diskutieren. Wir sind uns auch nicht ganz einig, denn den goldenen Schlüssel zur Lösung dieses Konflikts hat ja keiner. Wir diskutieren das nur sehr offen.
    Schulz: Gehen Sie davon aus, dass die Grünen-Fraktion dann auch geschlossen abstimmen würde?
    Koenigs: Es ist ja die Frage, worüber abgestimmt werden soll. Gegenwärtig ist der Vorschlag vor allem, die Vereinten Nationen ins Spiel zu bringen. Das finde ich nach wie vor richtig. Und die Kraft der Vereinten Nationen, Frieden zu schaffen, auch in Sicherheitszonen, auch in neutralisierten Zonen, darf man nicht unterschätzen. Ich fände das sehr gut und würde das auch bevorzugen einem bilateralen Einsatz, den es gegenwärtig ja gibt.
    Schulz: Aber in dieser Form, diese Zuspitzung, einen Bundeswehreinsatz ins Gespräch zu bringen vonseiten der Fraktionsspitze, da sind die Grünen jetzt die ersten. Ist das jetzt die Rolle der Grünen, Frieden schaffen mit Waffen?
    Koenigs: Ich glaube, Sie interpretieren das zu weit in eine bestimmte Richtung. Es geht dort um internationale Organisationen ins Spiel zu bringen, um Frieden dort zu schaffen, denn die Türkei alleine kriegt das offensichtlich nicht hin und die Amerikaner alleine mit den Luftschlägen auch nicht. Der Konflikt muss internationalisiert bearbeitet werden, und da sind die Vereinten Nationen das richtige Gremium. Da es hier aber einen heißen Konflikt gibt, ist es richtig, darüber nachzudenken, wie das dann aussehen sollte, und das kann nur mit Blauhelmen geschehen. Dass sich Deutschland an den Blauhelm-Missionen bedauerlicherweise viel zu wenig beteiligt, ist ein anderer Punkt, und von daher wird die Diskussion geführt, kann man nicht über ein UN-Mandat dort weiterkommen. Ich glaube aber, worum es im Augenblick geht ist vielmehr, dass die Anti-IS-Koalition auch innerhalb der diplomatischen Community so viel Gewicht gewinnt, dass die Türkei sich beteiligt an einer friedlichen Lösung, denn gegenwärtig hält die Türkei eine Äquidistanz zwischen IS und kurdischen Kämpfern, und das kann nicht sein.
    Die Türkei ist in einer schwierigen Lage
    Schulz: Das heißt, es war richtig, jetzt auch stärkeren Druck auf die Türkei zu machen?
    Koenigs: Das ist sicher richtig. Allerdings muss man sehen, dass die Türkei in einer schwierigen Lage ist. Im Augenblick ist die Türkei aber dabei, auch den inneren Frieden in einer Weise zu gefährden, dass man nur hoffen kann, dass Erdogan zu den Friedensangeboten an die Kurden im Lande zurückkommt, denn das vergiftet die Atmosphäre in einer Weise, dass es jetzt ja schon innerhalb der Türkei über 30 Tote gegeben hat.
    Schulz: Tom Koenigs, ich würde mit Ihnen gerne noch einen Schritt weitergehen. Wir sprechen jetzt seit Monaten über die Frage, was tun im Kampf gegen den IS, was tun, um diese Terrortruppe davon abzuhalten, den Irak und Syrien weiter zu terrorisieren und da weiter auf dem Vormarsch zu sein. Wenn die Vereinten Nationen Sie schicken wollten, nach Syrien oder in den Irak, würden Sie den Auftrag annehmen, oder würden Sie sagen, Mission Impossible, das mache ich nicht?
    Koenigs: Wenn die Vereinten Nationen jemanden schicken, der in der Lage ist, dort etwas auszurichten, würde das jeder annehmen. Aber das ist natürlich die große Frage.
    Schulz: Also das ist eine Mission Impossible und das wird in Irak und Syrien so weitergehen?
    Koenigs: Sie sehen ja, wie der gegenwärtige Repräsentant des Generalsekretärs dort arbeitet. Er versucht, mäßigend auf die verschiedenen Kräfte einzuwirken, und versucht, diplomatische Konsense herbeizuführen. Das ist eine wichtige Sache und Staffan de Mistura ist ein sehr erfahrener Diplomat. Ich kann nur wünschen, dass er schrittweise hier zu einer Beruhigung beiträgt.
    Vor allem Syrien und Irak
    Schulz: Aber was tun gegen den IS, dazu hat weit und breit keiner eine Antwort, oder?
    Koenigs: Ich glaube, die einzigen, die etwas gegen den IS tun können, sind die Nachbarstaaten und die Demokraten in den einzelnen Ländern, wo es IS gibt. Das ist vor allem in Syrien und im Irak. Die Unterstützung der Freien Syrischen Armee, die sich jetzt ja zeigt, die auch stärker wird, auch durch Ausbildung, ist sicher richtig. Ich hätte mir gewünscht, dass die Türkei dieses viel früher macht, denn die Freie Syrische Armee, also die gemäßigten Kämpfer in Syrien, hatten sich ja angeboten, auch in Kobane zu helfen. Das hat die Türkei nicht erlaubt.
    Schulz: Der Grünen-Politiker Tom Koenigs heute hier in den "Informationen am Morgen". Herzlichen Dank Ihnen.
    Koenigs: Danke sehr, Frau Schulz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.