Montag, 06. Mai 2024


Kokos, Gift und Kakerlaken

Zwölf mal sechs Kilometer groß, im Herzen der Insel gibt es noch atlantischen Regenwald, die Mata Atlântica: Auf Boipeba regiert die Natur. Fast jeder Baum trägt essbare Früchte, wenn es regnet, geht die Welt unter. Wer Giftschlangen sucht, wird hier fündig – und wer die größten fliegenden(!) Kakerlaken seines Lebens sehen will, auch.

Von Jörg-Christian Schillmöller mit Fotos von Dirk Gebhardt | 05.08.2013
    Mit dem Schnellboot und unserem Skipper Nido sind wir durch die Mangroven zu einem Quilombo auf dem Festland gefahren. Das sind kleine Dörfer, gut versteckt, die einst von entflohenen afrikanischen Sklaven gegründet wurden. Ganz schmal der Fluss, und das Wasser so ruhig, dass das Gefühl aufkam, durch die Mangroven zu schweben.

    In den vergangenen zwei Wochen ging es um Gesundheit, Bildung, Politik und Religion - in diesem Blogeintrag aber geht es nur um die Insel Boipeba und das Archipel Tinharé. Ihren Namen haben ihr die Tupinambá gegeben, die frühere, indigene Bevölkerung: m'boi pewa heißt "flache Schlange" und bedeutet Meeresschildkröte. Wer die Natur auf Boipeba verstehen möchte, wendet sich an die guías, die örtlichen Wanderführer, zum Beispiel Marcos und George. Sie kennen Fauna und Flora und erklären beides gern.

    Boipeba ist ein tropisches Eiland, zwölf mal sechs Kilometer groß. Im Herzen der Insel gibt es noch atlantischen Regenwald, die Mata Atlântica. Das Klima ist das ganze Jahr über warm und feucht, allerdings regnet es im Herbst und Winter mehr als im Sommer (der hier in unseren Winter fällt). Wir haben diesen Regen erlebt, stundenlang und in Mengen, die für Monate reichen. Die Wäsche wird über Tage hinweg nicht trocken, die Wände der Häuser feucht und der Boden schlammig.

    Neben den Mangroven prägen drei Palmenarten das Bild des Archipels: Die Dendê-Palme, aus deren Früchten Öl gewonnen wird, die Kokospalme und die Piaçava, aus deren Blättern und Fasern die Menschen seit Generationen kleine Besen und geflochtene Schalen herstellen. Das tun sie auch in dem Quilombo, das wir heute besucht haben.

    Besonders beeindruckend: Fast jeder Baum, der auf Boipeba wächst, trägt essbares Obst. Einige Sorten sind in Deutschland bekannt: Mango, Papaya, Maracuja und Guave. Die Mangaba dagegen kannte ich nicht: Sie ist so groß wie eine Walnuss, rot-grün gefärbt und schmeckt süß. Aus dem klebrigen, milchigen Saft der Bäume lässt sich eine Art Gummi gewinnen daraus haben die Kinder hier früher Bälle gebastelt, die wie ein Flummi hüpfen.

    Unten am Hafen von Boipeba gibt es eine kleine "lanchonete", einen Imbiss, der jeden Tag frischen Saft verkauft (der große Becher kostet drei Reais, gut einen Euro): Ein kalter Acerola-Saft zum Beispiel, knallorange und nicht so süß, dafür herrlich erfrischend und reich an Vitamin C. Oder ein rosa Guave-Saft. Die Guave Früchte selbst gibt es überall zu kaufen, sie haben viele kleine Kerne, die beim Kauen knacken und zwischen den Zähnen hängen bleiben.



    Die Fauna auf Boipeba: Krebse in allen Farben, die am Strand, im Wald und eigentlich überall ihre Löcher graben. Und Schlangen - genauer gesagt: Giftschlangen. Am Biss der Korallenotter sind hier früher Menschen gestorben. Es gibt Würgeschlangen, die ab und an in den Bäumen am Strand von Cueira hängen - und Mangrovenschlangen, die von sich aus angreifen (und ebenfalls giftig sind). Nachts sollte man darum tunlichst nicht in die freie Natur und schon gar nicht in den Wald gehen: Dann sind die Schlangen aktiv.
    Auch schon gesichtet: fliegende Kakerlaken, fünf Zentimeter groß:

    Riesenkakerlaken aus Südamerika
    Riesenkakerlaken aus Südamerika (Raul Arboleda / AFP)
    Bunte Raupen, zehn Zentimeter. Kolibris: kleine Hubschrauber, die ihren langen Schnabel mit noch längerer Zunge in Hibiskus-Blüten tauchen. Streunende Hunde, ein paar Katzen und im Wald ein bisschen Getier, das bei uns unter die Kategorie "Reh" fallen würde. Und Vögel: Papageienvögel in grün und Geier in schwarz. Mücken in Myriaden, jeden Tag zur Dämmerung. Niemand schläft hier ohne Moskitonetz.

    Und die Strände. Boipeba hat zum Atlantik hin von Nord nach Süd eine Reihe von langen, einsamen, von Palmen gesäumten Buchten und Stränden: Am "Boca da Barra" ist viel los, hierher kommen mittags die Touristen von der Nachbarinsel Tinharé. Am "Tassimirím" ist man dagegen fast unter sich. Am "Cueira" kann es sogar passieren, dass auf knapp zwei Kilometer Strand nur noch ein paar Surfer die Wellen erproben - und sonst niemand. Ein Traum. Das gilt auch für "Bainema", der noch größer ist als "Cueira", dafür aber nicht die Schatten spendenden Palmen hat.

    Vor der Insel liegen die "piscinas naturais": ein natürliches Schwimmbad mit türkisfarbenem Wasser, das umgeben ist von einem Korallenriff. Das Riff ist bedroht: Es kommen jeden Tag in vielen Booten viele Menschen her, und die meisten scheren sich nicht um das zerbrechliche Ökosystem.

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    Jörg-Christian Schillmöller
    ist seit 2001 Nachrichtenredakteur beim Deutschlandfunk. Er war mehrfach für den Sender im Ausland auf Reportage-Reisen - zuletzt 2012 mit Dirk Gebhardt im Iran. Brasilien hat er im vergangenen Jahr entdeckt.

    Dirk Gebhardt ist Fotograf und Professor für Bildjournalismus an der FH Dortmund. Er arbeitet seit Frühjahr 2012 an einer Langzeit-Dokumentation über den Sertão, eine Trockenwüste im Nordosten Brasiliens. Fotografiert hat er neben Südamerika auch in Afrika und auf dem Balkan.
    Karte von Boipeba