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Kommunalwahlen
Chor will in Ortschaftsrat einziehen

Der Wahlzettel für die Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt sind in vielen Orten fast einen Meter lang. 10.200 Mandaten sind bei der diesjährigen Kommunalwahl am 25. Mai in Sachsen-Anhalt zu vergeben. In Haldensleben will selbst ein Chor in den Ortschaftsrat einziehen.

Von Christoph Richter | 23.05.2014
    Eine Radfahrerin rollt am Montag (08.02.2010) auf dem Marbachweg in Frankfurt am Main an einem Schlagloch vorbei.
    Für die Chorgemeinschaft "Harmonie“ gehen lokale Probleme vor dem Weltgeschehen. (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    In vorderster Reihe steht Sopranistin Karin Keindorf. Eine sanges-kräftige Frau mit Wuschelkopf und warmen blauen Augen.
    Karin Keindorf ist Sängerin und Spitzenkandidatin gleichermaßen. Denn sie kandidiert – wie es ganz offiziell heißt – für die Wählergruppe Chorgemeinschaft "Harmonie", um in den Ortschaftsrat des 300 Seelen Dörfchens Satuelle einzuziehen. Einem Ortsteil von Haldensleben, eine Kleinstadt 30 Autominuten nordwestlich von Magdeburg. Keindorfs Wahl- Programm:
    "Zumindest möchte ich, dass der Chor nicht ausstirbt. Und dass das kulturelle Leben bei uns im Ort auch in den nächsten Jahren weitergeführt, erhalten wird."
    Karin Keindorf bringt die Dinge kurz und knapp auf den Punkt. Große Reden sind nicht mein Ding, sagt die 59jährige Sopranistin. Die übrigens auch deswegen keinen Wahlkampf betreibe, da mich ja jeder kennen würde, wie sie betont. Lieber steht sie da schon auf der Bühne und trällert ein Liedchen.
    Neben dem Chor, kandidiert in Satuelle noch die Wählergruppe Freiwillige Feuerwehr und zwei versprengte Kandidaten der CDU. SPD, LINKE, Grüne: Nicht dabei.
    Rente mit 63, der NSU-Prozess oder Internet-Überwachung: Für Sängerin Keindorf alles unwichtig. Stattdessen geht es ihr um Bürgersteige, die Dorfbeleuchtung, die Pflege des Dorf- Parks, den Gestank der Biogas-Anlage.
    Neben den etablierten Parteien und Bündnissen, die sich Elitenförderung, Rechtsstaat oder basisdemokratische Initiative nennen, wollen gerade die Wählergemeinschaften punkten.
    Parteienforscher Everhard Holtmann von der Martin Luther Universität Halle-Wittenberg kann dem nichts Schlechtes abgewinnen, in seinen Augen sind Wählergemeinschaften ein Ausdruck der sozialen Gemeinde, wie er es nennt.
    "Also die Art und Weise wie Menschen, auf relativ kleinen Raum miteinander zusammen leben. Wie sie miteinander kommunizieren, dass das in einem hohen Maße durch persönliche Kontakte vermittelt wird."
    ... weshalb Wählergemeinschaften für die kommunale Selbstverwaltung genau das richtige Instrument seien. Weil sich eben die Kandidaten keinen parteipolitischen Zwängen oder ideologischen Vorstellungen unterwerfen müssen, sondern sich um rein örtliche Probleme kümmern können. Stimmt, sagt Ortschaftsratskandidatin Karin Keindorf.
    "Dass man nichts vorgeschrieben bekommt, was man machen muss. Dass man
    selber entscheiden kann, dass man freier ist."
    Nach Schätzungen des Landesverbandes Freier Wähler gibt es in Sachsen-Anhalt etwa 1.000 Wählergemeinschaften, in denen rund 8.000 Menschen organisiert sind.
    "Man darf auch nicht ganz ignorieren, dass für Bürgerinnen und Bürger, die Schwelle sich einer parteifreien Gruppierung vor Ort anzuschließen, niedriger liegt, als einer Partei beizutreten."
    Ergänzt noch Politologe Everhard Holtmann. Unter Experten wird die Rolle der Wählergemeinschaften aber durchaus kontrovers diskutiert. Was auch daran liegt, dass vielerorts völlig unklar ist, welche politischen Haltungen, Einstellungen und Werte-Vorstellungen Mitglieder von Wählergemeinschaften vertreten, die ja nicht mal eine Satzung haben müssen.
    Vertretung von Partikularinteressen
    Ein Grund, warum Norbert Eichler, Bürgermeister des 1.000 Jahre alten Börde-Städtchens Haldensleben und Präsident des Städte- und Gemeindeverbands in Sachsen-Anhalt, mit Wählergemeinschaften wie der des Chores in Satuelle nichts anfangen kann.
    "Mein Eindruck ist, dass man dort nur Menschen einsammelt, die unzufrieden sind. Entweder mit ihrer Straße, mit ihrem Wohngebiet. Sie höhlen auch in gewissem Maße die gewählte Demokratie, den gewählten Stadtrat aus. Das sind nur Partikularinteressen, die dort wahrgenommen werden."
    Der Hallenser Parteienforscher Everhard Holtmann schüttelt bei diesem Szenario energisch mit dem Kopf.
    "Andersrum wird ein Schuh draus. Viele Menschen wollen sich aus verschiedenen Gründen eben nicht innerhalb einer politischen Partei engagieren, sondern sich nur auf der lokalen Ebene, um die örtlichen Angelegenheiten kümmern. Und das ist aller Ehren wert."
    Wenn allein nur jeder Verwandte der 25köpfigen Chorgemeinschaft Harmonie mir seine Stimme gibt, dürfte nichts schief gehen, vermutet Sopranistin Karin Keindorf.
    "Man freut sich. Sicherlich. Vom Chor gehen ja etliche zur Wahl."