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Konzeptalbum von Tim Bowness
Sinnkrise eines alternden Rockstars

No-Man ist das Projekt der beiden Briten Tim Bowness und Steven Wilson, es ist ihre musikalische Spielwiese zwischen Pop, Ambient, Jazz, Prog und Post-Rock. Das letzte Album liegt neun Jahre zurück, nun bringt Tim Bowness "Lost in the Ghost Light" heraus, ein Konzeptalbum, das von der Sinnkrise eines alternden Rockmusikers handelt.

Von Kai Löffler |
    Ein schwarzhaariger Mann sitzt auf einem roten Sofa, blickt in die Kamera.
    Tim Bowness: Sein Konzeptalbum ist eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln. (David Owens)
    "Das Geisterlicht gibt es im Theater, das ist ein Licht in der Mitte der Bühne. Es ist einfach eine nackte Glühbirne, und die soll dabei helfen, sich im Dunkeln zurechtzufinden. Meine Assoziation war, dass jemand mitten in der Nacht über seine Karriere, das Leben und über Obsessionen nachdenkt."
    Tim Bowness blickt auf eine lange Karriere zurück. Der 53-jährige Brite ist seit drei Jahrzehnten die Stimme des Art-Pop Duos No-Man, gemeinsam mit Multi-Instrumentalist Steven Wilson. Bowness Stimme hat einen unverwechselbaren, warmen Klang - das war allerdings nicht immer so.
    "Als ich als Sänger anfing, hatte ich eine extrem laute Stimme. Und ich habe mit viel zu viel Druck gesungen; man könnte das fast als meine "Death Metal-Jahre" bezeichnen. Manchmal hat nach den Konzerten meine Kehle geblutet, weil ich so laut gesungen habe. Und dann kam Mitte der 80er der Moment der Klarheit: Ich hatte eine selbstfinanzierte Schallplatte aufgenommen und die hab ich mir so angehört, wie ich jede andere Platte hören wurde. Und plötzlich wurde mir klar, wie furchtbar ich klang - Die Texte waren bemüht, der Gesang aufdringlich, und musikalisch ist viel zu viel passiert. Es ist toll, sich mal aus so einer anderen Perspektive zu hören, so als wäre man jemand anders."
    Zuviel kreative Freiheit? "Nicht immer hilffreich!"
    Durch dieses Album wurde allerdings Steven Wilson, damals gerade 20 Jahre alt, auf Bowness aufmerksam. Beide verstanden sich auf Anhieb, hatten einen ähnlichen Musikgeschmack, waren gleichermaßen experimentierfreudig, und erfanden in den folgenden 20 Jahren den Sound ihrer Band No-Man immer wieder neu. Mit seinen Soloalben, teilweise produziert von Steven Wilson, knüpft Bowness an den Sound von No-Man an, wenn auch etwas gradliniger und weniger experimentell. Zuviel kreative Freiheit ist nicht immer hilfreich, sagt er.
    "Wenn man die Freiheit hat, alles zu tun, tut man manchmal gar nichts oder eiert nur ziellos rum. Deshalb lege ich mich bei Soloprojekten auf ganz klare Parameter in puncto Sound und Instrumentierung fest. Diese Grenzen bringen dann oft viel Freiheit mit sich; durch die Einschränkung ist man gezwungen, kreativ zu werden."
    Progressive-Rock der Siebziger
    Im Fall von Lost in the Ghost Light hat sich Bowness als Rahmen den Progressive-Rock der Siebziger vorgegeben. Den Sound von zwölfsaitigen Gitarren, Hammond-Orgeln und Mellotrons.
    "Ich wollte eine sehr persönliche Version des Progressive Rock oder Classic Rock-Sounds schaffen. Eine Kritik, der ich nie zustimmen konnte, ist die, dass Prog-Musik kalt oder emotionslos klingt. Für mich waren Pink Floyd oder die der frühen Genesis immer zutiefst emotional und sehr bewegend."
    In vieler Hinsicht ist "Lost in the Ghost Light" für Bowness eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln, eine tiefe Verbeugung vor der Musik, die ihn als Teenager beeinflusst hat. Das Album ist nicht nur sein erster Ausflug in den Sound der Siebziger, es ist auch sein erstes echtes Konzeptalbum.
    "Ich hatte immer im Hinterkopf, dass ich gerne mal ein Konzeptalbum mit einer richtigen Geschichte machen wollte, auch weil Alben wie Pink Floyds The Wall und Quadrophenia von The Who so ein großer Einfluss waren. Und dann kam die Idee dazu: Ein Musiker, Ende 60 oder Anfang 70, der vor einem Konzert in einer kleinen Stadt backstage sitzt und über sein Leben nachdenkt, ein Leben für die Musik."
    Versierte Gastmusiker
    Wie schon auf den Vorgängern hat sich Bowness auch für das neue Album eine Reihe versierter Gastmusiker ins Studio geholt, unter anderem Porcupine Tree-Bassist Colin Edwin und Pineapple Thief Mastermind Bruce Soord. Distant Summers, dem letzten Song des Albums, leiht außerdem Ian Anderson von Jethro Tull seine obligatorische und unverkennbare Querflöte.
    "Der letzte Track sollte etwas optimistischer sein. Dem Protagonisten wird klar, warum er das alles macht: Er liebt die Musik. Deshalb sitzt er noch 40 Jahre später in kleinen Umkleideräume. Es geht also darum, wie er sich in den 60er Jahren in die Musik verliebt, und natürlich geht es auch darum, wie ich selbst mich in die Musik verliebt habe. Wie es war, zum ersten Mal in einer Band zu singen, selber Teil von diesem Sound zu sein, der so aufregend ist...
    Deshalb wollte ich Ian Anderson für den Song haben. Jethro Tull waren eine der ersten Bands, die ich als Teenager mochte. Das war also ein autobiographisches Element."
    Gegen den Strom
    Die Musik von Tim Bowness hat sich selten von Strömungen der Zeit treiben lassen, und Lost in the Ghost Light ist keine Ausnahme: Das 40-minütige Prog-Rock Konzeptalbum im Retro-Gewand schwimmt - zumindest oberflächlich - geradezu aggressiv gegen den Strom. Gräbt man allerdings etwas tiefer, versteckt sich hinter den analogen Synthesizern eine spannende und dramaturgisch stimmige Sammlung filigraner, dichter und vor allem persönlicher Songs. Bowness' introspektive Texte und seine fließenden Gesangsmelodien haben deutlich mehr mit den leisen Tönen von Lambchop oder Bon Iver gemeinsam als mit den Prog-Rock Epen von Emerson Lake & Palmer oder Genesis. Nur die Verpackung ist eine andere: Während Lambchop auf "Flotus" ihre Musik in elektronische Beats hüllen, schmeißt sich Bowness in den glitzernden Umhang des Prog Rock, jenes experimentierfreudigen Genres, das zwar seit seinem Niedergang Ende der 70er immer mal wieder Comebacks hatte, aber letztlich Subkultur bleibt.
    "In England hat die Punk-Bewegung den Musikjournalismus umgekrempelt. Musiker waren quasi über Nacht nicht mehr Superstars auf den Titelseiten, sondern Persona non Grata. Psychologisch ist das natürlich verheerend. Ich kenne Musiker aus der Zeit, die sich noch immer verletzt und verraten fühlen, weil Publikum und Journalisten sie damals so fallen gelassen haben. Es ging also um diesen Moment, wenn du merkst dass du ignoriert wirst, wenn alles was du für wichtig gehalten hast plötzlich wertlos ist und du dich ein bisschen im Stich gelassen fühlst."