Samstag, 27. April 2024

Archiv

Krebsforschung
Opas Ernährung beeinflusst die Gene seiner Enkel

Nicht nur das eigene Verhalten, sondern auch die Ernährungsweise wirkt sich auf Kinder und sogar Enkelkinder aus. Eine schwedische Studie zeigt: Wenn Großväter - geboren zwischen 1874 und 1910 - in jungen Jahren reichlich zu essen bekamen, hatten ihre Enkel ein erhöhtes Risiko, an Krebs zu sterben.

Von Christine Westerhaus | 12.12.2018
    Collage mit einem Mann und Messanzeige
    Wie unsere Vorfahren gelebt haben, kann Folgen auch über Generationen hinweg haben (Imago Images)
    Gute Zeiten, schlechte Zeiten: In der Generation unserer Großväter war es noch Alltag, dass Nahrung nicht zu jeder Zeit und im Überfluss verfügbar war. Je nachdem, wie die Ernte ausfiel, gab es mal viel und mal wenig zu essen. Und die Spuren dieser Schwankungen sind noch heute erkennbar, wie Denny Vågerö und seine Kollegen von der Stockholm Universität jetzt herausgefunden haben.

    "Wir sehen einen deutlichen statistischen Zusammenhang zwischen der verfügbaren Nahrungsmenge in der Großelterngeneration und dem Sterberisiko bei den männlichen Enkeln. Also wenn der Großvater kurz vor der Pubertät sehr viel zu essen hatte, haben seine männlichen Enkel ein erhöhtes Sterberisiko. Genau in dieser Phase scheint die Nahrungsversorgung also einen großen Effekt auf spätere Generationen zu haben."
    Viel Nahrung, schlechte Keimzellen
    Für ihre Untersuchung haben die Forscher die Daten von fast 9.000 Großvätern und ihren mehr als 11.000 Enkeln ausgewertet. Dabei entdeckten sie, dass die männlichen Enkel nicht nur statistisch gesehen früher starben, sondern auch häufiger an Krebs erkrankten. Und zwar nicht nur an Tumorarten, die mit Tabak und Alkoholkonsum assoziiert sind. Warum gerade die Ernährung kurz vor der Pubertät eine Rolle spielt und wieso nur Männer betroffen sind, wissen die Forscher bisher nicht. Doch sie vermuten, dass sich das Überangebot an Nahrung schlecht auf die Keimzellen auswirkt. Also auf die Zellen, aus denen später Kinder entstehen:

    "Kurz vor der Pubertät entwickeln sich die männlichen Hoden und vielleicht reagieren sie in dieser Zeit besonders sensibel auf das Nahrungsangebot. Bei Mädchen werden die Eizellen hingegen schon während der Entwicklung des Fötus im Mutterleib angelegt. Bei ihnen sind daher wahrscheinlich andere Entwicklungsphasen entscheidend. Ob das der Grund dafür ist, dass männliche Nachkommen stärker betroffen sind, wissen wir zwar nicht. Aber wir sehen, dass diese Phase besonders relevant ist und das haben Forscher auch in einer anderen Studie beobachtet."
    Ein Schalter für männliche Gene
    Dass nicht nur die Kinder, sondern auch die Enkel und damit die übernächste Generation betroffen ist, deutet darauf hin, dass die Keimzellen epigenetisch verändert sind. Solche Modifizierungen am Erbmaterial, auch Methylierung genannt, führen dazu, dass Gene an oder abgeschaltet werden. Diese epigenetischen Veränderungen können zwar wieder rückgängig gemacht werden. Doch sie vererben sich auch an die nächste Generation.

    "Man kann sich vorstellen, dass die Keimzellen des Opas methyliert werden, wenn er kurz vor der Pubertät steht, und dass dieses Aktivierungsmuster der DNA dann weitervererbt wird. Warum das ausgerechnet dann geschieht, wenn es ein Überangebot an Nahrung gibt, kann ein Molekularbiologe vermutlich besser beantworten. Aber es wird diskutiert, dass bestimmte Lebensmittel Methylgruppen enthalten. Weizen zum Beispiel. Oder auch Folsäure. Und wenn man sehr viel isst, nimmt man sehr viele dieser Methylgruppen auf. Das könnte eine Erklärung sein."
    Ähnliche Effekte bei Holocaust-Überlebenden
    Dass die Ernährung einen Einfluss darauf hat, ob Gene durch Methylgruppen deaktiviert werden, wissen Forscher bereits aus anderen Studien. So zeigt eine Untersuchung aus den Niederlanden, dass Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft hungern mussten, später im Leben ein erhöhtes Risiko für Diabetes hatten. Erbgutanalysen zeigten, dass die Gene dieser Menschen auffallend häufig methyliert waren. Ähnliche Effekte fanden Forscher auch bei Holocaust-Überlebenden. Über wie viele menschliche Generationen diese genetischen Aktivierungsmuster weitergegeben werden, ist bislang unklar. Doch Studien an Mäusen zeigen, dass womöglich auch noch die Ur-Ur-Enkel betroffen sind. Denny Vågerö:
    "Es gibt einen bekannten Versuch, bei dem Forscher den Muttertieren ein bestimmtes Futter gegeben haben, wodurch sich die Fellfarbe bei den Nachkommen verändert hat. Und dieser epigenetische Effekt blieb über fünf Generationen erhalten. Aber wie lange solche Veränderungen beim Menschen erhalten bleiben, wage ich nicht zu sagen."