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Kreuzerlass
"Für die CSU geht es um Sein oder Nicht-Sein"

Aus den Kirchen kommt noch immer deutliche Kritik an der Kreuzpflicht. Kann es sich die CSU leisten, darüber hinweg zu gehen? "Logisch, das wird Stimmen kosten", sagt Thomas Goppel, der frühere CSU-Generalsekretär. Christlichen Kritikern wirft er vor, ein "Multi-Kulti-Schiff" bestiegen zu haben.

Von Burkhard Schäfers | 07.06.2018
    Blick auf eine Vielzahl von CSU-Fahnen
    Die CSU steht unter Kritik (dpa / Daniel Karmann)
    Schon lange ärgert sich Jörg Alt darüber, wie die CSU-geführte Staatsregierung in Bayern mit geflüchteten Menschen umgeht. Der Kragen platzte dem Jesuiten und Sozialethiker, als Polizisten vergangenes Jahr einen jungen Afghanen aus einer Nürnberger Berufsschule holten, um ihn abzuschieben. Nun hat Alt gemeinsam mit 100 anderen Kirchenvertretern der CSU einen offenen Brief geschrieben. Sie solle ihren aktuellen Kurs korrigieren.
    Alt erklärt: "Wir haben den Brief an die CSU und an den bayerischen Wähler gerichtet, weil durch den Kreuzerlass die Diskrepanz zwischen Rhetorik und praktischer Politik unerträglich deutlich geworden ist. Und vor dem Hintergrund der Entwicklung in der bayerischen Politik im Bereich Flucht und Migration, Armut und Abschiebung haben wir gesagt: Wer das Kreuz aufhängt, muss sich auch am Kreuz und seinen Werten messen lassen."
    "Die Ungleichheit in Bayern steigt seit Jahren"
    Der Jesuit arbeitet seit mehr als 30 Jahren im Bereich Flucht und Migration. Er und seine Mitstreiter fordern in ihrem offenen Brief: Politik dürfe nicht an nationalen Grenzen enden, sie müsse ihre Folgewirkungen auf benachteiligte Länder mit bedenken. Nicht mehr Polizei sichere die Lebensverhältnisse der Menschen hierzulande, sondern mehr Gerechtigkeit. Zu den Unterzeichnern gehören Katholiken wie Protestanten - die Ordensoberen der Missions-Dominikanerinnen oder der Kapuziner, Hochschulseelsorger, kirchliche Jugendverbände und Professoren verschiedener Fachrichtungen. Aus ihrer Sicht setzt die CSU-Regierung mit ihrer Politik verkehrte Schwerpunkte.
    Dazu Alt: "Die Ungleichheit in Bayern steigt seit Jahren und dagegen wird nicht energisch genug vorgegangen. Reichtum gibt es in Bayern sehr viel, das hängt auch mit dem Steuerwettbewerb zusammen, den Bayern betreibt. Das Land könnte sehr viel mehr Steuereinnahmen bekommen und in soziale Maßnahmen investieren, in Klimaschutz oder was auch immer. Aber Bayern handelt hier nicht angemessen."
    Der Jesuit und Sozialethiker Jörg Alt
    Der Jesuit und Sozialethiker Jörg Alt (Jesuitenmission Deutschland)
    Der Fokus auf Sicherheit - Stichworte neues Polizeiaufgabengesetz, mehr Abschiebungen, eine Flüchtlingsobergrenze: All das sei nicht notwendige Realpolitik, wie die CSU argumentiere, sondern "verkürzende Symbolpolitik", sagt Sozialethiker Alt.
    "Verantwortungspolitik aus unserer Sicht heißt, dass man den Realitäten einer globalisierten Netzwerkgesellschaft Rechnung trägt. Und dass man der Bevölkerung klarmacht, dass Obergrenze und Grenzsicherung das Problem nicht lösen wird. Solange die CSU diesen Eindruck zusammen mit Pegida und AfD hervorruft, ist das keine Verantwortungspolitik. Was die CSU betreibt, ist Gesinnungspolitik."
    "Dieser Leitfaden ist zwingend"
    Das will Thomas Goppel, Sprecher der ChristSozialen Katholiken in der CSU, nicht auf seiner Partei sitzen lassen. Er sieht im Gegenteil die Initiatoren des Briefes auf dem falschen Dampfer:
    "Da besteigt jemand - man kann sagen - das Multi-Kulti-Schiff, in dem alles gültig ist und nichts verbindlich gilt."
    Verschiedene Kirchenvertreter hadern mit der Anordnung der bayerischen Staatsregierung, dass am Eingang von Ämtern und Behörden nun Kreuze hängen müssen: Der Münchner Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, hatte gesagt, dadurch sei eher Spaltung, Unruhe, Gegeneinander entstanden. Der Landtagsabgeordnete Goppel, ehemaliger Minister und CSU-Generalsekretär, verteidigt den Erlass:
    "Ich brauche einen Leitfaden. Und dieser Leitfaden, den ich abgeschafft sehe - durch Kirchenleute besonders unfreundlich abgeschafft sehe - ist zwingend. Den brauchen wir immer."
    Thomas Goppel: für die CSU Mitglied des Bayerischen Landtags.
    Der CSU-Politiker Thomas Goppel (dpa/Tobias Hase)
    Die Forderung der Briefschreiber aus Orden, Hochschulen und dem kirchlichen Ehrenamt, dass sich die politische Agenda stärker aufs Thema Gerechtigkeit konzentrieren müsste und weniger auf Sicherheit, weist Goppel zurück.
    Er sagt: "Die Kirche schrumpft mehr als wir, was daran liegt, dass sie sich selbst beteiligt an der Diskussion, dass Werte etwas sind, die zwar gemeinsam gültig sind, aber deren Reihenfolge jeder beliebig festlegen kann. Und eine Beliebigkeit bei den Begriffen Freiheit, Personalität, Solidarität, Sicherheit gibt es eigentlich nicht. Und wenn die Kirche selbst damit anfängt, da Beliebigkeiten festzustellen und sich sicherer zu fühlen als es ist, dann ist es ein Verdienst einer 60-jährigen soliden CSU-Politik in einem Land, in dem man sich so sicher fühlen kann wie nirgends sonst."
    Katholiken tendieren zum Konservatismus
    Im Oktober wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Treue Kirchgänger bildeten jahrzehntelang die Stammklientel der CSU. Wie viel kirchlichen Protest also nimmt die Partei im Wahlkampf in Kauf? Thomas Goppel gibt zu, dass die CSU derzeit auch Christen vergrault.
    "Logisch, das wird Stimmen kosten, davon bin ich überzeugt. Aber es wird uns andere vielleicht auch zuführen. Ich möchte keine Stimme aus diesem Bereich verlieren, weil das mein Tableau an Zielsetzungen für die Zukunft verändert."
    Als Volkspartei versucht die CSU, ganz unterschiedliche Wähler anzusprechen, von der Mitte bis hinein ins nationalkonservative Milieu, sagt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing:
    "Man spricht sicherlich einen Teil der Bevölkerung an mit diesem 'Sich-Abgrenzen'. Wir sehen in Einschätzungen gerade auch katholischer Bevölkerungsanteile in allen europäischen Ländern, dass hier schon ein stark konservatives Element vorhanden ist. Und die versucht man natürlich zu mobilisieren. Das mag gelingen, die Frage ist nur, verliert man die anderen, die sich zwar auch christlich gebunden sehen, aber sich eher liberal verorten."
    Mehr Kreuze im öffentlichen Raum, weniger Kreuze bei der AfD
    Die Stammwähler nicht vernachlässigen und zugleich unterschiedlichste Wechselwähler gewinnen: in diesem programmatischen Spagat setzt die CSU auf klare Kante. Mit dem Kreuzerlass und Sätzen wie "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" will die Partei diejenigen zurückgewinnen, die bei der Bundestagswahl vergangenen Herbst ihre Stimme der AfD gaben. Mehr christliche Symbolik im öffentlichen Raum ist gleich weniger Kreuze bei der AfD - so lautet die Strategie.
    Ursula Münch leitet die Akademie für Politische Bildung in Tutzing
    Ursula Münch leitet die Akademie für Politische Bildung in Tutzing (dpa / Frank Leonhardt )
    Umfragen zufolge könnte sie dadurch tatsächlich im konservativen Milieu mehr gewinnen oder halten, als sie auf der liberalen Seite verliert. Mehr als die Hälfte der bayerischen Wähler findet den Kreuzerlass gut. Und eine aktuelle Religions-Studie des Pew Research Centers zeigt: 55 Prozent der praktizierenden Christen in Deutschland meinen, der Islam sei nicht mit deutschen Werten und hiesiger Kultur vereinbar.
    Ursula Münch: "Da sieht man, bezogen auf die Bundesrepublik, dass die Begeisterung des normalen Katholiken, der normalen Katholikin für den interreligiösen Dialog jetzt nicht so stark ausgeprägt ist wie bei denjenigen, die Führungspositionen in der Katholischen oder der Evangelischen Kirche innehaben. Da gibt es eine unterschiedliche Bereitschaft, sich auf Globalisierungs- und Veränderungsprozesse einzustellen. Und die ist an der Basis, vor allem im ländlichen Raum, nicht so stark ausgeprägt."
    "Aus Sicht der CSU geht es um Sein oder Nichtsein"
    Professorin Ursula Münch konstatiert eine wachsende Vielfalt innerhalb der kirchlichen Milieus. So würden die 100 Unterzeichner des offenen Briefes sicherlich für viele praktizierende Christen sprechen, aber nicht für alle. Das zeigt auch eine öffentliche Erklärung, in der sich mehr als 70 Professoren pro Kreuzerlass äußern.
    Zwar sieht Professorin Münch keinen Graben zwischen Kirchen und CSU - dennoch sei der Kreuzerlass parteiintern sehr umstritten. Und: Die deutliche Kritik aus dem kirchlichen Raum dürfte der CSU wehtun. So hält sich die Führungsriege bedeckt. CSU-Generalsekretär Markus Blume, auch Religionsexperte seiner Partei, wollte dem Deutschlandfunk kein Interview zum Thema geben, obwohl er unmittelbar nach der ersten Kritik am Kreuzgebot starke Worte gefunden hatte. Von einer "unheiligen Allianz aus Religionsfeinden und Selbstverleugnern" hatte er gesprochen. Die CSU sei massiv getrieben, sagt Ursula Münch:
    "Aus Sicht der CSU geht es darum, die absolute Mandatsmehrheit bei der Landtagswahl zu erreichen. Und dafür schielt man natürlich vor allem auf die AfD. Insofern gehe ich mal eher davon aus, dass es sich verschärfen wird. Weil die CSU ist nervös, es geht aus ihrer Sicht um Sein oder Nichtsein."
    Zwar gibt es Zustimmung für den Kreuzerlass, in den Wählerumfragen macht das jedoch bisher keinen spürbaren Unterschied: Weder verliert die AfD Stimmen, noch gewinnt die CSU welche hinzu.