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Krise in den französischen Überseegebieten
Postkolonialismus in der Karibik?

Auf der Karibik-Insel Guadeloupe bringen Nachkommen afrikanischer Sklaven den französischen Staat vor Gericht. Sie fordern eine kollektive Wiedergutmachung, eine Neuverteilung von Ackerland. Wunden aus der Kolonialzeit stehen in diesem EU-Gebiet noch weit offen.

Von Charlotte Bruneau | 15.07.2017
    Ein Strand auf Guadeloupe in der Karibik. Die Insel gehört zu den französischen Überseedepartements.
    Schöne Strände und viele Probleme - Guadalope in der Karibik gehört zu den französischen Überseedepartements. (Maxppp)
    "Mein Großvater kam im Jahr 1792 auf Guadeloupe an, hier in Sainte-Rose. Er war… ich weiß nicht wie alt er war. Die Leute kannten damals ihr Geburtsdatum nicht, sie kamen ja schon als Kinder hier an."
    "Woher stammt Ihr Großvater?"
    "Aus Afrika. Ich weiß aber nicht, aus welchem Land."
    Hochkonzentriert liest Mathiasin Berthaut aus seiner roten Mappe vor. In ihr hat er sorgfältig die wenigen Dokumente über seine Herkunft gesammelt, die er finden konnte. Berthauts erster bekannter Vorfahre wurde vor 225 Jahren nach einer etwa 6000 Kilometer langen Reise auf der kleinen Karibik-Insel Guadeloupe als Sklave verkauft.
    Gleichstellung nur auf dem Papier
    Frankreich hat die Sklaverei im Jahr 1848 abgeschafft. Aus den knapp 250.000 Sklaven der Republik wurden damals französische Bürger. Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde aus der Kolonie ein französisches "Übersee-Département". Seitdem ist die Insel ein vollwertiger Teil Frankreichs und ... der EU.
    Für Mathiasin Berthaut existiert diese Gleichstellung aber nur auf dem Papier. Der Landwirt unterstützt eine Protestbewegung auf Guadeloupe, die eine Wiedergutmachung für die Nachkommen ehemaliger Sklaven fordert, eine Neuverteilung des Landes und der Ressourcen. Die Protestbewegung ist eine Initiative, die einige Tabus der europäischen Kolonialgeschichte bricht. Denn auf hoher politischer Ebene hört man das Wort "Kolonie" heute ungern. Die offizielle Bezeichnung lautet: "Europas Gebiete in äußerster Randlage".
    Häuserzeile in der Hafenstadt Pointe-a-Pitre auf der Karibikinsel Guadeloupe.
    Häuserzeile in der Hafenstadt Pointe-a-Pitre auf der Karibikinsel Guadeloupe. (dpa / Jürgen Darmstädter)
    "Ihr alle seid europäische Hoheitsgebiete in der Welt. Und in Zeiten, in denen einige unserer ältesten Verbündeten immer selbstbezogener zu werden scheinen, öffnet ihr ein Schaufenster nach Europa. In Südamerika, in der Karibik, im südlichen Afrika, im Indischen Ozean und in Nordost-Afrika. Ohne euch wäre Europas Einfluss in der Welt geringer."
    So EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker beim 4. Forum der Gebiete in äußerster Randlage dieses Jahr in Brüssel. Auch wenn er hier die europäischen Überseegebiete als Schaufenster Europas lobt, der Kluft zwischen den exotischen Inseln und dem europäischen Kontinent ist sich Juncker bewusst.
    Armut und marode Infrastrukturen weithin sichtbar
    Das karibische Guadeloupe lockt europäische Touristen mit seinen Stränden und Cocktail-Bars. Vom Besuch der Hauptstadt, Pointe-à-Pitre, wird hingegen abgeraten, denn dort sei es nach französischen Standards nicht schön, zu chaotisch. Und in der Tat, gesellschaftliche Armut und marode Infrastrukturen sind hier weithin sichtbar. Ary Chalus, Präsident des Regionalrates von Guadeloupe wünscht sich deshalb mehr Mittel:
    "Wir haben finanzielle Probleme, das stimmt, weil der Nachholprozess stockt. Über die Hälfte unserer Gemeinden weisen ein Defizit auf. Aber unser größtes Problem sind die Schulen: 80 Prozent unserer Schulgebäude sind baufällig. Dem Gesetz nach müssten wir sie schließen, allein zur Sicherheit unserer Jugend. Wir wollen unsere Gemeinden aus dem Defizit herausholen und brauchen dabei Unterstützung, genauso wie Französisch-Guyana.”
    Über die Überseegebiete wird nur wenig gesprochen, und meistens nur dann, wenn Proteste ausbrechen. Wie der Generalstreik in Französisch-Guayana im April, der die Bevölkerung auf die Straße trieb. Sie protestierte gegen steigende Preise, eine Arbeitslosenquote von über 20 Prozent und die hohe Kriminalitätsrate. Der Streik endete erst, als Paris dem südamerikanischen Département drei Milliarden Euro zusätzlich zusprach. Weitere Gelder für die Entwicklung der Überseegebiete kommen aus Brüssel. Im Planungszeitraum 2014 bis 2020 stellt allein die EU über 13 Milliarden Euro für die Gebiete äußerster Randlage bereit.
    Guadeloupe ernährt Frankreich
    Aber reichen solche Investitionen, um Frankreichs Überseegebiete wirtschaftlich auf eine Stufe mit dem europäischen Festland zu heben? Auf Guadeloupe beantwortet das Kollektiv LKP - zu Deutsch "Allianz gegen die Ausbeutung"- die Frage mit einem klaren "Nein". Für Elie Domota, den charismatischen Sprecher der Allianz, stellt sich das Problem ohnehin andersherum. So seien die Gelder, die vom alten Kontinent nach Guadeloupe fließen, geradezu unbedeutend im Vergleich zu dem Reichtum, den Frankreich aus seiner ehemaligen Kolonie zieht.
    Straße in der Hafenstadt Pointe-a-Pitre auf der Karibikinsel Guadeloupe.  
    Straße in der Hafenstadt Pointe-a-Pitre auf der Karibikinsel Guadeloupe. Die marode Infrastruktur ist überall sichtbar. (dpa / Jürgen Darmstädter)
    "Guadeloupe, Martinique, Französisch-Guyana, Réunion, Neukaledonien… alle Kolonien also –das sind die Gebiete, die den Reichtum Frankreichs ausmachen. Frankreich ist die zweitgrößte maritime Weltmacht – dank der Kolonien. Frankreich ist eine außergewöhnliche Wirtschaftsmacht – dank der Kolonien. Frankreich hat den weltbesten Raketenstartplatz für Satelliten – dank der Kolonien. Frankreich ist der zweitgrößte Produzent von Nickel – dank der Kolonien. Also ernährt nicht Frankreich Guadeloupe, sondern Guadeloupe ernährt Frankreich."
    Erste europäische Siedler kamen 1635
    Im Vergleich mit anderen europäischen Mächten hat sich Frankreich am weitesten ausgedehnt: Von den neun europäischen "Gebieten äußerster Randlage" sind sechs französisch. Für den Historiker und LKP-Zuständigen Raymond Gama können die spezifischen Machtstrukturen auf Guadeloupe nur im Licht der französischen Kolonialgeschichte verstanden werden.
    "Am Mittwoch dem 28. Juni des Jahres 1635 landete eine Kolonie von 500 Personen auf Guadeloupe. Menschen französischer Herkunft, die per Schiff von Dieppe aufgebrochen waren. Das war die erste Begegnung zwischen der französischen Kolonisation und dem Gebiet Guadeloupe.”
    Diese erste Begegnung zwischen den indigenen Kalinago und den französischen Siedlern endete ein paar Jahre später mit einem Massaker, das nur wenige Kalinago überlebten. Die Siedler hingegen profitierten und entschieden sich für den Anbau des damaligen weißen Goldes: Rohrzucker. Im 17. Jahrhundert war Rohrzucker das begehrteste Handelsgut aus Übersee und war rentabler als Tabak oder Baumwolle, auch deshalb, weil es auf riesigen Plantagen kultiviert werden konnte, in denen scheinbar unerschöpfliche Arbeitskräfte schufteten: Sklaven aus Afrika.
    Sklaverei wurde in Europa zunehmend infrage gestellt
    Dass der transatlantische Sklavenhandel und die Entwicklung des kapitalistischen Systems zusammenhängen, wird heute kaum noch infrage gestellt. Über die genauen Hintergründe der Abschaffung der Sklaverei wird aber noch gestritten.
    Einerseits bewirkte die Moralisierung der Politik zu Beginn des 19. Jahrhunderts, dass die Sklaverei in Europa zunehmend als unmenschlich wahrgenommen wurde. Für Mireille Fanon-Mendès-France, die Vorsitzende der Stiftung Frantz Fanon, ging es aber auch um ein Kostenkalkül.
    "Der Rohrzuckerhandel nahm damals stetig ab – stattdessen sollte der Rübenzucker gefördert werden. So war das wirtschaftliche System, das auf der Sklaverei beruhte, plötzlich viel weniger lukrativ. Es brachte einfach nicht mehr genug Geld ein. Der Abolitionnist Schoelcher sagte damals sogar: Wir müssen die Siedler retten!"
    Pachtsystem wie in der Feudalzeit
    Auch wenn die ehemaligen Sklaven damals befreit wurden, richtig unabhängig durften sie nicht werden. Und um zu verhindern, dass ehemalige Sklavenbesitzer von einem Tag auf den anderen Bankrott gingen, wurden sie für ihren Verlust entschädigt. Pro Sklave wurde ein Preis festgelegt und ausgezahlt.
    Um sicherzustellen, dass auch weiterhin für den bestehenden Exportmarkt genug produziert wurde, führte die Republik auf den Plantagen Guadeloupes die Teilpacht ein. Großgrundbesitzer –also ehemalige Sklavenhalter – durften ihren Pächtern vorgeben, was angebaut werden sollte und erhielten einen Protzentsatz der Ernte als Pacht. Vergleichbare –man nennt sie feudale Systeme - verschwanden in Europa nach dem Mittelalter, auf Guadeloupe erst im Jahr 2011.
    "Gestern ein Herr, heute ein Vorgesetzter. Gestern ein Sklave, heute ein prekärer Lohnarbeiter. Wenn der ehemalige Sklave sich geweigert hat, beim ehemaligen Herrn zu arbeiten, wurde er gesetzlich verfolgt, festgenommen und wegen Landstreicherei weggesperrt. Von Anfang an wurde eine zweispurige Gesellschaft aufgebaut, die ein Spiegelbild der Sklavereigesellschaft war. Eine ungleiche, rassistische Gesellschaft, die jedoch durch die Gesetze der Republik legalisiert wurde."
    Protestbewegung löste Debatte aus
    Als Stimme und Gesicht des LKP Kollektivs gilt der Gewerkschaftler Elie Domota in Frankreich als kontrovers.
    2009 hatte er mit dem LKP eine Protestbewegung angeführt, die Guadeloupe 44 Tage mit einem Generalstreik lahmgelegt hatte. Ursprünglich hatten die Proteste als Reaktion auf die schlechte wirtschaftliche Lage begonnen; sie mündeten aber recht schnell in einer weitreichenden gesellschaftlichen Debatte.
    Demonstraten werfen Steine auf Polizisten in der Nähe von Barrikaden in Saint Rose, Guadeloupe.
    Demonstraten werfen Steine auf Polizisten in der Nähe von Barrikaden in Saint Rose, Guadeloupe. (EPA / MAXPPP / Matthieu de Martignac)
    "Die Gründung des LKP 2009 hat viele Guadeloupeaner dazu angeregt, einige Gegebenheiten zu hinterfragen. Zum Beispiel: Wie konnte es sein, dass einige wenige Familien Tausende von Hektar Land für sich in Anspruch nehmen konnten? Land, das mit Gewalt zu Zeiten der Sklaverei in Besitz genommen wurde?”
    Nach den Protesten von 2009 brachen ganz konkrete Konflikte um die Verteilung des Grundbesitzes auf. In der Gemeinde von Sainte-Rose etwa. Hier stehen sich lokale Landwirte und die Agrargesellschaft der Grafschaft von Lohéac, kurz die CACL, gegenüber.
    Agrargesellschaft statt Grafschaft
    Die Grafschaft von Lohéac wurde im 17. Jahrhundert vom französischen König Ludwig XIV. gegründet. Damals für den Marquis de Crapado, einem Siedler und Sklavenhalter. Der Grundbesitz der Grafschaft von Lohéac wechselte mehrmals den Besitzer, bis in den 1940er-Jahren die Agrargesellchaft CACL auf einen Teil der Grafschaft gegründet wurde.
    Die CACL wird heute von Hubert de Jaham verwaltet, der Sproß einer einflussreichen Familie von "Békés". So nennt man in den französischen Antillen die Nachfolger der ersten Siedler.
    Seit 2013 besetzen einige Landwirte Ackerland der CACL und weigern sich, ihre Pacht zu zahlen. Für Hubert de Jaham wurde die rote Linie längst überschritten.
    "Es wurden Gerichtsurteile gefällt, die unser Eigentumsrecht bestätigen. Ungeachtet davon bleiben einige Landwirte stur. So ist die Lage im Moment. Wir gewinnen Gerichtsverfahren, die Justiz verurteilt die Landwirte und der Gerichtsvollzieher zieht den verurteilten Personen Geld ab. Aber scheinbar befinden wir uns hier in einem rechtsfreien Raum."
    Wiederentdeckung der eigenen Geschichte
    De Jaham fordert schon seit längerer Zeit die Vertreibung der Landwirte und Aktivisten. Die Protestierer zeigen sich davon unbeeindruckt. Jim Lapin, Generalsekretär des lokalen COSE-Kollektivs, verweist auf die Geschichte der Region:
    "Unsere Argument, die Argumente der Landwirte, liegen auf der Hand. Durch unsere Geschichte haben wir ein legitimes Recht auf dieses Ackerland. Dieses natürliche Recht muss sich vom geschriebenen Recht abheben. Denn Letzteres dient dazu, das System der Ausbeutung unversehrt aufrechtzuerhalten."
    Diese Argumente sind ungewöhnlich auf Guadeloupe, geschweige denn in der Metropole. Sie stehen aber in direktem Zusammenhang mit einem Wiederentdeckungsprozess der eigenen Geschichte. Jacques Martial ist Vorsitzender des ACTE Memorial, einem Museum für Sklaverei und Menschenhandel. Er moniert, dass das dunkle Kapitel der Sklaverei über Jahrzehnte ein Tabuthema in Frankreich war.
    Sklaverei erst 2001 in Frankreich zum Verbrechen erklärt
    "Nach der Abschaffung versuchte man zuerst, die Geschichte der Sklaverei zu vergessen. Für die ehemaligen Sklaven war die Erinnerung einfach zu schmerzhaft. Aber auch die ersten schwarzen Politiker auf Guadeloupe haben den Leuten geraten, die Vergangenheit zu begraben. Nun war ihr Ziel, französische Bürger zu werden, und die Sklaverei passte überhaupt nicht in das republikanische Projekt. Es erschien ihnen also besser, diesen Teil der Geschichte zu vergessen."
    Erst 2001 erklärte Frankreich die Sklaverei zum Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zu dieser Zeit wurden auch Forschungsprojekte zur Identität der heutigen guadeloupeanischen Gesellschaft durchgeführt. Raymond Gama interessiert sich besonders für die gemeinsamen Nachkommen der indigenen Kalinago und der afrikanischen Sklaven.
    "So haben wir ein neues, ich würde sagen 'Identitätskonzept' ausgearbeitet, das Konzept der 'Afro-Kalina-Nachkommen', und dadurch die Gesellschaft auf Guadeloupe neu definiert. Die Afro-Kalina-Identität beruht nicht auf ethnischen, sondern auf soziohistorischen Besonderheiten. Wir werden nicht durch unsere Hautfarbe definiert, sondern durch ein soziales Bewusstsein und unsere Bindung an die Erde."
    Die Pächter wollen nicht mehr zahlen
    Diese neue "Afro-Kalina-Identität" beschreibt die Menschen, die seit 400 Jahren auf Guadeloupe das Ackerland bearbeiten, welches die europäischen Siedler im 17. Jahrhundert mit Gewalt erobert haben. Deshalb sprechen einige Organisationen aus der Zivilgesellschaft von einem historischen Recht der "Afro-Kalinas" auf dieses Ackerland.
    In Paris demonstrieren mehrere Tausend Menschen als Zeichen der Solidarität mit den Bewohnern der französischen Überseegebiete.
    Solidaritätsdemonstration in Paris mit Protesten in französischer Karibik (EPA / Lucas Dolega)
    Der kleine Landstreit mit der Agrargesellschaft CACL hat sich im Lauf der Jahre zu einem regelrechten juristischen Krieg entwickelt. Die CACL hat die Pächter, die nicht mehr zahlen wollen, vor Gericht gebracht.
    Die Landwirte haben sich ihrerseits die Unterstützung des Menschenrechtsanwalts Gilles Devers und der Frantz Fanon Stiftung gesichert. Um das Verfahren mit der CACL auf eine höhere Ebene zu bringen, klagen sie gegenwärtig gegen den französischen Staat. Die Begründung: Statt der Opfer seien die Sklavenbesitzer durch die Abschaffungsgesetze einseitig begünstigt worden.
    Kläger wollen Anhöhrung vor dem Verfassungsgericht
    Anwalt Gilles Devers will die französische Justiz auffordern, zu prüfen, ob die damalige Entschädigung der Sklavenbesitzer verfassungsgerecht war. Die Kläger verlangen zudem eine Untersuchung von Langzeit-Konsequenzen der feudalen Teilpacht für das Leben der Landwirte auf Guadeloupe. Bis 2011 konnten diese Pächter nur das anbauen, was ihnen vom Großgrundbesitzern vorgegeben wurde.
    "Und was machten die Besitzer? Sie ließen Zuckerrohr oder Bananenstauden anbauen, Exportwaren also. Ihrerseits hatten die Kleinbauern keine Kontrolle über den Exportmarkt. Wenn dieser zusammenbrach, machten sie große Verluste, während der Besitzer in seinem Sessel auf seinen Prozentsatz wartete. Und wo durfte der Landwirt gegen einen 150 Jahre langen wirtschaftlichen Nachteil Beschwerde einlegen? Nirgendwo!"
    Heute fordern die Kläger keine reine Entschädigung, sondern eine kollektive Wiedergutmachung, eine Neuverteilung des Ackerlandes.
    Gegenwärtig streben sie eine Anhörung vor dem Verfassungsgericht an, ein langer und kniffliger Prozess. Sie bleiben auch deshalb am Ball, weil der Konflikt mit der CACL Symbolcharakter für den gesellschaftlichen Protest auf Guadeloupe erlangt hat und weil in der Zwischenzeit auch soziale Bewegungen aus anderen französischen Überseegebieten interessiert diesen Rechtsstreit zwischen dem französischen Staat, der CACL und den Landwirten verfolgen.
    Politischer Rechtsruck in der Bevölkerung
    Eines scheint klar zu sein: Weitere Gelder in die Wirtschaft der Überseegebiete zu pumpen, ist keine dauerhafte Lösung. Aber könnte eine Wiedergutmachung die strukturelle Diskriminierung auf Guadeloupe aufheben? Zumindest teilweise? In Frankreich bewegt diese Frage die Gemüter. Auch und nicht zuletzt weil eine kollektive Wiedergutmachung in der Praxis hochkomplex sein dürfte.
    Dennoch: Es werden dringend neue Lösungen für die französischen Überseegebiete benötigt. Zur Verbesserung des angespannten sozialen Klimas und der desaströsen wirtschaftlichen Lage. Denn diese bewirken, dass immer mehr Guadeloupeaner auswandern und durch geringverdienende Arbeitsmigranten ersetzt werden. Parallel dazu ist ein politischer Rechtsruck bei der Bevölkerung in den Überseegebieten feststellbar. Jacques Martial, der Vorsitzende des Museums für Sklaverei und Menschenhandel:
    "Die rechtsextreme Philosophie liegt darin, die Schuld bei anderen zu suchen. Hier mögen die Sündenböcke aus Dominica oder Haiti kommen, es werden aber genau die gleichen widerlichen Mechanismen der Diskriminierung reproduziert. Es ist dramatisch, dass die Mechanismen, unter denen die Guadeloupeaner in unserer ungleichen Gesellschaft leiden, wiederum gegen andere angewendet werden."
    Jacques Martial erinnert daran, dass die Stabilität in den Überseegebieten kein rein europäisches Thema ist. Denn die europäischen Gebiete in äußerster Randlage beeinflussen ihre umliegenden Regionen in hohem Maße. Trotzdem: Die Frage steht im Raum, wie viel Vergangenheit muss aufgearbeitet werden, um die Zukunft für alle gerecht zu gestalten? Darüber gibt es auf Guadeloupe noch keinen Konsens.