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Kritische Stimmen unerwünscht
Ungarns Regierung geht gegen NGOs vor

Ein Jahr vor den Parlamentswahlen möchte die Regierung von Viktor Orbán kritische Nichtregierungsorganisationen mundtot machen. Ein besonderer Dorn im Auge sind ihr die NGOs, die von dem liberalen US-Börsenmilliardär George Soros finanziell unterstützt werden. Eine davon: das Budapester Netzwerk Atlátszó, das gegen die Korruption im Land vorgeht.

Von Jan-Uwe Stahr | 14.03.2017
    Der ungarische Premierminister Viktor Orban spricht nach dem gescheiterten Referendum zur Flüchtlingspolitik auf einer Pressekonferenz in Budapest, Ungarn.
    Ein Jahr vor den Parlamentswahlen geht der ungarische Premierminister Viktor Orbán gegen kritische NGOs vor. (AFP)
    "Hier sieht man eine Karte des ganzen Landes", sagt Akos Malloy und zeigt auf den Bildschirm seines Laptops.
    "Die verschiedenen Farben zeigen die Höhe der Subventionen an, die in die einzelnen Regionen geflossen sind."
    Der 44-jährige IT-Experte hat für das Recherchenetzwerk Atlátszó eine interaktive Ungarnkarte programmiert. Im Internet kann damit jedermann genau verfolgen: Wie viel Geld ist aus welchem Förderprogramm der Europäischen Union in den vergangenen fünf Jahren nach Ungarn geflossen? In welchen Verwaltungsbezirk, welche Stadt, welches Dorf? Jeder Bürger kann sich mithilfe dieser Karte ein Bild machen von den Ergebnissen in seinem Ort, erläutert Malloy.
    "Und dann kannst du dich fragen: Was sieht man von dem Geld? Gibt es irgendein Ergebnis oder ist das alles gestohlen worden?"
    Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft
    Tamás Bodoky, Journalist und Gründer des Budapester Recherchenetzwerkes Atlátszó
    Tamás Bodoky, Journalist und Gründer des Budapester Recherchenetzwerkes Atlátszó (Deutschlandradio/Jan-Uwe Stahr)
    Die Nichtregierungsorganisation Atlátszó hat selber schon etliche Beispiele aufgedeckt, wo erhebliche Summen, nicht nachvollziehbar versickert sind. Hauptsächlich dort, wo Projekte mit EU-Geldern gefördert wurden, bei denen Parteifreunde von Ministerpräsidenten Viktor Orbán profitierten. Auch die europäische Antikorruptionsbehörde OLAF hat schon Fälle aufgegriffen, die von Atlátszó recherchiert wurden. Der Orbán-Regierung sind diese – für sie unangenehmen – Aktivitäten schon lange ein Dorn im Auge. Jetzt bläst sie zum Angriff auf alle Nichtregierungsorganisationen, die finanziell von der amerikanischen "Open-Society-Stiftung" des Börsenspekulanten und Milliardärs George Soros unterstützt werden. Dazu gehören Menschenrechtsgruppen, die sich um Flüchtlinge kümmern, die Antikorruptionsorganisation Transparency International und das Budapester Recherchenetzwerk Atlátszó.
    "Es begann mit einer Pressekampagne in den regierungsnahen Medien" , berichtet der 45-jährige Journalist und Atlátszó-Gründer Tamás Bodoky. In diesen Pressemeldungen war auch die Rede von einem Bericht des ungarischen Geheimdienstes. Darin hieße es, dass die Open-Society-Stiftung mithilfe der NGOs die Politik in Mittelosteuropa beeinflussen würde. Atlátszós Forderung, diesen ominösen Bericht zu veröffentlichen, blieb bisher erfolglos. Deshalb gehe man nun vor Gericht.
    "Wir glauben nämlich, dass der Geheimdienst korrekt arbeitet und dass in diesem Bericht nichts drinsteht, was die NGOs belastet", betont Bodoky. Hinter der Pressekampagne, so habe Atlátszo aus seinen Quellen erfahren, stecke eine Kommunikationsstrategie der Regierung. Sie solle dazu dienen, in der Öffentlichkeit Unterstützung für ein neues Gesetz zu bekommen, das die ausländische Finanzierung von NGOs in Ungarn einschränkt.
    Mit Offenlegung sämtlicher Finanzquellen, wie sie die Regierung fordert, habe Atlátszó kein Problem. Bereits seit der Gründung vor fünf Jahren werden diese Zahlen anschaulich und für jedermann zugänglich ins Internet gestellt.
    "Die letzte Attacke der Regierung hat uns sehr genutzt"
    Der Angriff der Regierung von Viktor Orbán auf die Sponsoren der ungarischen Zivilgesellschaft ist nicht der erste. Vor drei Jahren ging es bereits gegen eine gemeinsame Stiftung von Norwegen, Island und Liechtenstein. Die Auszahlung ihrer Gelder an NGOs wurde gestoppt.
    "Die letzte Attacke hat uns sehr genutzt. Wir baten unsere Leser damals, uns mehr zu unterstützen, um unsere Legitimität zu erhöhen. Die Leute haben die Botschaft verstanden und uns mehr gegeben". Mehr als die Hälfte seines jährlichen Budget von rund 300.000 Euro bezieht das Budapester Recherchenetzwerk heute über das sogenannte Crowdfunding, also aus Kleinspenden. Selbst wenn die ungarische Regierung es jetzt schaffen sollte, die Geldquelle aus Amerika versiegen zu lassen, aufhören würde Atlatszo wohl nicht. Denn schließlich sind nächstes Jahr Wahlen in Ungarn und - das dürfe man erwarten - das Thema Korruption und Vetternwirtschaft werde im Vorfeld eine große Rolle spielen.