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Künast will nach Berlin-Niederlage erneut in den Wahlkampf-Ring

Nach ihrer erfolglosen Kandidatur in Berlin als Regierende Bürgermeisterin überrascht Renate Künast mit ihrer Bewerbung um die Spitzenkandidatur der Grünen für die Bundestagswahl 2013. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag wirft außerdem Umweltminister Altmaier mangelndes Engagement in der Energiepolitik vor. So würden nach wie vor zu viele Ausnahmen gemacht, die am Ende über steigende Strompreise zu Lasten des Verbrauchers gingen.

Renate Künast im Gespräch mit Christel Blanke |
    Christel Blanke: Frau Künast, jetzt ist es raus: Sie wollen sich erneut um die Spitzenkandidatur der Grünen für die Bundestagswahl 2013 bewerben, so wie Sie es auch schon 2009 gemacht haben. Warum?

    Renate Künast: Also, ich bewerbe mich um eine dieser beiden Spitzenfunktionen, weil ich glaube, dass wir, nachdem eine Doppelspitze beschlossen wurde, die so aufstellen sollen, dass es tatsächlich die ganze Breite und ganze Stärke der Partei darstellt. Und ich glaube, dass ich gerade beim Thema soziale Gerechtigkeit, Kinder in den Mittelpunkt zu stellen, aber auch bei der Frage des Erhalts unserer natürlichen Lebensgrundlagen, des Naturhaushaltes etwas beitragen kann und insofern grüne Kernthemen verbreite. Es kommt ja darauf an, Krisenmanagement zu betreiben, große Umstrukturierungen zu betreiben – zum Beispiel bei der Energiewende oder ökologischen Transformation. Aber es kommt eben auch bei alledem darauf an, den Alltag der Menschen zu organisieren. Und dazu biete ich mich an.

    Blanke: Nach der Abgeordnetenhauswahl in Berlin haben Sie eine Menge Kritik einstecken müssen, obwohl Sie mit 17 Prozent ein sehr gutes Ergebnis eingefahren hatten. Aber es wurde eben auch parteiintern von vielen mehr erwartet. Glauben Sie denn, dass die Partei Sie trotzdem jetzt noch einmal ins Rennen schicken wird?

    Künast: Also, es hat natürlich eine Zeit der Aufarbeitung gegeben nach diesen 17,6 Prozent, also wir haben 4,5 Prozent dazu gewonnen, die SPD hatte verloren. Es hat eine Aufarbeitungszeit gegeben, da gab es auch manches zu verdauen, also aufzuarbeiten und zu verdauen, auch für mich an der Stelle. Aber ich glaube, dass das auch ein Bereich war, aus dem ich gelernt habe. Also, Sie sehen mich, das meine ich ganz ernst, um eine große und wichtige Erfahrung reicher. Ich hab dabei auch eine Menge gelernt, auch durch den Mut, diese Kandidatur damals zu machen.

    Und jetzt bin ich motiviert, das, was ich da auch gelernt habe, wieder einzubringen an der Stelle – motiviert, auch die Partei und Wählerschaft in der Mitte der Gesellschaft tatsächlich zu ziehen für die Themen, für die ich stehe, mal abgesehen davon, dass Spitzenkandidatsein eine Funktion auf Zeit ist. In Wahrheit sind es ja die fast 60.000 Mitglieder der Partei, die gemeinsam vor Ort an Ständen in vielen Veranstaltungen ziehen.

    Blanke: Sie gehören dem realpolitischen Flügel der Partei an, im Gegensatz zum linken, also die Grünen teilen sich immer so ein bisschen in diese beiden Flügel ein. Und auch in Ihrem Lager, im realpolitischen, gab es ja eine Menge Kritik nach der Berlin-Wahl, und da gab es auch gewisse Absetzbewegungen, es wurden andere Kandidatinnen aus diesem Bereich vorgeschlagen. Haben Sie denn jetzt die Unterstützung der Realpolitiker?

    Künast: Also ich glaube, ich habe Unterstützung in verschiedenen Flügeln, in der Breite der Partei. Nicht alle sortieren sich übrigens in solche Flügel rein. Und ich glaube, dass Spitzenkandidaten am Ende auch eines machen müssen – die gesamte Partei vertreten, so zusagen die grüne Idee und die gesamte grüne Stärke, um weit über die Partei hinaus Wählerinnen und Wähler zu animieren, zu motivieren und zu mobilisieren. Und ich glaube, das kann ich, und deshalb stelle ich mich dann einer Abstimmung.

    Blanke: Gibt es denn eigentlich die Bedeutung dieser Flügelarithmetik noch? Also es gab ja immer bei den Grünen die Aufteilung bei den Doppelspitzen in verschiedenen Bereichen – in Mann und Frau und Realos und Linke. Ist das heute noch so entscheidend wie früher?

    Künast: Also sicherlich ist es so, dass eine Menge mehr Mitglieder unserer Partei sich so gar nicht mehr einsortieren in diese Flügel, sondern vor Ort ganz praktisch Politik machen, sich für Themen interessieren und die grüne Familie insgesamt. Trotzdem haben natürlich diese Flügel als meinungsbildende Struktur innerhalb der Partei schon noch eine Bedeutung. Es sind ja Möglichkeiten, wo sich Gleichgesinnte zu bestimmten Themen innerhalb der Partei zusammensetzen können, Themen auch vorbereiten oder sogar Themen anschieben.

    Also, ich will daran erinnern, dass das Thema Kinder in den Mittelpunkt zu stellen und die Bildungsinfrastruktur nach vorne zu stellen als zentrales Gerechtigkeitsthema so zusagen von der Krabbelgruppe bis zur Universität, das war ja zum Beispiel ein Teil, der gerade von den Reformern innerhalb der Partei kam. Wir haben ja eine intensive sozialpolitische Diskussion geführt wie bei manchem anderen Thema auch – die Wirtschaftspolitik, und damit die Schaffung neuer Jobs war ein Thema, das die Reformer ganz stark angeschoben haben in der Partei, sich also nicht nur einzelne Sektoren rauszusuchen, sondern wirklich zu sagen: Man kann mit grüner Politik schwarze Zahlen schreiben, wirtschaftswettbewerbsfähig aufbauen. Also insofern haben sie dann auch schon noch Funktion.

    Blanke: Nun gilt ja bei vielen Jürgen Trittin bereits als gesetzt, obwohl er es noch nicht ist, auch er muss sich ja einer Abstimmung erst noch stellen. Trittin gehört zum linken Flügel, ebenso wie Claudia Roth, die den Finger gehoben hat. Da gab es ja viele Diskussionen jetzt, ob die Grünen tatsächlich mit zwei – in Anführungsstrichen – "linken Kandidaten" antreten würden. Glauben Sie, dass Sie mehr Chancen haben als Claudia Roth, eben weil Sie dieses Gleichgewicht zwischen Fundis und Realos wieder herstellen würden in der Doppelspitze?

    Künast: Also, ich fange jetzt an, mich nicht gegen andere Personen zu definieren. Die Doppelspitze ist bei uns entwickelt worden, um Geschlechtergerechtigkeit herzustellen. Das war keine Flügelfrage. Anfangs ging es um Geschlechtergerechtigkeit, damit Frauen und Männer in Funktionen vertreten sind, weil wir ja auch wissen und gelernt haben: Es ist halt so, dass Frauen und Männer unterschiedliche Durchsetzungsmechanismen haben, anders sprechen, anders auftreten teilweise. Und deshalb haben wir gesagt: Jetzt schaffen wir mal eine Gegenstruktur. Und die ist eben bei uns intern die Quote und auch die Doppelspitzen, ob in der Partei, in der Fraktion oder dann bei Spitzenkandidaten. Das hat sozusagen eine strukturelle Sicherheit, diese Geschlechtergerechtigkeit auch umsetzen zu können.

    Und dann sage ich in aller Demut: Am zweiten September wird der Länderrat entscheiden, welches genaue Verfahren wir nehmen. Bisher steht ja erst mal nur fest, dass es zwei Personen an der Spitze sind. Über weitere Teams dahinter ist ja noch gar nicht groß geredet worden. Am zweiten September wird entschieden, ob es eine Wahl über eine Bundesdeligiertenkonferenz im November gibt oder eine Urabstimmung. Ja, und dann stehen Personen zur Wahl – so viele, wie sich eben bis Ende August gemeldet haben.

    Blanke: Die zwei an der Spitze können theoretisch auch zwei Frauen sein. Wie stehen denn die Chancen für eine Doppelspitze Roth – Künast?

    Künast: Ich weiß es nicht. Theoretisch haben Sie recht – also weil tatsächlich unser Wahlverfahren so ist, dass man mindestens eine Frau ankreuzen muss. Man kann aber auch zwei Frauen ankreuzen. Es kommt ja am Ende alles auf die zahlenmäßigen Ergebnisse an. Aber ich glaube, dass jetzt die spannendste Frage gar nicht ist, über das Verfahren zu philosophieren oder über das Ergebnis, das wir alle bekanntermaßen nicht kennen, sondern dass die Grünen dann auch in eine nächste Phase gehen. Wir haben die Doppelspitze beschlossen, wir haben beschlossen, dass es demokratisch legitimiert sein soll, haben zwei Verfahren dafür vorgesehen, über die zu entscheiden ist. Und jetzt geht es eigentlich darum, auch mit diesen Personen erst mal bei den Kandidaten, aber dann später über den Inhalt zu diskutieren.

    Und es gibt wirklich die Aufgabe, dieses Schwarz-Gelb, das ja Ideologie gefahren ist, die schlechteste Regierung aller Zeiten ist, die wir hatten und unfähig ist, wie wir auch aktuell sehen, die abzulösen und dagegen zu zeigen: Es gibt eine Möglichkeit einer anderen Politik. Es gibt eine Alternative dazu – nicht wie Merkel immer sagt: Es ist alles alternativlos, was sie tun. Und das möchte ich gerne darstellen, also wirklich eine andere Gesellschaft, wo wir anders miteinander leben, die Schere zwischen arm und reich kleiner wird, um damit wirklich ein gutes Gemeinwesen organisieren: Teilhabe für alle und der Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Das sind zwei Punkte, die für mich vornan auf der Agenda stehen.

    Blanke: Renate Künast ist im Interview der Woche im Deutschlandfunk zu Gast, die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Sie wollen Schwarz-Gelb ablösen, da sind Sie sich ja wahrscheinlich mit allen Kandidaten Ihrer Partei einig. Nun war das große Thema der Grünen immer der Atomausstieg. Den haben wir nun. Also warum soll ich 2013 grün wählen?
    Künast: Also der Atomausstieg ist ja ein herausragender Punkt, sicherlich auch die Speerspitze einer anderen Energiepolitik und einer verantwortlicheren Energiepolitik, die nicht auf Kosten der Gesundheit der Menschen geht und am Ende auch auf Kosten des Klimas geht. Wir haben den Ausstieg aus der Atomenergie immer als unsere Speerspitze begriffen, ja, weil wir uns auch – sagen wir mal – hinterhältig belogen fühlten, weltweit, aber auch hier. Das sei sicher, sauber und so, und nun sieht man doch, schon im Normalbetrieb sondern Atomkraftwerke Radioaktivität ab, und sie sind selbst in vielen Industrieländern – siehe zuletzt Japan – gar nicht beherrschbar, auch in all ihren Folgen.

    Für uns kommt jetzt aber der zweite Schritt. Und der zweite Schritt ist nach dem Ausstieg aus der Atomenergie und seinem Beschluss jetzt tatsächlich die Transformation – das große Rad zu drehen und daraus eine ganz neue Energiepolitik zu machen. Also eine Dezentrale, die eines Tages auf hundert Prozent erneuerbare Energie setzt. Und das ist gar nicht trivial, es ist eine große Aufgabe so viel Energie einzusparen, dass es für den Endverbraucher, Otto Normalverbraucher, aber auch für das Gewerbe und Unternehmen, so zusagen einen finanziellen Reiz gibt und gut für das Klima ist, Effizienz voranzutreiben mit einer richtigen Innovationsoffensive – und erneuerbarer, aber nachhaltig und verantwortlich, nicht mit Raubbau auszubauen. Also die drei "E" – Einsparen, Effizienz und Erneuerbare, das muss man jetzt machen. Und da sage ich mal: Das kann keiner außer den Grünen. Herr Altmaier hat doch gerade, wenn ich das richtig sehe, mal wieder irgendwie ein Kohlekraftwerk eingeweiht, ein Braunkohlekraftwerk – zusammen mit Hannelore Kraft. Daran sehen Sie schon, dass die anderen zwar gerne Grünsprech machen, aber am Ende nicht in der Lage sind, es systematisch umzusetzen.

    Blanke: Auf jeden Fall haben sie aber auch inzwischen erkannt – die Regierungsparteien, dass das eine sehr, sehr große Aufgabe ist und dass da noch lange nicht alles auf gutem Weg ist. Die beiden hauptsächlich zuständigen Minister, Wirtschaftsminister Rösler und Umweltminister Altmaier, wollen jetzt beide in ihren Ministerien Umgestaltungen vornehmen, neue Abteilungen extra für die Energiewende einrichten. Bei wem ist denn das Thema eigentlich besser aufgehoben, bei Rösler oder bei Altmaier?

    Künast: Fazit der bisherigen Beobachtungen für mich ist, dass es irgendwo zwischen den beiden Ministerien in einer Art Bermuda-Dreieck immer abhanden kommt. Also es sind ja schon ideologische Kämpfe zwischen beiden, und da lasse ich mich auch nicht besänftigen durch die Gründung neuer Abteilungen und die neue Aufstellung. Die Frage ist doch: Was macht der Chef? Wenn der als Minister mit seinem Grünstift ran geht oder in der Vorbereitung von politischen Bereichen mit seinen Mitarbeitern spricht, wo soll die Reise eigentlich hingehen?

    Und ich sage Ihnen, in vielen Bereichen haben jetzt zuletzt bei der Effizienzrichtlinie in Europa Altmaier und Rösler ständig gebremst und es immer weiter verwässert. Herr Altmaier ist nicht mal in der Lage, ein klares Bekenntnis zum zentralen Instrument der Energiewende abzugeben, nämlich dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. Am Ende ist es so, dass sowohl Altmaier als auch Rösler immer auf Freiwilligkeit setzen. So wird das nichts, kann ich Ihnen sagen.

    Man braucht jetzt schon engagierte Personen, die wirklich wissen, dass die Energiewende für viele Sachen gut ist – für die starke Arbeit gegen den Klimawandel mit darstellt neben einem Klimawandel-Schutzgesetz, aber auch Wettbewerbsfähigkeit für Unternehmen darstellt – moderne Produkte, Einsparen von Energie im Produktionsprozess. Und die Energiewende ist eine Absicherung der Verbraucherinnen und Verbraucher, dass meine Wohnung, in der ich lebe, mein Haus, in dem ich lebe, weniger Energie braucht und deshalb auch von dem ganzen Preisdruck, der zum Beispiel bei fossilen jetzt besteht, befreit ist. Das muss doch das Interesse sein. Und keiner von beiden hat es bisher geschafft, wirklich die alten Privilegien abzuschneiden. Beide lassen Ausnahmen ohne Ende zu oder organisieren sie sogar noch für die Wirtschaft. Und die Zeche dieser Ausnahmen zahlt am Ende der Endkunde, der Verbraucher. Also, ich traue keinem von beiden.


    Blanke: Das ist ja der Grund, warum im Moment auch so viel über steigende Strompreise gesprochen wir. Also nicht, dass Sie den beiden nicht trauen, sondern eher der Punkt, dass Sie sagen, Altmaier steht nicht zum EEG. Aber er sagt ja, wir müssen es umkrempeln, damit die Strompreise nicht steigen. Wie kann man das denn in den Griff bekommen aus Ihrer Sicht? Altmaier will Energiesparberatung anbieten. Reicht das?

    Künast: Also, als ich das gehört habe, dass Herr Altmaier jetzt wie Kai aus der Kiste kommt mit der Energiesparberatung, habe ich gedacht; "Wie putzig". Also, ich weiß gar nicht, vor wie vielen Jahren wir als Grüne das schon in unsere Papiere geschrieben haben und gefordert haben. Wir haben übrigens auch Konzepte dazu. Wenn man einen ordentlichen Emissionshandel hat, hat man finanzielle Einnahmen. Dazu muss man aber die Zertifikate erst mal knapper machen und nicht so weiter verschenken. Man hat finanzielle Einnahmen durch den Emissionshandel, die in einen Energiesparfond kommen. Und der finanziert dann die kostenlose Beratung für Haushalte. So geht es. Herr Altmaier geht jetzt populistisch mit den Strompreisen durch die Welt, hat aber kein Angebot, wie er das löst. Und für seine Energieberatung hat er auch nicht gesagt, wie er die am Ende eigentlich bezahlen will.

    Blanke: Wie sollte man das Problem denn lösen, dass die Strompreise nicht steigen?

    Künast: Ja, wir brauchen im wahrsten Sinne des Wortes erstens mal die Wahrheit. Und ich sage mal, bei ca. 10 Jahren und 10 Cent pro Kilowattstunde Steigerung, wenn Sie sich es mal angucken, die 10 Cent sind nur zu 3 Cent durch erneuerbare Energien ausgelöst. Der Rest war ja Mitnahme für die großen Konzerne an der Stelle.

    Blanke: Also muss man da ran, oder wie?

    Künast: Also muss man da ran. Das heißt als Erstes, dass wir jetzt wirklich mal mehr Wettbewerb im Energiebereich herstellen, dass wir einen gezielten Plan haben, der die Möglichkeit schafft, die Erneuerbaren tatsächlich mehr ins Netz einzuspeisen. Dafür brauchen wir den Netzausbau, damit wir nicht irgendwann erneuerbare Energiequellen abschalten, weil einfach zu viel unterwegs ist. Wir brauchen für die Zeiten, in denen die Erneuerbaren nicht funktionieren, flexible Kraftwerke, zum Beispiel Gaskraftwerke. Die sind aber im Augenblick dann gar nicht mehr finanziell tragbar von Unternehmen, weil man nie einschätzen kann, wann wie viel 100 Prozent Erneuerbare, zum Beispiel mittags bei Sonnenschein, so über Stunden unterwegs sind. Dazu brauchen wir so was wie Kapazitätsmärkte.

    Blanke: Altmaier sagt, das wäre eine neue Subvention, also noch wieder mehr Kosten.

    Künast: Wissen Sie, Herr Altmaier läuft immer rum und gibt kluge Ratschläge. Ich möchte mal seinen Plan kennen. Wir sagen als Grüne immer, alle umweltschädlichen Subventionen sind abzuschaffen. Und wir haben auch eine feste Überzeugung davon, dass man Subventionen grundsätzlich degressiv gestaltet, das heißt, sie werden langsam abgebaut. Sie werden immer wieder hinterfragt. Insofern hat auch unser Erneuerbare-Energien-Gesetz ja einen Top-Punkt, und das ist der, dass es die erste Subvention war, die degressiv gestaltet ist, wo man zwangsweise immer wieder nachrechnen muss, ob sie nicht zu hohe Mitnahmeeffekte hat, und sie dann systematisch weiter gesenkt wird.

    Wer die Energiewende will – überlegen Sie mal, aus dem fossilen Bereich, Atombereich, in der viertgrößten Industrienation Deutschland den Energiebereich umstellen will, der kann das nicht mit einem Fingerschnipps, sondern muss über die Jahre auch die dazwischenstehenden Probleme sehen. Und die heißen zum Beispiel, wir brauchen flexible Gaskraftwerke, solange wir nicht genug Speicher haben für die Erneuerbaren, um sie dann zum Beispiel nachts verfügbar zu haben. Dann brauchen wir die Gaskraftwerke. Die sind finanziell am günstigsten, weil man sie einfacher rauf und runter fahren kann. Aber Sie müssen auch ein Stück eine Zusage haben für deren Finanzierung. Sonst ist es doch für Unternehmen gegenüber ihren Aktionären gar nicht vertretbar zu erklären, warum man ein Gaskraftwerk hat, das aber sozusagen mit einem Bein immer in den roten Zahlen steht. Also haben wir ein Interesse, diese Gaskraftwerke auch für eine Übergangszeit als Kapazität mit zu haben. Dann müssen wir sie aber durch Subventionen, die man degressiv gestalten kann, absichern. Diese Gaskraftwerke können übrigens eines Tages relativ einfach auf Biogas umgestellt werden. Dann sind sie Teil einer vielleicht vollendeten Energiewende. Man muss schon einen Gesamtplan daraus haben.

    Und Herr Altmaier, ich sage mal nach drei Monaten Fortbildung im Bundesumweltministerium kommt jetzt in eine Pressekonferenz und sagt uns, seine Aufgabe sei es, gegenüber dem Druck zum Ausbau der Erneuerbaren, der in den Bundesländern herrscht, bremsend zu wirken. Na, das ist ja eine ganz tolle Nummer. Also, der Bundesumweltminister will die Energiewende machen, läuft aber mit Bremsklötzen durch die Welt. Ich erwarte von ihm, dass er ein Konzept hat, das vom Netz bis zur kostenlosen Energieberatung funktioniert und dass er dabei auch den Mut hat, alte Privilegien abzuschneiden und dass er auch den Mut hat, was für das Klima zu tun, zum Beispiel hingehen zu einer Verschärfung beim Emissionshandel, damit tatsächlich Geld eingenommen wird und weniger emittiert wird. Ich erwarte auch, dass er Mut hat, in Brüssel zu sagen, die Co2-Reduzierung soll europaweit 30 Prozent betragen. Das macht er nicht.

    Blanke: Das hat er ja versprochen. Das will er ja machen, hat er in dieser Woche gesagt. Aber noch mal die Frage . . .

    Künast: Ich habe nur gehört, dass er sagt, das wäre schön, wenn wir eine Minus-30-Prozent Co2 in Europa vereinbart hätten, aber ich habe nicht die Ankündigung gesehen, dass er demnächst ins Kabinett den Beschluss einbringt, Deutschland kämpft für die Festlegung von minus 30 Prozent.

    Blanke: Noch mal die Frage, Frau Künast, das EEG. Die FDP will es abschaffen, Altmaier will es reformieren. Also Sie sagen, es braucht nicht reformiert werden?

    Künast: Ich will mich gar nicht jeder Idee an der Stelle verschließen. Ich sage aber, der Kern des EEG stimmt. Der Kern des EEG stimmt, wenn es um die Frage geht, dass wir tatsächlich die Einspeisevergütung ja regelmäßig neu berechnen und deshalb durchaus am Ende auch wirtschaftlich vertretbar und berechenbar für die nächste Zeit man tatsächlich in erneuerbare Energien investieren kann. Beim Thema Biomasse würde ich gerne noch mal die Hand anlegen, weil wir einfach bei der Biomasse ein großes Problem haben. Wir haben eine Vermaisung der Landschaft in Deutschland, also immer mehr Mais als Monokultur. Das macht uns den guten Ackerboden kaputt. Das zerstört uns die Artenvielfalt. Und an der Stelle, finde ich, muss es eine Veränderung geben, also tatsächlich hin zu einer besseren Förderung einzelner kleinerer und mittlerer Anlagen, damit es nicht immer mehr die Agrarindustrie ist, die da zur Vermaisung der Landschaft und zu Monokulturen beiträgt. Es muss der Zwang da sein, die Wärme zu nutzen und dazu gehört am Ende übrigens auch eine Agrarreform, die dazu führt, dass diese Maismonokulturen ein Ende finden. Auch da sperrt sich die Bundesregierung in Brüssel. Und es wäre eigentlich für einen Bundesumweltminister, der für Artenvielfalt zuständig ist, ein guter Punkt.

    Also, Sie sehen, das Thema Energiewende hängt auch mit anderen Themen zusammen. Eins ist doch klar: Wir wollen die Energiewende machen, wir wollen aber gleichzeitig unsere Lebensgrundlagen erhalten. Und das heißt, wir denken immer ans Klima, an Artenvielfalt und – das sage ich angesichts der Dürre und des Welthungers und der Sorge um steigende Lebensmittelpreise – wir müssen auch weltweit, aber auch bei uns, guten Ackerboden erhalten und dürfen ihn nicht nur der Profitgier von Agrarindustrie anheim fallen lassen.

    Blanke: Das zweite große Thema, das auch ein Wahlkampfthema werden dürfte, ist die Eurokrise, Frau Künast. Die Grünen fordern unter anderem zur Lösung dieses Problems einen Altschuldentilgungsfonds. Würde das aber nicht dazu führen, dass die Krisenstaaten so weitermachten wie bisher?

    Künast: Nein, eben nicht. Sehen Sie mal, im Augenblick haben wir durch dieses ewige späte, zögerliche Handeln von Frau Merkel ja folgendes, dass wir zwar mit der Troika jeweils Verhandlungen mit einzelnen Staaten führen und ein paar Bedingungen der Veränderung der Haushaltskonsolidierung aufschreiben, aber der Großteil der Last wird eben auch durch Anleihenkäufe der EZB aufgefangen. Und die sind dann am Ende so, dass sie darüber in dem Zusammenhang keine Bedingungen stellen können, keine Auflagen machen, aber Deutschland haftet dafür auch, für die Risiken, die innerhalb der Europäischen Zentralbank entstehen. Das halten wir für eine ganz klare Fehlentwicklung.

    Und deshalb ist ja die Frage immer gewesen, welche Möglichkeiten gibt es eigentlich, den Ländern finanziell zu helfen, sie gleichzeitig aber auch auf einen Pfad der Reduzierung ihrer Schulden zu führen, dabei aber etwas Zeit zulassen. Und da haben wir als Grüne mal geschaut auf den Sachverständigenrat der Bundesregierung. Wir haben damals auch ein sehr langes Gespräch geführt mit Frau Weder di Mauro, die damals noch Mitglied war. Dieser Sachverständigenrat hat ja den Altschuldentilgungsfonds entwickelt. Und zwar geht das ja so, dass über die Maastricht-Kriterien 60 Prozent Verschuldung hinaus die Schulden darüber in einen solchen Fonds gepackt werden und man sich dann verpflichtet, für Zeiträume seinen eigenen Teil abzuzahlen für einen Zeitraum. Man verpflichtet sich als Mitgliedstaat dann auch, das entsprechend sozusagen den Haushaltsausgaben in seinem Mitgliedstaat zu entziehen. Darüber wächst ja eine Bindung, dass man weiß, welche Tranche muss man monatlich oder jährlich abzahlen. Das ist doch eine Regelung, um tatsächlich Schuldenabbaupolitik zu machen, wenn ich auch zugebe, dass auf der anderen Seite von hinten natürlich wir mit haften.

    Blanke: Ja, das ist doch die Vergemeinschaftung von Schulden, die so viele befürchten. Wie erklären Sie das den Wählern?

    Künast: Ja, ich sage es noch mal. Die Europäische Zentralbank kauft Anleihen auf, um Staaten zu retten, ohne dass sie irgendeine Handhabe hätten, die Mitgliedstaaten selber zu animieren, zum Beispiel Schuldenabbaupolitik zu machen. Und für diese Lasten der Europäischen Zentralbank haftet Deutschland auch. Also das Zögern von Merkel, dass Merkel sich nicht traut, die Wahrheit zu sagen und zu sagen "Ja, wir sind eine Transferunion, und wir stehen am Ende auch gegenseitig für Schulden ein, allerdings bauen wir vorher was ein." Merkel hat nicht den Mut, da die Wahrheit zu sagen.

    Und wir sagen halt, nicht dass der Altschuldentilgungsfond alleine kommt, sondern er kommt ja mit Bedingungen. Die Länder übernehmen ja sozusagen den Schuldenabbaupfad. Wir wollen gleichzeitig, da haben wir uns ja durchaus dafür eingesetzt, dass die Haushalte der Länder offengelegt werden, dass die Europäische Kommission da mehr Rechte hat, kritisch rein zu blicken und den Finger rein zu halten in die Haushalte, wir sagen, um die Länder zu entlasten, damit sie nicht wieder Banken retten müssen, dass wir auch eine Bankenunion brauchen, also eine europäische Bankenaufsicht, ein höheres Eigenkapital in den Banken, und die einzelnen Staaten müssen dafür sorgen, dass ihre Banken Sicherungssysteme haben, wie Deutschland das auch hat.

    Also, es gibt eine Vielzahl von Maßnahmen. Nichtstun und Abwarten heißt immer, wir zahlen am Ende für die Lasten bei der EZB. Und ich will noch mal sagen, was für mich dahinter steht: Ich bin fest davon überzeugt, dass Deutschlands Zukunft eine europäische ist. Ich will ein europäisches Deutschland. Ich bin fest davon überzeugt, dass unser Wohlstand mit einer guten Entwicklung in Europa zu tun hatte und haben wird.

    Blanke: Sie haben gesagt, die Krisenstaaten brauchen mehr Zeit. Wenn also der griechische Regierungschef Samaras in dieser Woche nach Berlin kommen wird, um genau dafür zu werben, dass sein Land mehr Zeit bekommt, die Auflagen zu erfüllen, dann sind die Grünen dafür?

    Künast: Also, einmal habe ich gesagt, die einzelnen Staaten brauchen mehr Zeit, ihre Schulden abzubauen, gar nicht mal auf Griechenland bezogen, sondern darauf, dass alle die Länder, die mehr Schulden haben als nach Maastricht damals vereinbart 60 Prozent, dass die das teilweise nicht über Nacht können, sondern dass es für sie wirtschaftlich besser ist, wenn sie parallel dazu noch investieren können, aber einen klar europaweit vereinbarten Abbaupfad der Schulden haben. Es gibt ja auch Sicherheit. Souveränität, Sicherheit, Zuverlässigkeit nach außen, dann haben sie auch noch Geld wirklich für wirtschaftliche Investitionen.

    Das darf man nicht negieren. Davon vollkommen losgelöst muss man jetzt die Griechenlandfrage betrachten. Und da halten wir es schon für richtig, mit Griechenland zu reden über Zeitrahmen, aber im Wesentlichen ist es so, die Vereinbarungen sind da und sie sind auch am Ende umzusetzen. Wir haben ja als Ergänzung dazu bei Griechenland noch etwas ganz anderes gesagt, nämlich dass wir tatsächlich so ein europäisches Wirtschaftsprogramm brauchen, gerade in der Krisensituation ein europäisches Wirtschaftsprogramm, das allen, aber auch vornehmlich auch diesen Krisenländern hilft, wirtschaftlich in moderne Dinge zu investieren.

    Also, eine Neuausrichtung der Landwirtschaft in Griechenland tut Not. Die haben lauter Altes gemacht, aber sich nicht neu ausgerichtet. Eine Neuausrichtung des Tourismus tut Not. Gerade im Tourismus braucht Griechenland auch eine Energiewende. Sonne ohne Ende, aber das Land in Europa, das prozentual am meisten Erdöl importiert – doch eigentlich technologisch eine verrückte Sache. Man denkt, das ist eine Botschaft aus Schilda. Da zu helfen, dass da ein Schub reinkommt, das bringt Arbeitsplätze, Perspektiven und ist rund um Griechenland am Ende auch gut für das Klima. Ich glaube, wir müssen da immer sehr differenziert reingucken. Und machen wir uns nichts vor, wir entwickeln uns am Ende alle als Europäer gut und nicht einer alleine.

    Blanke: Frau Künast, vielen Dank für das Gespräch.

    Künast: Ich danke auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.